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Kein guter Tag für Diskriminierungsopfer

Rede von Sevim Dagdelen,

Das Gesetz gibt den Betroffenen kein alltagstaugliches Instrument gegen Diskriminierung an die Hand. Die Rechte der Einzelnen werden den Interessen von Wirtschaftsverbänden und Unternehmen geopfert. Der größte Teil des Wohnungsmarktes wird aus dem Diskriminierungsverbot für Wohnungsvermieter herausgenommen. Auch bei Kündigungen gilt der Diskriminierungsschutz des Gesetzes nicht mehr, sondern lediglich die Regelungen des Kündigungsschutzgesetzes. In der Praxis wird ein symbolisches Bekenntnis zur Gleichbehandlung übrig bleiben und nicht mehr.

Sevim Dagdelen in der Debatte zum Gleichbehandlungsgesetz :

Frau Präsidentin! Herr Westerwelle!

(Heiterkeit bei der CDU/CSU und der FDP)

Sehr geehrte Damen und Herren! Heute soll das Gesetz zur Umsetzung der Antidiskriminierungsrichtlinien der EU beschlossen werden. Leider ist dies tatsächlich kein guter Tag für die von Diskriminierung betroffenen Menschen.
Wenn ich eines ganz kurz anmerken darf, Herr Westerwelle: Auch meine Fraktion wird das Gesetz ablehnen, aber nicht, weil aus einem saudummen Gesetz ein dummes Gesetz geworden ist, sondern deswegen, weil aus einem alltagsuntauglichen Gesetz ein schlechtes Gesetz geworden ist. Mit den in den letzten Tagen durchgepeitschten Änderungen hat man nämlich eines klargestellt: Der großen Koalition liegt wenig daran, den Betroffenen ein alltagstaugliches Instrument gegen Diskriminierung an die Hand zu geben. Sie hat lediglich eines geschafft: die Rechte der Einzelnen den Interessen der Wirtschaftsverbände und der Unternehmen zu opfern.
Das Gesetz leidet im Wesentlichen darunter, dass das zunächst aufgestellte Benachteiligungsverbot durch Einschränkungen sogleich wieder abgeschwächt worden ist.
Lassen Sie mich das an einem Beispiel darstellen: Sie haben den größten Teil des Wohnungsmarktes über 50 Prozent aus dem Diskriminierungsverbot für Wohnungsvermieter herausgenommen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Mit diesem Gesetzentwurf geben Sie den Betroffenen nur ein schwaches Instrument an die Hand, ihr Recht auf Nichtdiskriminierung auch gerichtlich durchzusetzen. Klagebefugnisse von Gewerkschaften und Betriebsräten werden zusammengestrichen. Für kleinere Betriebe haben Sie das Klagerecht komplett abgeschafft.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Sie lassen damit die Mehrzahl der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer im Regen stehen. Das Gleiche gilt für die Beweiserleichterung. An die Adresse der Wirtschaft wird signalisiert: Es wird sich nichts ändern! Wie Sie bereits feststellten, Frau Ministerin Zypries; die im Gesetzentwurf vorgesehene Beweiserleichterung lehnt sich an die jetzt schon bestehende Regelung des § 611 a BGB an. Sie haben jedoch vergessen, zu sagen, dass diese Regelung in 25 Jahren zu lediglich 112 Gerichtsprozessen geführt hat. Daher ist es unseres Erachtens zwangsläufig geboten, den Betroffenen nicht die Last aufzubürden, etwas beweisen zu müssen, was ihrer Wahrnehmung schlichtweg entzogen ist. Das ist kein schlüssiges Konzept, das sich an den Problemen der Menschen orientiert, sondern ein Konzept nach den Vorgaben der Wirtschaft.

(Beifall bei der LINKEN)

Die Fraktion Die Linke fordert deswegen in ihrem Antrag unter anderem eine Beweislastumkehr und die Einführung eines umfassenden Verbandsklagerechts. (Beifall bei der LINKEN) Das Deutsche Institut für Menschenrechte hat dieses Argument in einer Stellungnahme einmal mehr festgehalten: Eine interne Auswertung der deutschen Rechtsprechung habe gezeigt, dass die verschiedenen Betroffenengruppen bei der gerichtlichen Geltendmachung höchst unterschiedlich repräsentiert sind. Obwohl gerade Migrantinnen und Migranten, schwarze Deutsche wie schwarze Nichtdeutsche massiv von Diskriminierungen auf dem Arbeitsmarkt, in der Bildung oder im Bereich des Wohnungsmarktes betroffen sind, haben gerade diese Gruppen bei der gerichtlichen Durchsetzung die wenigsten Chancen. Ein Verbandsklagerecht würde dieses Ungleichgewicht ausgleichen.

(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Ferner haben Sie, meine Damen und Herren vor allen Dingen der Union, erreicht, dass bei Kündigungen der Diskriminierungsschutz des Gesetzes nicht mehr gilt. Damit streichen Sie für die Betroffenen die Möglichkeit, gegen auf Diskriminierung angelegte Kündigungen nach dem AGG zu klagen und die entsprechenden Rechtsfolgen wie Schadensersatz einzufordern.
Was aber meines Erachtens noch viel schlimmer ist: Die ausschließliche Geltung des Kündigungsschutzgesetzes im Arbeitsrecht wie auch die Zweimonatsfrist zur Geltendmachung von Ansprüchen sind europarechtlich bedenklich. Sie widersprechen der Zielsetzung der Richtlinie und werden deswegen vor dem Europäischen Gerichtshof keinen Bestand haben. Damit überlassen Sie es einmal mehr den Einzelnen, durch Klagen vor dem Europäischen Gerichtshof für einen Schutz vor Diskriminierungen zu sorgen. Ich halte das für ein Armutszeugnis dieser großen Koalition.

(Beifall bei der LINKEN)

Sie könnten auch gleich konforme Regelungen schaffen und nicht darauf warten, dass die Menschen in fünf bis sechs Jahren vor dem Europäischen Gerichtshof Recht zugesprochen bekommen. Jean-Jacques Rousseau sagte einmal: Zwischen dem Schwachen und dem Starken ist es die Freiheit, die unterdrückt, und das Gesetz, das befreit. Das hätte ich mir von dieser großen Koalition gewünscht.

(Beifall bei der LINKEN)

Die große Koalition hat es heute versäumt, mit mutigen Entscheidungen auch in Deutschland endlich eine Antidiskriminierungskultur zu initiieren. Sie haben es versäumt, Mindeststandards festzulegen, die in anderen europäischen Ländern längst gang und gäbe sind, so zum Beispiel in den Niederlanden.
Die Gegner eines Antidiskriminierungsgesetzes haben in dieser Debatte jedenfalls eines erreicht: die unzureichenden Wirkungen dieses Gesetzes zu kaschieren. In der Praxis wird damit nur wenig mehr übrig bleiben als ein symbolisches Bekenntnis zur Gleichbehandlung. Dabei wird es bleiben.