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Integration nicht auf Spracherwerb reduzieren

Rede von Sevim Dagdelen,

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! „Sprache schafft Identität und ist Schlüssel zur Integration“ würde in diesem Fall heißen: Deutsche Sprache schafft deutsche Identität. Ich möchte gerne wissen, auf welche Bestandteile der deutschen Identität hier so großer Wert gelegt wird.
Zu Ihrem Antrag, liebe Frau Laurischk. Dieser Antrag enthält zwar sehr viele Vorschläge, denen wir uns durchaus anschließen könnten, doch in seiner Grundintention können wir ihm nicht zustimmen. Sie reduzieren Integration auf den Spracherwerb. Was Sie allerdings von den Regierungsfraktionen unterscheidet, ist, dass Sie wenigstens die Rahmenbedingungen für den Spracherwerb im Rahmen der Integrationskurse verbessern wollen.
Einig sind Sie sich aber mit den Regierungsfraktionen wieder, wenn es um sozialrechtliche Sanktionen geht. Ich frage mich: Warum eigentlich? Erstens sind sozialrechtliche Sanktionen bereits vorgesehen, und zweitens wollen die meisten Migrantinnen und Migranten an den Kursen teilnehmen. Der Präsident des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge, Herr Schmid, hat im Innenausschuss festgestellt, dass bei den alteingesessenen Migrantinnen und Migranten eine große Integrationsbereitschaft vorliegt. Ihr Anteil liegt bei 60 Prozent, ohne dass Werbung gemacht wird, ohne dass sie einen Rechtsanspruch auf diese Kurse haben. Angesichts dessen frage ich mich, was die Propaganda unter dem Stichwort „notwendige sozialrechtliche Sanktionsmöglichkeiten“ eigentlich soll.
Irritiert war ich auch, als ich las, dass die identitätsstiftende Integrationswirkung der deutschen Sprache bisher unterschätzt worden sei. Genau das Gegenteil war und ist der Fall. Sehr verkürzt und einseitig gilt die Monolingualität eben noch als wichtigste Voraussetzung für die Integration. Nicht ohne Grund steht der Sprachkurs auch im Mittelpunkt des aktuellen Integrationsprogramms und der aktuellen Integrationsdebatte. Die Integrationskursverordnung lässt sich eindeutig als ein nationalpädagogisches Mittel beschreiben, das Migrantinnen und Migranten die deutsche Kultur- und Werteordnung beibringen soll.
Das Erlernen der deutschen Sprache ist wichtig für das Berufsleben, für die Teilhabe an Bildung und Kultur sowie an gesellschaftlichen und politischen Entscheidungsprozessen; das bestreitet hier niemand. Aber fehlende oder unzureichende Deutschkenntnisse dürfen nicht zu Ausgrenzung führen oder zur Ausgrenzung benutzt werden.
(Beifall bei der LINKEN)
Wer die Bildungs- und Berufschancen der Migrantinnen und Migranten wirklich verbessern will, muss sich zum Beispiel für einen Rechtsanspruch auf kostenlose Kita- und Kindergartenplätze einsetzen,
(Beifall bei der LINKEN)
und zwar nicht nur für das letzte Jahr. Darüber hinaus bedarf es der Abschaffung des dreigliedrigen, selektiven Schulsystems und der Einführung von Gesamt- und Gemeinschaftsschulen.
(Beifall bei der LINKEN)
Aktuell wird der Bericht des Sonderberichterstatters der UN für das Recht auf Bildung, Herrn Muñoz, diskutiert, in dem er die soziale Ungleichheit des deutschen Bildungssystems scharf kritisiert und sagt, da sei Handlungsbedarf angezeigt.
(Beifall der Abg. Silke Stokar von Neuforn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Zuruf von der CDU/CSU: Das zeigt, dass er keine Ahnung hat!)
Ausgrenzung und Diskriminierung beruhen nicht nur auf sprachlichen Missverständnissen. Wie wollen Sie sonst erklären, dass Migrantinnen und Migranten bei gleichem Schulabschluss bei der Ausbildungsplatzvergabe systematisch benachteiligt und diskriminiert werden oder dass Kinder nichtdeutscher Herkunftssprache in der Grundschule und bei der Empfehlung für den Übergang in die Sekundarstufe I grundsätzlich schlechter bewertet werden?
Die Linke vertritt nicht die verkürzte und antirepublikanische Auffassung, dass Sprache Schlüssel zur Integration ist. Für die Linke ist der Schlüssel zur Integration in diese Gesellschaft die Teilhabe, die Partizipation an allen gesellschaftlichen Ressourcen.
(Beifall bei der LINKEN Josef Philip Winkler (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das war aber harter Tobak!)
Da reicht es eben nicht, das ehrenamtliche Engagement als Instrument zum Erlernen der deutschen Sprache vorzuschieben, wie es in diesem Antrag gemacht wird. Gerade weil wir der Meinung sind, dass Integration nur über politische und soziale Rechte erfolgreich sein kann, ist für uns weder der Integrationskurs im Allgemeinen noch der Orientierungskurs im Konkreten der erste Schritt zur Eingliederung, wie es in diesem Antrag heißt. Umgekehrt wird ein Schuh daraus: Einbürgerung trägt durch die Anerkennung der Person und ihrer Ausstattung mit Rechten den entscheidenden Teil zur Integration bei.
(Beifall bei der LINKEN)
Wenn Sie erlauben, Herr Präsident, möchte ich, da wir uns noch in der Antirassistischen Aktionswoche befinden, abschließend sagen: Es gilt den gesellschaftlichen Realitäten wie dem strukturellen Rassismus, der institutionellen Diskriminierung und den soziokulturellen Ausgrenzungen zu begegnen. Sie tun in diesem Zusammenhang immer so, als müssten die aufgeklärten und zivilgesellschaftlich voll entwickelten Deutschen die Prinzipien der Demokratie, der Rechtsstaatlichkeit, der Gleichberechtigung, der Toleranz und der Religionsfreiheit gegen die Migrantinnen und Migranten verteidigen. Das ist ein Hohn. Sie, insbesondere die Große Koalition, die CDU/CSU und auch die SPD, sollten selbst erst einmal einen Orientierungskurs zu den Menschenrechten besuchen.
(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)
Was Sie von den Menschenrechten halten, haben Sie mit der unsäglichen sogenannten Bleiberechtsregelung, die Sie getroffen haben, erst kürzlich bewiesen.
Danke sehr.
(Beifall bei der LINKEN)