Zum Hauptinhalt springen

Industriestandort Ostdeutschland ausbauen!

Rede von Sören Pellmann,

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich weiß nicht, ob Sie alle an der Seite der Beschäftigten in Ostdeutschland stehen. Ich sage Ihnen klar: Die Linke tut es.

(Beifall bei der LINKEN – Andreas Mattfeldt [CDU/CSU]: Das macht den Menschen wenig Hoffnung!)

Wir fordern für die Menschen in Ostdeutschland nicht nur die gelobte und besungene Freiheit, sondern endlich auch die fehlende Gerechtigkeit und die fehlende Gleichheit ein. Ein unabdingbarer Baustein ist eine viel stärkere Initiative bei Sicherung und Ausbau des Industriestandortes Ostdeutschland. Denn die Menschen in Ostdeutschland haben nach über 30 Jahren genug von ungleichen Löhnen und ungleichen Arbeitsbedingungen.

(Beifall bei der LINKEN)

Sie vertrauen nicht mehr auf halbgare Ankündigungen und Versprechen; das kennen sie seit Jahrzehnten. Viele Werktätige streiken, gehen auf die Straße und kämpfen für ihre Rechte. Sie sind eben nicht mehr gewillt, Benachteiligungen hinzunehmen. Sie fordern ein Ende der Niedriglohnorgie und wollen nicht länger Beschäftigte zweiter Klasse sein.

Ein Arbeitskampf wird gerade unweit von meiner Heimatstadt Leipzig in Espenhain geführt. Dort streiken seit drei Wochen die Beschäftigten einer Recyclingfirma. Sie haben mir erzählt, was sie satthaben: dass sie zum Beispiel 600 Euro weniger verdienen als ihre Kolleginnen und Kollegen im Westen, obwohl sie zum gleichen Unternehmen gehören, dass sie 40 statt 38 Stunden pro Woche im Dreischichtsystem arbeiten müssen und dass sie im Vergleich zu ihren Kolleginnen und Kollegen im Westen eben keinen Tarifvertrag haben.

(Dr. Dietmar Bartsch [DIE LINKE]: Unglaublich!)

Wie in Espenhain gibt es viele Arbeitskämpfe, insbesondere im Osten. Die Menschen sind die ewigen Versprechungen und Balkonreden zum Tag der angeblichen Einheit leid.

(Beifall bei der LINKEN)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, warum sollte die Unterstützung der Industrie im Osten noch stärkere Priorität besitzen? Die Lohnunterschiede zum Westen sind im vergangenen Jahr weiter gewachsen. Dietmar Bartsch hat die Zahl oft genannt: Ostdeutsche erhalten 13 000 Euro pro Jahr weniger an Lohn. Der Osten darf nicht länger die Billiglohnzone sein.

(Beifall bei der LINKEN)

Trotz Neustrukturierung der ostdeutschen Wirtschaft ist es bislang in über 30 Jahren eben nicht gelungen, die Wertschöpfungslücke zu Westdeutschland endlich zu schließen. Der Mittelstand bleibt unverschuldet durchschnittlich kleiner und weniger produktiv als im Westen der Republik. Sein Wachstum ist aber entscheidend für die Schließung der klaffenden Wertschöpfungslücke. Niedrigere Einkommen hemmen den Konsum und mithin Einnahmen mittelständischer Unternehmen – ein Teufelskreis.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, Frau Präsidentin, seit 1990, seit über 30 Jahren, ist es nicht gelungen, das westdeutsche Tarifsystem in die neuen Länder zu übertragen. Es war politisch gewollt, dass die Unternehmen ungestraft dem Tarifsystem fernbleiben. Das hat in Ostdeutschland für schamlose Löhne in den unteren Einkommensgruppen gesorgt. Im Billiglohnland Sachsen profitieren nur 42 Prozent der Beschäftigten von einem Tarifvertrag.

Kleine Schritte der Lohnangleichung zwischen Ost und West wie die Einführung des zu geringen Mindestlohns haben insbesondere den Beschäftigten in Ostdeutschland ein wenig geholfen. Obwohl sich die Regierungskoalitionen endlich bewegten, bleiben es allerdings bis heute alles kleine Schritte.

Meine Heimatstadt Leipzig mag vermeintlich das Paradebeispiel für einen herbeigeredeten Aufschwung im Osten sein. Aber halten die Zahlen diesem Außenbild stand? Trotz Wirtschaftsansiedlungen besteht ein Gefälle bei Wirtschaftskraft zwischen Ost und West. Die Zahlen von 2021 zeigen in Leipzig ein Bruttoinlandsprodukt von knapp 24 Milliarden Euro. In vergleichbaren Regionen wie Hannover oder Bremen liegen Sie bei 55 bzw. 31 Milliarden Euro. Das sind die Zahlen aus der vermeintlichen Boomtown Leipzig. Die Zahlen anderer ostdeutscher Regionen sind viel katastrophaler.

Die Fakten belegen: Der Osten braucht die volle wirtschaftspolitische Unterstützung des Bundes.

(Beifall bei der LINKEN)

Oder wollen Sie zum 40. Jahrestag unserer vereinten Republik weiter nur die Hoffnung auf eine tatsächliche Einheit vorspiegeln? Wollen wir jedem zweiten Vollbeschäftigten im Osten nach 45 Jahren Arbeit lediglich weniger als 1 200 Euro Rente zugestehen? Hat der Osten in der Bundesregierung wirklich eine Lobby? Wenn ja, dann müssen Sie endlich handeln!

(Beifall bei der LINKEN)

Wir erwarten insbesondere zu der Frage, was aus den Hightechunternehmen in Magdeburg und Dresden wird, klare Ansagen und nicht irgendwelche Telefongespräche von Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten.

Herr Scholz, ich fordere Sie auf: Garantieren Sie finanzielle Unterstützung für diese wichtigen Investitionen!

(Beifall bei der LINKEN)

Wir brauchen die Garantie, dass keine der geplanten Investitionen in Ostdeutschland abgesagt wird. Das zu tun, wäre das Mindeste, wenn Sie schon bei der Steigerung der Tarifbindung im Osten, bei einem vor Altersarmut schützenden Mindestlohn in Höhe von 14 Euro oder bei der Vergabe öffentlicher Aufträge mit Bindung an Tarife versagen.

Letzter Satz, Frau Präsidentin. – Machen Sie die Sicherung und Weiterentwicklung des Industriestandortes Ostdeutschland tatsächlich zur Chefsache und nicht zum nächsten Opfer Ihrer Haushaltskrise.

Vielen Dank.

(Beifall bei der LINKEN)