Rede zu Protokoll
Herr Präsident! Meine Damen und Herren!
NRW-Ministerpräsident Jürgen Rüttgers hat vor einigen Tagen in einem FAZ-Interview Oskar Lafontaine als „Ideologen“ bezeichnet, und wir können davon ausgehen, dass diese Charakterisierung nicht freundlich gemeint war. Ich bin weit davon entfernt, den Begriff Ideologie als Schimpfwort zu gebrauchen – allerdings halte ich ideologische Verbohrtheit im politischen Entscheidungsprozess für wenig erstrebenswert. Während mir Oskar Lafontaine bei dieser Einschätzung sicher zustimmen würde, teilt die CDU diese Auffassung offenbar nicht. Anders kann ich mir jedenfalls nicht erklären, warum die Union im Fall der Stellungnahme zum EU-Richtlinienentwurf über die Europäische Schutzanordnung die Chance auf interfraktionelle Einigkeit hat verstreichen lassen, obwohl diese leicht zu erzielen gewesen wäre. Denn die LINKE war trotz einiger Bedenken in Detailfragen bereit, sich der Entschließung der Koalitionsfraktionen insgesamt anzuschließen.
Das Ziel der Richtlinie – grenzüberschreitender, europaweiter Opferschutz - stellen wir nicht in Frage, wohl aber dessen Umsetzung. Erreicht werden soll der Schutz durch eine sogenannte „Europäische Schutzanordnung“. Das soll folgendermaßen funktionieren: Eine Person ist zum Beispiel in Deutschland Opfer von Stalking geworden und hat eine Verfügung erwirkt, nach der sich der Stalker auf 300 Meter nicht nähern darf. Will das Opfer nach Frankreich umziehen, kann es in Deutschland eine „Europäische Schutzanordnung“ beantragen. Diese soll nun in Frankreich dafür sorgen, dass dort vergleichbare Schutzmaßnahmen ergriffen werden, ohne dass Sachverhalt oder Rechtsfolgen erneut geprüft werden müssen.
Die Regierungsfraktionen haben hierzu Bedenken formuliert, die wir in mehreren Hinsichten teilen: Wie die Koalition bezweifeln auch wir die Anwendbarkeit der Rechtsgrundlage der Richtlinie, und wie die Koalition stellen auch wir die Verhältnismäßigkeit der Richtlinie infrage, da das Verfahren kompliziert ist und Rechtsschutz auf direktem Wege im jeweiligen Land möglicherweise schneller zu erreichen wäre.
Unsere Kritik geht aber noch weiter: Die Richtlinie geht davon aus, dass in allen Ländern ausreichende Schutzmaßnahmen bestehen. Das halte ich für fraglich. Bevor über eine Anerkennung von Entscheidungen nachgedacht werden kann, sollten zunächst einheitliche Mindeststandards eingeführt werden. Genauso müsste sicher gestellt sein, dass bei einem solchen Verfahren rechtsstaatliche Grundsätze eingehalten werden. Insbesondere deshalb, weil dieser Bereich in vielen Mitgliedsstaaten als Strafverfahren konzipiert ist. Bei der Zusammenarbeit in Strafsachen sind laut Bundesverfassungsgericht aber besonders strenge Maßstäbe für die gegenseitige Anerkennung von Entscheidungen anzulegen. In ihrer Entschließung gehen CDU und FDP über diesen Punkt hinweg. Sie lehnen zwar die Schutzanordnung selbst ab, wollen jedoch die ihr zugrunde liegenden Fakten anerkennen. Gerade die Sachverhaltsbestimmung ist aber keine verfahrensrechtliche Kleinigkeit, sondern wesentlicher Kern dessen, was Grundlage der Anordnung sein soll. Eine ungeprüfte Anerkennung wäre deshalb ebenfalls problematisch.
Trotz der Bedenken in diesem Punkt war die Linke zugunsten einer interfraktionellen, gemeinsamen Stellungnahme des Bundestags bereit die Entschließung zu unterstützen. Zumal ich die Diskussionen im Rechtsausschuss als erfreulich produktiv und auf die Sache konzentriert erlebt habe, und auch Positionen der Opposition in die Stellungnahme eingeflossen sind. Und zumal den Regierungsfraktionen nach eigenem Bekunden an einem geschlossenen Meinungsbild der Parlamentarier sehr gelegen war. Was wäre also näherliegend gewesen als ein gemeinsamer Antrag? Nichts, sollte man meinen. Wäre da nicht die Sache mit der ideologischen Verbohrtheit: Gemeinsame Initiativen mit der Linken schließen die Christdemokraten ausdrücklich aus.