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Grenzen ziehen - auch und gerade gegenüber einem Verbündeten

Rede von Gregor Gysi,

"Gregor Gysi in der Vereinbarte Debatte "Berichte über angebliche Gefangenentransporte sowie die Verbringung deutscher und anderer Staatsangehöriger durch US-Stellen und das Verhalten von Bundesdienststellen in diesem Zusammenhang""

"Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In seiner Rede hat Kollege Stadler, und zwar zu Recht, die Rolle des Parlamentes und auch der Bundesregierung in diesem Zusammenhang aufgeworfen, wozu es vieler Erklärungen bedarf.

Unsere Zeit ist geprägt durch verschiedene, auch tragische Ereignisse. Kriege und Terrorismus, das alles hat zugenommen. Ich weiß auch, dass eine gewisse Hilflosigkeit entstanden ist. Es gibt aber ein Mittel, um dagegen wirksam vorzugehen, und zwar die Einhaltung des Völkerrechts.

(Beifall bei der LINKEN)

Das Völkerrecht ist aber immer stärker verletzt worden. Ich darf daran erinnern - das sage ich ohne jede Polemik -: Vor längerer Zeit stand ich in diesem Haus ziemlich alleine da, als ich darauf hinwies, dass der Jugoslawienkrieg völkerrechtswidrig ist, weil der Sicherheitsrat nicht einbezogen worden ist.

(Stephan Hilsberg [SPD]: Das kann man aber überhaupt nicht vergleichen!)

Es gab für ihn zwar Argumente moralischer und anderer Art, den Sicherheitsrat aber hat man nicht einbezogen. Das war übrigens ein Grund für die USA, beim Irakkrieg den Sicherheitsrat ebenso zu ignorieren; denn das war schließlich auch schon vorher geschehen. Wenn man Völkerrecht verletzt, muss man immer wissen, dass man es damit zerstört, dass es in der alten Form nicht wiederkommt.

Das gilt erst recht für die Vorgänge, von denen wir jetzt erfahren. Sie, Herr Außenminister Steinmeier, haben sich gegen Vorwürfe verteidigt, die ich gar nicht gehört habe. In diesem Hause hat doch niemand der Bundesregierung vorgeworfen, Gefangene irgendwohin zu schicken, damit sie gefoltert werden.

Nein, es geht um etwas ganz anderes: Die USA haben im Kampf gegen den Terrorismus bestimmte Normen weltweit außer Kraft gesetzt.

(Beifall bei der LINKEN)

Verstehen Sie, die Regierung der USA will diesbezüglich ihr eigenes Recht nicht. Die USA scheuen die USA; das muss man sich einmal vorstellen. Sie bringen ihre Gefangenen nicht in die USA, lassen weder ihre Gerichte noch ihre Rechtsanwälte zu. Dafür nehmen sie den Teil Kubas, den sie innehaben und wo kein Recht herrscht. In Guantanamo sitzen Menschen seit vier Jahren ohne alle Rechte ein. Die USA sagen, sie sind keine Kriegsgefangenen, entsprechende Rechte haben sie nicht; sie sind keine Untersuchungshäftlinge, entsprechende Rechte haben sie nicht. Diese Menschen sind seit fast vier Jahren rechtlos. Das ist doch nicht hinnehmbar! Wir müssen auch im Interesse der Rechtsstaatlichkeit, im Interesse eines zivilisatorischen und kulturellen Fortschritts in Europa sagen: Nein, so etwas darf nicht gemacht werden, hier ziehen wir eine Grenze, auch und gerade bei einem Verbündeten.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Von den Vorgängen in diesem Teil Kubas wusste ich. Jetzt kommen Informationen über Geheimgefängnisse der USA in anderen Ländern, zum Beispiel in Ost-europa, zutage. Es wird Sie nicht wundern: Ich bin darüber wirklich entsetzt. Ich muss hören, dass es Gefangene in Syrien gibt. Ich bitte Sie, Syrien! Herr Bundesaußenminister, die USA erklären, das sei ein Schurkenstaat, dort gebe es Folter, sie drohen einen Militärschlag an, sagen aber gleichzeitig, man könne dort Gefangene gut vernehmen, deswegen schicke man sie dorthin. Das ist doch indiskutabel! Dazu müssen wir klar Nein sagen. So etwas darf man nicht machen. Gerade auch bei Freunden muss man Nein sagen.

(Beifall bei der LINKEN, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Es gibt einzelne Punkte, die der Aufklärung bedürfen. Ich tue ja gar nicht so, als ob ich es weiß. Aber ich lese in der "Washington Post" von einem anderen Zeitpunkt, zu dem Minister Schily informiert worden ist. Übrigens ist Herr Schily auch nicht hier. Wenn Sie schon kritisieren, dass Herr Fischer nicht anwesend ist, hätten Sie erwähnen müssen, dass Herr Schily auch nicht hier ist. Wenn schon, dann muss man das Bild vollständig zeichnen.

(Beifall bei der LINKEN und der FDP)

Ich lese, er habe vor der Freilassung davon erfahren. Von ihm hören wir, er habe diese Information zwei Tage danach bekommen. Die einfache Logik spricht natürlich dafür, dass er es vorher erfahren hat; denn die US-Regierung war doch daran interessiert, ihn dafür zu gewinnen, dass das möglichst nicht bekannt wird. Das macht natürlich nur dann Sinn, wenn man es ihm vorher gesagt hat. Genau weiß ich es aber nicht, schließlich war ich nicht dabei. Aber ich finde, diesbezüglich können wir Aufklärung verlangen.

Es gibt einen Punkt, über den wir uns verständigen müssen. Herr Außenminister Steinmeier, Otto Schily hat ja gesagt, er habe die Staatsanwaltschaft nicht informiert, weil er kein Gehilfe der Staatsanwaltschaft sei. Das ist in einem von ihm autorisierten Interview nachzulesen. Ich bitte Sie! Er stützt sich dabei auch auf § 98 der StPO und sagt: Das ist zum Wohle der Bundesrepublik. Dürfen wir dann bitte einmal über das Wohl der Bundesrepublik diskutieren?

Dass die Entführung zum Wohl der Bundesrepublik ist, wird niemand behaupten. Also stellt sich die Frage, ob die Geheimhaltung dessen zum Wohle der Bundesrepublik ist. Ich bestreite das ganz energisch und sage: Hier ist eine kulturelle Grenze überschritten worden, an der wir klar und öffentlich Nein sagen müssen, wenn wir das für die Zukunft ausschließen wollen. Verstehen Sie, wenn wir der US-Regierung sagen, dass wir immer die Klappe halten, wenn wir so etwas erfahren, dann tun wir das Gegenteil von dem, was wir brauchen und was auch international nötig ist.

(Beifall bei der LINKEN und dem BÜND-NIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)

Auch beim internationalen Recht gilt immer: Entweder es gilt für alle Staaten oder es gilt für keinen. Was wir von den USA nicht verlangen, können wir auch von Uganda nicht verlangen. Was hätte Herr Schily denn gesagt, wenn der ugandische Botschafter ihm so etwas mitgeteilt hätte? Sie glauben doch nicht im Ernst, dass er gesagt hätte, darüber zu schweigen. Er hätte völlig anders reagiert. Ich hätte mir gewünscht, dass er auch gegenüber dem amerikanischen Botschafter so reagiert hätte, wie er dort reagiert hätte, und dass er gesagt hätte: Das kann ich nicht.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der FDP)

Hat er den Bundeskanzler nun informiert oder nicht? Ich erfahre es nicht. Hat er den Bundesaußenminister informiert oder nicht? Das wäre doch ein Ding! Wenn der Kanzler einen Innenminister gehabt hätte, der informiert wurde, ihm als Kanzler aber nichts gesagt hätte, dann müsste er sich jetzt beschweren. Hat er den Außenminister informiert oder hat er es nicht getan? Ich will wissen: War das eine Sache der Regierung oder war das die Sache einer Einzelperson? Das wird man doch noch erfahren dürfen.

Das hat übrigens auch gar nichts mit Geheimnissen der Geheimdienste zu tun. Es geht um die Aufklärung schwerer Straftaten. Der Mann ist entführt worden. Es gab keinen Haftbefehl. Die deutschen Behörden sind nicht informiert worden. Was ist das denn für eine Freundschaft zwischen den USA und Deutschland? Die USA haben Verdachtsmomente gegen einen Mann. Warum können sie nicht unsere Behörden informieren und sagen, das sind die Verdachtsmomente, vernehmt ihn, wir hätten gerne Informationen? Nein, sie entführen ihn nach Mazedonien. Fünf Monate später sollen sie dann einen Satz dazu gesagt haben. Was ist das denn für eine Freundschaft? Ich bin völlig weg. Ich kann das überhaupt nicht verstehen.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der FDP)

Ich finde, dagegen muss man sich wehren. Man muss auch den amerikanischen Freunden sagen, dass das nicht geht, und zwar unter anderem deshalb nicht - lassen Sie mich das sagen -, weil die Überwindung des Ost-West-Konflikts mit einem großen moralischen Anspruch gelungen ist. Man hat gesagt: Weg mit Diktatur, her mit Demokratie, her mit Rechtsstaatlichkeit!

Ich sage Ihnen: Wir alle haben die schlimmen Ereignisse vom 11. September 2001 in Erinnerung. Das war eine Katastrophe. Man kann es gar nicht anders bezeichnen. Trotzdem und gerade deshalb sage ich: Wenn auch wir die Rechtstaatlichkeit aufgeben und die USA plötzlich Gefangene in irgendwelche Länder bringen - ich lese jetzt von Nordafrika -, welcher Staat entspricht dort dann noch unseren demokratischen und rechtsstaatlichen Vorstellungen? Man erfährt ja nichts Genaueres.

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Herr Kollege Gysi, Sie reden im Augenblick auf Kosten Ihrer Kollegen.

Dr. Gregor Gysi (DIE LINKE): Ich bin sofort fertig, Frau Präsidentin. - Wenn auch wir die Rechtstaatlichkeit aufgeben und wenn auch wir sagen, keine Rechte für diese Leute, die Rechtsstaatlichkeit und die Rechte der betroffenen Personen interessieren uns nicht -

(Ute Berg [SPD]: Das tut doch niemand!)

- Wenn die USA-Regierung das sagt, dann dürfen wir dazu nicht schweigen, sondern dann müssen wir im Interesse der Zivilisation, der europäischen Kultur und unserer eigenen Rechtstaatlichkeit dagegen auftreten. Darum geht es.

(Beifall bei der LINKEN)"