Zum Hauptinhalt springen

Gregor Gysi: Deutschland muss sich historischer Verantwortung gegenüber Griechenland stellen

Rede von Gregor Gysi,

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Frau Botschafterin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Griechenland feiert in diesem Jahr den 200. Jahrestag der Revolution, der den Beginn der Befreiung des griechischen Volkes vom osmanischen Joch markiert. Und Griechenland gedenkt anlässlich des 80. Jahrestages des Überfalls von Hitler-Deutschland der Hunderttausenden Opfer, die es durch Besatzung und furchtbare Gräueltaten zu beklagen hat. Deutschland hat auch in Griechenland tiefe Schuld auf sich geladen, und wir müssen mehr tun, um unserer daraus entstandenen Verantwortung endlich gerecht zu werden.

(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Dietmar Nietan [SPD])

Bundespräsident Steinmeier hat sich bei seiner Reise nach Griechenland im Oktober 2018 zu dieser Verantwortung bekannt und der griechischen Seite die Gewissheit vermittelt, dass Deutschland sich dieser Verantwortung bewusst ist. Doch in der praktischen Politik folgt diesem Bekenntnis unseres Staatsoberhauptes viel zu wenig konkretes Handeln.

(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ja, es geht dabei um Geld, aber ebenso um politische Unterstützung und um ethische Gesten. Politische Unterstützung braucht Griechenland zum Beispiel im Konflikt mit der Türkei, der – wie ich eingangs sagte – eine lange Geschichte hat. Aktuell wird er vor allem durch Gasförder- und Gebietsansprüche der Türkei im Mittelmeer quasi direkt vor griechischen Inseln befeuert. Dennoch hält die Bundesregierung in dieser Situation an der Lieferung von Bauteilen für sechs Jagd-U-Boote an die Türkei fest. Um es klar zu sagen: Mit diesen Rüstungsexporten in die Türkei befördert Deutschland die militärische Bedrohung Griechenlands, und das ist nun wirklich das Letzte, was wir vor dem Hintergrund unserer Geschichte verantworten können.

(Beifall bei der LINKEN)

Griechenland empfindet dies nicht zu Unrecht als einen Affront. Also: Stoppen Sie endlich die Rüstungsexporte in die Türkei!

(Beifall bei der LINKEN)

Übrigens gibt Griechenland wegen der türkischen Bedrohung prozentual mehr als doppelt so viel Geld aus dem Staatshaushalt für das Militär aus wie wir; Geld, das auch in Griechenland für soziale und ökologische Zwecke viel besser aufgehoben wäre. Dies wäre umso wichtiger, da im Zuge der Finanzkrise – unter maßgeblicher Mitwirkung der Bundesregierung – die soziale Not in Griechenland zugenommen hat. Deutschland hat an den Krediten zur Rettung der privaten – auch deutschen – Banken, die Griechenland bedienen musste und muss, Milliarden verdient, während gleichzeitig in Griechenland Renten und Löhne massiv gekürzt, soziale Leistungen zusammengestrichen und Verbrauchssteuern erhöht werden mussten. Es ist für mich die Frage, weshalb wir die Milliarden Zinsgewinne aus den Darlehen für Griechenland nicht dafür nutzen, um endlich die Opfer der von Deutschen an Griechen begangenen Verbrechen auszugleichen; soweit das überhaupt möglich ist.

(Beifall bei der LINKEN)

Menschlichkeitsverbrechen – das müssen wir bekennen –: Da stehen wir noch in der Verantwortung, übrigens auch, was den kulturellen Austausch der Jugend betrifft. Das Jugendhilfswerk muss bei der Erinnerungsarbeit anders unterstützt werden.

Lassen Sie mich zum Schluss sagen: Es ist wenig verwunderlich, dass in diesem Zusammenhang in Griechenland wieder die Frage der Reparationen aufkommt; dazu wird meine Kollegin Hänsel etwas sagen. Und etwas anderes wundert mich: Warum gilt eigentlich der Grundsatz „Pacta sunt servanda“, also dass Verträge einzuhalten sind, nicht für die Rückzahlung des Zwangskredits, den Nazideutschland Griechenland während der Besatzung abverlangte?

(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Sehr richtig!)

Da das Hitler-Regime mit der Rückzahlung schon begonnen hatte, es also selbst als Kredit anerkannt hatte, und die Bundesrepublik in der Rechtsnachfolge steht, sollte man nun endlich Verhandlungen mit Griechenland über die Konditionen der Kreditrückzahlung aufnehmen.

(Beifall bei der LINKEN)

Deutschland muss sich seiner historischen Verantwortung immer wieder aufs Neue und immer wieder konkret stellen. Gegenüber Griechenland sind dabei bis heute zu viele Fragen unbeantwortet geblieben. Es ist an uns, die Wunden zu heilen.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)