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Gregor Gysi: Bundesregierung hängt weiter am Rockzipfel der US-Administration

Rede von Gregor Gysi,

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Herr Maas, Sie waren ja kaum zum Außenminister berufen worden, da erklärten Sie schon, dass die Töne gegenüber Russland noch schärfer werden müssen. Bei Ihrem Antrittsbesuch waren Sie der erste deutsche Außenminister, der nicht vom Präsidenten empfangen wurde; wahrscheinlich waren Sie auch noch stolz darauf.

(Michael Brand [Fulda] [CDU/CSU]: Sie waren bei Milosevic!)

Sie ignorieren damit vollkommen das, was Willy Brandt mit den Ostverträgen begründete und was letztlich auch die deutsche Einheit ermöglichte: Ohne und gegen Russland gibt es weder Frieden noch Sicherheit in Europa.

(Beifall bei der LINKEN)

Natürlich sucht sich jetzt Russland auch zweifelhafte Verbündete. Aber damit war doch zu rechnen, wenn die EU Sanktionen beschließt und Russland ausgrenzt.

Die Beziehungen zu den USA dagegen sind für Sie die wichtigsten, und Sie wollen sie auch permanent verbessern. Andere Länder definieren inzwischen längst ihre eigenen Interessen, unabhängig von den USA. Aber Sie hängen nach wie vor am Rockzipfel der US-Administration. Eine Roulettekugel ist im Vergleich zu Trump zwar exakt berechenbar; aber Trump hat schon begriffen, dass der Kalte Krieg zu Ende ist, die Sowjetunion untergegangen ist und alte Feindbilder nicht mehr stimmen.

(Zuruf von der CDU/CSU: Gähn!)

Trump macht nicht nur Wirtschaftskrieg gegen China, er ist auch gegen die EU dazu bereit, solange es seinem nationalen Egoismus nützt. Sie, Herr Maas, verharren im Unterschied zu Trump immer noch in den alten Feindbildern,

(Michael Brand [Fulda] [CDU/CSU]: Ganz anders als Sie!)

nach dem Motto „An der Seite der USA gegen die Sowjetunion“. Sie müssen lernen, neu zu denken! Die Sowjetunion gibt es gar nicht mehr.

(Beifall bei der LINKEN)

Vor allem aber erwarten die Menschen Logik und Nachvollziehbarkeit in der Innen- und Außenpolitik.

(Christoph Matschie [SPD]: Wann haben Sie sich das letzte Mal mit Außenpolitik beschäftigt?)

Ein Beispiel aus der Innenpolitik: Jeder Schwarzfahrer muss Strafe bezahlen; aber bei VW, da zögern Sie, obwohl die ganz eindeutig betrogen haben. – Wer soll das nachvollziehen können?

(Beifall bei der LINKEN)

Den völkerrechtswidrigen Krieg gegen Jugoslawien haben Sie wegen der Verteidigung der Menschenrechte im Kosovo geführt – so haben Sie es erklärt –, begründeten ihn sogar mit dem Verdacht eines Völkermordes.

(Widerspruch des Abg. Michael Brand [Fulda] [CDU/CSU])

Nun aber genehmigten Sie die Lieferung von Waffen an Staaten, die im Jemen einen völkerrechtswidrigen Krieg führen, und zwar seit 2017 im Umfang von 1,3 Milliarden Euro. Saudi-Arabien hungert die Menschen im Jemen mit einer Seeblockade regelrecht aus – die Boote dafür liefert Deutschland. Wenn man Millionen Menschen verhungern lässt, ist das doch wohl eindeutig ein Völkermord, oder?

Warum, Herr Außenminister, kümmerten Sie sich bis zur Ermordung Khashoggis nicht um diesen Widerspruch?

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Die 22 Millionen Betroffenen des Krieges im Jemen waren Ihnen nicht Grund genug dafür. So ist deutsche Außenpolitik schlicht und einfach unglaubwürdig.

Trump schießt jetzt allerdings den Vogel ab. Er hat, was die Ermordung betrifft, festgestellt: Die Führung in Saudi-Arabien war einbezogen. – Mit anderen Worten: Er meint den Kronprinz. Dann sagt er aber, die Topbeziehungen zwischen den USA und Saudi-Arabien müssten bleiben, und zwar aus wirtschaftlichen Gründen und wegen des gemeinsamen Feindes Iran. Damit sagt er aber auch: Ihr könnt weiter morden. Es ändert sich nichts; wir bleiben an eurer Seite.

Ich muss Ihnen wirklich mal sagen: Die internationalen Beziehungen und die Moral sind ja völlig auf den Hund gekommen. Das war früher nicht denkbar.

(Beifall bei der LINKEN – Alois Karl [CDU/CSU]: Na ja, in Ihrer Zeit schon!)

Jetzt will die Kanzlerin die EU natürlich retten. Wodurch? Durch eine europäische Armee will sie den Zerfallsprozess aufhalten.

Die Kanzlerin hat vor dem Europäischen Parlament gesprochen. Ein Wort hat sie nie benutzt, nämlich das Wort „sozial“. Meinen Sie ernsthaft, Sie könnten den Kräften, die Europas Heil in einem völkischen Nationalismus sehen, Paroli bieten, indem Sie aus der EU eine militärische Interventionsmacht machen?

(Gunther Krichbaum [CDU/CSU]: Das ist doch Quatsch! Das wissen Sie doch!)

Breite Teile der Bevölkerung Europas erleben dagegen ihren sozialen Niedergang. Das ist das eigentliche Problem der EU.

(Beifall bei der LINKEN)

Diesem Aufrüstungsprogramm können wir auf gar keinen Fall zustimmen, es sei denn, es kommt ein Angebot, dass mit dem Aufbau einer europäischen Armee der Abbau aller nationalen Streitkräfte verbunden wäre. Ohne diese könnte es tatsächlich keinen Krieg mehr zwischen den EU-Staaten geben. Aber daran ist ja gar nicht gedacht. Sie wollen die europäische Armee obendrauf, um die Rolle des Weltpolizisten mit zu übernehmen, die Trump heimlich ein bisschen aufgibt. Aber ich finde, das verstößt gegen das Grundgesetz und auch gegen die europäische Idee.

(Beifall bei der LINKEN – Christian Schmidt [Fürth] [CDU/CSU]: Herr Gysi, Sie wissen es besser!)

Die EU muss grundsätzlich neu gestaltet werden, damit die europäische Integration wieder eine Zukunft hat. Wir brauchen die europäische Integration aus drei Gründen:

Erstens. Zwischen den EU-Staaten gab es noch nie einen Krieg, während vorher in der Geschichte Europas die Kriege zwischen diesen Staaten für alles kennzeichnend waren. Für die NATO gilt das nicht; denn zwischen Griechenland und der Türkei gab es schon Krieg, aber zwischen EU-Mitgliedsländern noch nicht.

Zweitens. Es gibt eine europäische Wirtschaft. Sie ist nationalstaatlich überhaupt nicht mehr zu regulieren.

Und drittens. Es gibt eine immer europäischer werdende Jugend. Sie spricht ganz gut Englisch und erobert sich den ganzen Kontinent. Wenn wir denen sagen: „Zurück zu alten Nationalstaaten mit Pass und vielleicht noch Visum“, denken die ja, wir haben eine Meise. Deshalb sind wir Alten verpflichtet, für die Jugend die europäische Integration zu retten, aber ganz anders, als das bisher geschieht.

(Beifall bei der LINKEN)