Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Das Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung Halle hat letzte Woche den Zustand Deutschlands 30 Jahre nach dem Mauerfall analysiert. Über die Schlussfolgerungen, die sie ziehen, kann man streiten; aber an der Analyse kommt keiner vorbei – ich zitiere wörtlich –:
"... die Unterschiede zwischen den einzelnen Regionen des Landes sind noch immer teils erheblich. Ob Wirtschaftsleistung, Löhne, Zuwanderung oder Bildung: In vielerlei Hinsicht zeichnen die regionalen Muster nach wie vor die einstige Teilung zwischen DDR und alter Bundesrepublik nach."
So das Institut.
(Beifall des Abg. Dr. Diether Dehm [DIE LINKE])
16,8 Prozent unserer Bevölkerung stammen aus Ostdeutschland, und in den Spitzenpositionen von Politik, Verwaltung, Wirtschaft, Wissenschaft und Kultur sind die Ostdeutschen mit 1,7 Prozent vertreten. Die früheren Versprechen hat die Bundesregierung nie eingehalten. Erstens wurden blühende Landschaften versprochen – das ist ausgefallen –, die gleichwertigen Lebensverhältnisse gibt es nicht, und die innere Einheit ist immer noch nicht verwirklicht.
(Beifall bei der LINKEN)
Manchmal hat man den Eindruck, als ob die Mauer noch stünde.
Ich werde Ihnen ein Beispiel sagen. Ein CDU-Mensch hat zu mir gesagt: Aber, Herr Gysi, Sie vergessen, dass die Mieten und Restaurantpreise im Osten günstiger sind als im Westen. Deshalb ist es gerechtfertigt, geringere Renten und geringere Löhne zu zahlen. – Abgesehen davon, dass man nicht zwei Faktoren nehmen kann, sondern wenn, dann alles, lautete meine Gegenfrage, ob er bestätigen kann, dass in der bayerischen Stadt Hof im Vergleich zur bayerischen Stadt München die Mieten und Gaststättenpreise wesentlich günstiger sind, und ob er je gefordert hat, deshalb dort geringere Löhne und Renten zu zahlen.
(Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Claudia Müller [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Da er das nie gemacht hat, sage ich Ihnen den Unterschied: In seinem Kopf herrscht noch die Spaltung, während bei mir die Einheit vollzogen ist; deshalb käme ich gar nicht auf eine solche Idee.
(Beifall bei der LINKEN)
Das Grundgesetz verlangt in Artikel 36 Absatz 1 Satz 1 Folgendes – ich zitiere unsere Verfassung –:
"Bei den obersten Bundesbehörden sind Beamte aus allen Ländern in angemessenem Verhältnis zu verwenden."
Der Bundestag und die Bundesregierung lassen sich von diesem Artikel nicht leiten. Sie verletzen das Grundgesetz.
(Beifall bei der LINKEN)
In 11 von 14 Bundesministerien gibt es keine einzige Abteilungsleiterin und keinen einzigen Abteilungsleiter aus dem Osten. Es gibt bei 120 leitenden Beamtinnen und Beamten drei Ostdeutsche. Es wird nicht besser, sondern schlechter; denn 2013 waren es noch fünf und 2016 noch vier, jetzt sind es nur noch drei. Wann sind wir bei null? Dieses katastrophale Bild zeichnet sich als Spiegelbild eben auch in den Führungspositionen von Wirtschaft, Hochschulen, Gerichten, Gewerkschaften und Verbänden. Man muss sie mit der Lupe suchen. Und im Osten sieht es auch so aus. Auch dort sind in den Führungen die wenigsten Ostdeutsche; auch das muss man mal erwähnen.
(Beifall bei der LINKEN)
Der Vorsitzende der CDU/CSU-Fraktion, Ralph Brinkhaus, hat sich vor einer Woche in der „Lausitzer Rundschau“ dafür ausgesprochen, die Biografien der Menschen in Ostdeutschland mehr wertzuschätzen und auch ihre Leistungen nach 1990 zu würdigen. Natürlich sagt er das im Landtagswahlkampf um drei ostdeutsche Länder. Trotzdem nehme ich seine Worte ernst und hoffe deshalb, dass er unserem Antrag zustimmt – sonst nimmt er es ja nicht ernst.
(Beifall bei der LINKEN)
Artikel 36 Absatz 1 des Grundgesetzes ist eine zwingende Norm, der umgehend Geltung verschafft werden muss. Der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages hat diesbezüglich eine gesetzliche Regelung für gut befunden, und er hat darauf hingewiesen, dass die neuen Bundesländer dazu vor dem Bundesverfassungsgericht klagen können. Die Frage an Sie lautet: Wollen Sie wirklich eine Entscheidung aus Karlsruhe haben, oder wollen Sie nicht selbst aktiv werden und diese Situation verändern?
(Beifall bei der LINKEN)
Übrigens hat der Wissenschaftliche Dienst auch die Frage beantwortet, wie man definieren kann, wer Ostdeutscher ist. Also: Auch darum müssen wir nicht streiten. Wir brauchen eine neue Quote – eine Ostquote. Auf Zeit können Sie nicht mehr setzen; denn es sind schon 30 Jahre vergangen.
(Beifall bei der LINKEN)
Was glauben Sie, welche nicht nur tatsächliche, sondern symbolische Kraft dies im 30. Jahr nach dem Mauerfall und 2020, im 30. Jahr der deutschen Einheit, hätte. Deshalb meine Bitte: Kommen Sie mir jetzt nicht mit demselben Gerede wie damals mit der Frauenquote – das kenne ich alles noch –, bis dahin, dass dadurch das passive Wahlrecht von Männern eingeschränkt würde etc. Unsere Bevölkerung besteht zu mehr als der Hälfte aus Frauen; aber im Bundestag sind nur 30 Prozent weiblich. Das muss verändert werden.
(Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Antje Lezius [CDU/CSU])
Es gibt übrigens nur zwei Fraktionen, in denen es mehr Frauen als Männer gibt: Das sind die Grünen, und das ist Die Linke. Diesbezüglich können Sie alle von den beiden Fraktionen lernen; es tut mir leid.
(Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Corinna Rüffer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Mit den Verfassungsgrundsätzen ist es übrigens so: Die Gleichstellung steht eben auch im Grundgesetz. Hier hat das Bundesverfassungsgericht entschieden, dass es Vorrang hat.
(Hansjörg Müller [AfD]: Aber nicht die Gleichmacherei!)
Die AfD hat natürlich Schwierigkeiten, gleich viele Frauen aufzustellen. Wissen Sie, woran das liegt? Das liegt daran, dass Frauen nur sehr schwer für Rassismus und Nationalismus zu gewinnen sind. Insofern sage ich dazu gar nichts.
(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der Abg. Antje Lezius [CDU/CSU])
Der Ostbeauftragte der Bundesregierung, Christian Hirte, der ja nach mir spricht, meint, dass eine solche Ostquote ins Elend führe. Ich bitte Sie! Sie sind doch der Beauftragte der Bundesregierung für und nicht gegen die neuen Bundesländer; deshalb sollten Sie Ihre Einstellung verändern.
(Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Corinna Rüffer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Wer die innere Einheit will, muss endlich gleiche Chancen und gleiche Lebensverhältnisse in Ost und West, in Nord und Süd, für Frauen und Männer und für alle Bewohnerinnen und Bewohner, das heißt auch für die Menschen in und aus den neuen Bundesländern, schaffen; sonst nimmt man die Einheit nicht ernst.
Danke schön.
(Beifall bei der LINKEN)