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Gewalt gegen Frauen nimmt zu und die Ampel bleibt untätig

von Heidi Reichinnek,

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist ein Skandal, dass wir jedes Jahr wieder das Thema „Gewalt gegen Frauen“ diskutieren müssen.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Es gibt jedes Jahr neue, immer krassere Zahlen. Allein letztes Jahr wurden 240 000 Menschen Opfer von häuslicher Gewalt, fast 160 000 wurden Opfer von Partnerschaftsgewalt. 150 Menschen wurden von ihrem Partner oder Ex-Partner getötet. Und der überwiegende Teil der Opfer sind – das wissen Sie hier alle – Frauen. Trotzdem fehlen immer noch circa 14 000 Frauenhausplätze. Frauenberatungsstellen sind chronisch unterfinanziert, haben viel zu wenig Personal, das viel zu viel leisten muss. Die Prävention bleibt dabei vollständig auf der Strecke. Und das ist noch nicht mal das Schlimmste. Wissen Sie, was für mich der größte Skandal ist? Dass im letzten Jahr jede vierte Frau ihren Aufenthalt im Frauenhaus teilweise oder vollständig selbst bezahlen musste.

(Beifall der Abg. Dr. Petra Sitte [DIE LINKE] – Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Unglaublich!)

Das muss man sich mal vorstellen: Eine Frau wird vom Partner bedroht, verprügelt, vergewaltigt, und wenn sie dann Schutz sucht, muss sie dafür bezahlen? Wo leben wir eigentlich?

(Beifall bei der LINKEN)

Die Ampel hatte sich zwar darauf geeinigt, das endlich zu ändern, aber die halbe Legislatur ist vorbei und es ist nicht wirklich etwas passiert. Ja, es gibt jetzt einen Arbeitskreis, der die Koordinierungsstelle vorbereitet, die dann – seien wir ehrlich! – viel zu wenige Ressourcen haben wird. Das ist zu langsam. Der Bund entzieht sich doch hier wieder seiner Verantwortung. Aber das Thema brennt. Jeder Tag, den Frauen warten müssen, ist einer zu viel.

(Zuruf von der SPD: Richtig!)

Wir brauchen endlich eine bedarfsdeckende Finanzierung von Frauenhäusern, und der Bund muss seinen Teil dazu beitragen.

(Beifall bei der LINKEN)

Und ich schwöre: Wenn hier nachher wieder jemand mit leeren Kassen oder Schuldenbremse kommt, dann garantiere ich für gar nichts mehr.

Dabei haben wir doch in Europa Vorbilder, an denen sich die Regierung mal ein Beispiel nehmen könnte. In Spanien zum Beispiel trat letztes Jahr das „Nur Ja heißt Ja“-Gesetz in Kraft. Frauenfeindliche Morde werden in Spanien als Femizide registriert. Darunter fällt alles, was hierzulande noch als „Familiendrama“ oder „Beziehungstat“ verharmlost wird. Bis 2025 – und da passen Sie mal ganz genau auf! – nimmt die spanische Regierung zusätzlich 20 Milliarden Euro für Gleichstellung in die Hand. Das ist dort nämlich Staatsaufgabe mit hoher Priorität. Warum geht das hierzulande nicht?

(Beifall bei der LINKEN – Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Richtig!)

Aber wissen Sie, was mich in letzter Zeit wirklich wütend macht? Es ist nicht nur so, dass die sogenannte progressive Fortschrittskoalition hier gerade wirklich nichts auf die Kette bekommt. Sie verhindern auch noch Verbesserungen, die andere erreichen wollen: konkret aktuell die Europäische Union. Dort wird nämlich gerade die Richtlinie zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt diskutiert; dazu hat die EU-Kommission einen Vorschlag vorgelegt. Aber einige Mitgliedstaaten, darunter auch Deutschland, haben gefordert, den Artikel zur Vergewaltigung aus diesem Vorschlag zu streichen. Was sind denn Vergewaltigungen, wenn nicht sexuelle Ausbeutung und Gewalt gegen Frauen? Justizminister Buschmann argumentiert, er habe verfahrensrechtliche Bedenken. Dabei sollte Herr Buschmann doch der offene Brief der European Women’s Lobby bekannt sein, der von mehr als 70 Rechtsexpertinnen und Rechtsexperten und Frauenorganisationen gezeichnet wurde und juristische Argumente liefert, wieso die EU hier sehr wohl eine Regelungskompetenz hat. Wenn Herr Buschmann die Richtlinie aber weiter blockiert, dann ist der Prozess vorerst gescheitert, und das ist unfassbar.

(Beifall bei der LINKEN)

Ich schließe mich deswegen dem offenen Brief zahlreicher Organisationen an und sage: Ein geschlechtsspezifisches Gewaltschutzpaket, das Vergewaltigung nicht thematisiert, ist kein Gewaltschutzpaket.

(Beifall bei der LINKEN – Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Richtig!)

Und zum Abschluss ist mir eine Sache noch besonders wichtig, weil wir dazu ja leider keine eigene Debatte haben. Auch die Gewalt gegen queere Personen steigt jedes Jahr bedrohlich an, und ich sage es hier einmal klar und deutlich: Feministinnen und Feministen kämpfen für alle Opfer von Gewalt.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der Abg. Gyde Jensen [FDP])

Allein letztes Jahr gab es über 1 000 Delikte gegen die sexuelle Orientierung. Das ist eine Verdreifachung in den letzten fünf Jahren. Auch die Gewalt gegen Pride-Märsche nimmt zu. Queere Menschen erleben zunehmend Ausgrenzung, und gerade die in Teilen zutiefst abscheulich und faktenfrei geführte Debatte zum Selbstbestimmungsgesetz – das haben wir gestern Abend hier wieder erlebt und gerade eben auch – sorgt dafür, dass die Situation immer schlimmer wird. Ich sage es noch mal klar: Menschenrechte sind universell und damit auch der Schutz vor Gewalt, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Und deswegen, denke ich, sollten wir uns doch bei dem Aufruf einig sein, mit dem ich schon letztes Jahr meine Rede beendet habe: Kommt, wir stürzen das Patriarchat!

Vielen Dank.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)