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Generationengerechtigkeit: Die Konfliktlinie in unserer Gesellschaft verläuft nicht zwischen Jung und Alt

Rede von Sevim Dagdelen,

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Rückbau und der Abbau von sozialen Errungenschaften tarnen sich gern mit den schönsten Titeln. Der Generationenvertrag zwischen Jung und Alt in unserem Land ist eine soziale Errungenschaft, und der Gesetzentwurf der jungen Parlamentariergruppe hat einen schönen Titel: Generationengerechtigkeitsgesetz.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Nur täuscht ein schöner Titel nicht darüber hinweg klatschen Sie nicht zu früh! , dass es in diesem Gesetzentwurf durchaus nicht um Gerechtigkeit, sondern um plumpen Egoismus geht.
(Beifall bei der LINKEN - Jens Spahn (CDU/CSU): Wo? Eine Zeile!)
Es ist gewiss nicht leicht, zu ermitteln, was gerecht und was ungerecht ist. Im Zweifel erkennt man aber die Gerechten daran, dass sie nicht zuerst an sich denken, sondern an die anderen.
(Beifall bei der LINKEN)
Für die Linke möchte ich an eine Tatsache erinnern, die so offensichtlich ist, dass man dazu neigt, sie manchmal zu vergessen. Alles, was uns heute zur Verfügung steht, ist das Werk älterer Generationen. Alles, worüber wir heute verfügen, unsere Technik, unsere Kultur, unsere sozialen und politischen Erfolge, sogar alles, was uns heute hier in diesem Saal an Einrichtung und Ausstattung umgibt, fußt auf dem Lebenswerk derer, die heute alt sind. Diese Generation hat in den Erfolg einer Zukunft nachhaltig investiert, die wir heute unsere Gegenwart nennen. Es ist also völlig gerecht, dass diese ältere Generation am materiellen Wohlstand der gegenwärtigen Gesellschaft teilhaben darf, für die sie schließlich die Grundlagen geliefert hat.
(Beifall bei der LINKEN - Daniel Bahr (Münster) (FDP): Da widerspricht doch keiner!)
Der vorliegende Gesetzentwurf ist dagegen nicht nur ungerecht, sondern auch noch schlicht beschämend.
(Widerspruch bei der CDU/CSU und der SPD Paul Lehrieder (CDU/CSU): Thema verfehlt! Setzen, sechs!)
Darin ist viel von Zukunft und Nachhaltigkeit die Rede. Der Begriff der Nachhaltigkeit war ursprünglich einmal positiv besetzt.
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Frau Kollegin, möchten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Spahn zulassen?
Sevim Dağdelen (DIE LINKE):
Nein, im Moment nicht, vielleicht am Ende der Rede. Wie nun im Gesetzentwurf der jungen Parlamentarier zu erkennen ist, machen sich diesen Begriff vermehrt diejenigen zu eigen, denen es um die Nachhaltigkeit sozialer Missstände geht. Es sind aber nicht die Alten, die der Bewahrung der Lebensgrundlagen im Wege stehen, sondern es ist die Logik einer Wirtschaft, deren höchstes Ziel der Profit ist, die den sozialen Frieden ebenso bedroht wie die Lebensgrundlagen der zukünftigen Generationen.
(Beifall bei der LINKEN)
Der Gesetzentwurf liest sich so, als gäbe es eine wunderbare Welt von morgen, die den Jüngeren gehört, und eine Welt von gestern, die von den Alten beherrscht wird und den Weg in die Welt von morgen versperrt.
(Daniel Bahr (Münster) (FDP): Dann müssen Sie einen anderen Gesetzentwurf gelesen haben!)
Dies ist ein infantiles Weltbild.
(Beifall bei der LINKEN Jens Spahn (CDU/CSU): Wo steht das im Gesetzentwurf? Haben Sie ihn überhaupt gelesen?)
Steht denn nicht jede Generation auf den Schultern der alten, um dort zu wachsen, bis sie neue Generationen zu schultern imstande ist?
Allem voran ist das Weltbild der jungen Parlamentariergruppe aber unvollständig. Es bleiben darin die wirklichen Konflikte unbeachtet, die uns den Weg in eine gerechte Gesellschaft tatsächlich versperren.
(Jens Spahn (CDU/CSU): Ins Paradies!)
Die wahre Konfliktlinie in unserer Gesellschaft verläuft nicht zwischen Jung und Alt. Sie verläuft auch nicht zwischen denen, die Arbeit haben, und denen, die keine Arbeit haben. Sie verläuft nicht zwischen den Kulturen, und sie hat auch nichts mit der staatsrechtlichen Herkunft der Menschen zu tun. Nein, die echten Konfliktlinien verlaufen zwischen denen, die für ihre Arbeitsleistung gerade einmal einen mäßigen Lohn bekommen, und denen, die sich an der Arbeit ihrer Mitmenschen hemmungslos bereichern.
(Beifall bei der LINKEN)
Die Linie verläuft zwischen es ist bemerkenswert, dass das gerade die FDP moniert denen, die nur ihre Arbeitskraft am Markt anbieten können,
(Julia Klöckner (CDU/CSU): Schwarz-weiß ist die Welt!)
und jenen, die diesen Markt mit reichlich Kapital steuern. Die echte Konfliktlinie verläuft zwischen solchen jungen Menschen von heute, die schon ab der Wiege ausgesorgt haben, und jenen, die sich ein ganzes Leben lang ohne wirkliche Chancen plagen werden.
Die Konfliktlinie verläuft zwischen denen, die ohne Arbeit leben und bleiben, und jenen, die ihren Beschäftigten Überstunden und Mehrarbeit abverlangen. In der Vermittlung dieser Konflikte liegt aller Anfang für eine wirklich gerechte Gesellschaft für alle Generationen. Schaut man sich dagegen den Gesetzentwurf dieser jungen Parlamentariergruppe an, möchte man sagen: Aller Anfang ist schwer.
Um den Startschwierigkeiten auf dem Weg in eine gerechte Zukunft etwas abzuhelfen, hat Ihnen die Linke heute einen Antrag vorgelegt. Mit der Verfassung geht die Linke davon aus, dass das Sozialstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 1 Grundgesetz den Staat verpflichtet, dafür Sorge zu tragen, dass jeder Mensch in die Lage versetzt wird, am gesellschaftlichen Leben teilzuhaben und sich selbst verwirklichen zu können.
(Julia Klöckner (CDU/CSU): Auch die, die noch nicht geboren sind!)
Wenn wir dieses Verfassungsprinzip endlich in die Tat umsetzen würden so ist es nämlich nicht , brauchten wir heute keine Debatte zu einem Unthema namens Generationengerechtigkeit.
(Beifall bei der LINKEN)
Die Verfassung zeichnet uns das unverwirklichte Bild einer Gesellschaft, in der der Mensch Maß aller Dinge ist und nicht die Verwertungslogik des Kapitals. In dieser Gesellschaft wird es dann auch eine Gerechtigkeit für junge und alte Menschen geben.
Ich danke Ihnen.
(Beifall bei der LINKEN)