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»Gehen Sie endlich einen anderen Weg, gerade bei der Kernenergie«

Rede von Gregor Gysi,

Gregor Gysi in der Debatte über das Energiekonzept der Bundesregierung

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Was ich bei den Mitgliedern der Fraktionen von Union und FDP überhaupt nicht verstehe, ist, warum sie jetzt dazu neigen, die Bevölkerung permanent und in jeder Hinsicht zu provozieren. Was wollen Sie eigentlich erreichen? Sie geben bei Stuttgart 21 keinen Millimeter nach und setzen die Polizei in einer Art und Weise ein, die indiskutabel ist. Bei den Demonstrationen waren ganz viele CDU-Wählerinnen und CDU-Wähler dabei. Glauben Sie im Ernst, dass diese Ihre Partei weiterhin wählen werden, wenn sie zusammengeschlagen werden? Was wollen Sie eigentlich? Sie provozieren bei der Kernenergie eine gesellschaftspolitische Auseinandersetzung, die im Kern nichts bringt und Ihnen nichts nutzt. Ich weiß gar nicht, wie Sie die Gesellschaft verändern wollen und wozu Sie das Ganze so betreiben

(Zuruf von der CDU/CSU: Zur Sache!)

- Zur Sache, ja. - Passen Sie auf: Herr Fuchs hat gerade gesagt, dass Sie die Partei des Eigentums sind. Das stimmt in folgender Hinsicht: Sie wollen, dass der Milliardär Milliardär bleibt und der Bettler seine Krücke behält. Man muss ein bisschen umverteilen, wenn man Gerechtigkeit in der Gesellschaft organisieren will.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN - Lachen bei Abgeordneten der FDP - Volker Kauder (CDU/CSU): Wir wollen auch, dass der Arzt seinen Porsche behalten kann!)

Auch etwas ganz anderes ist sehr interessant: Warum führt eigentlich in dieses Thema der Bundeswirtschaftsminister ein und nicht der Bundesumweltminister?

(Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Er redet erst sehr viel später. Schon daran sieht man, dass Sie den Kern der Frage überhaupt nicht verstanden haben.

Was Sie in Sachen Atomenergie machen, ist ganz einfach: Es gibt in Deutschland vier große Konzerne. Diese Konzerne bestimmen leider nicht nur die Preise, sondern sie bestimmen auch, was die Bundesregierung und die Mehrheit des Bundestages machen. Das beschädigt die Demokratie. Das nehmen Sie einfach in Kauf.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN - Zuruf von der CDU/CSU: So ein Quatsch!)

  Das können Sie doch nicht leugnen! Wenn Sie eine Steuer zum Nachteil der Bäckermeister einführen, sprechen Sie mit keiner Innung der Bäckermeister. Wenn Sie das Elterngeld der Hartz-IV-Empfängerinnen und Hartz-IV-Empfänger streichen, reden Sie mit keiner Vertretung der Hartz-IV-Empfängerinnen und Hartz-IV-Empfänger. Aber wenn Sie etwas im Bereich der Atomwirtschaft machen, dann müssen die vier großen Konzerne zustimmen. Die werden gefragt, und was die Ihnen nicht zubilligen, das machen Sie auch nicht. Damit beschädigen Sie die Demokratie.

(Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

In den letzten Jahrzehnten haben wir für die Kernenergie Subventionen in Höhe von 160 Milliarden Euro zur Verfügung gestellt. Aber den Hartz-IV-Empfängerinnen und Hartz-IV-Empfängern sagen Sie: Ihr bekommt 5 Euro mehr pro Monat. Mehr ist nicht drin.   Das sind die Widersprüche Ihrer Politik.

Die Bürgerinnen und Bürger verstehen auch nicht, warum Sie für Stuttgart 21 viele Milliarden Euro aufbringen, für die Lösung sozialer Probleme aber keinen Euro zur Verfügung stellen. Das ist eine Frage, die Sie beantworten müssen.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Sie haben die Macht der vier Konzerne in jeder Hinsicht zementiert, und das Kartellrecht kennen Sie nicht mehr. Ich frage die FDP: Wo sind denn all Ihre Vorstellungen von Marktwirtschaft geblieben? Was glauben Sie, was die vier großen Konzerne machen werden? Entgegen Ihrer Annahme sind sie in der Lage, miteinander zu telefonieren. Sie werden sich absprechen und festlegen: Ab nächster Woche kostet das Ganze so und so viel.   Aus, Feierabend! Nichts mit Marktwirtschaft, nichts mit Kartellverhinderung!

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Deshalb warnen sogar die Monopolkommission und das Kartellamt vor dem, was Sie jetzt betreiben.

Die Demokratie muss im Übrigen auch dadurch gesichert werden, dass die Politik zuständig bleibt.

(Hans-Michael Goldmann (FDP): Ach! Ehrlich?)

  Ja, das muss ich Ihnen sagen.

(Volker Kauder (CDU/CSU): Mir?)

  Ich will Ihnen ein Beispiel nennen, Herr Kauder, damit auch Sie es verstehen. Passen Sie auf! Nehmen wir einmal an, wir beide treten in einer Stadt als Oberbürgermeisterkandidaten gegeneinander an.

(Volker Kauder (CDU/CSU): So ist es aber nicht, mein Lieber!)

Ich sage jetzt nicht, wer gewinnen würde.

(Heiterkeit bei Abgeordneten der LINKEN und der SPD)

Aber ich sage Ihnen, was das Problem ist. Sie haben dafür gesorgt, dass weder Sie noch ich, egal wer von uns Oberbürgermeister würde, hinsichtlich der Energiepreise irgendetwas zu entscheiden hätte. Das empfinden die Leute als Verletzung der Demokratie. Denn der Sinn der Wahl zwischen uns ist doch, dass derjenige, der gewählt wird, auch in der Lage ist, die Verhältnisse zu ändern. Wenn Sie alles privatisieren, wenn Sie alle Kompetenzen an Konzerne übertragen, dann hat die Politik aber nichts mehr zu entscheiden. Genau das verletzt die Demokratie. Das müssen Sie endlich begreifen.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN - Volker Kauder (CDU/CSU): Das stimmt doch gar nicht!)

Was die Energiepolitik betrifft, sind wir für eine dezentrale, für eine kommunale Versorgung, damit die Zuständigkeit der Politik und damit auch der Einfluss der Bürgerinnen und Bürger wiederhergestellt werden.

Sie haben ausschließlich Lobbyinteressen verwirklicht; dazu habe ich mich schon geäußert. Ich muss allerdings noch einmal sagen: Wir werden 5 000 Tonnen zusätzlichen Atommüll bekommen, es gibt kein Endlager, und was Gorleben betrifft, werkeln Sie nur herum. Es gibt aber überhaupt keine Lösung.

Es ist übrigens auch immer wieder schön, zu hören, dass bestimmte Bundesländer Gorleben als Endlagerstandort vorschlagen; in Bayern zum Beispiel soll es ja kein Endlager geben. Dieses Vorgehen kenne ich schon. Ich bin es leid, und ich muss Ihnen sagen: Auch die Bevölkerung ist es leid.

Sie stellen lauter falsche Behauptungen auf. Die erste Behauptung: Die Kernenergie ist als Brückentechnologie unverzichtbar.   Sie behaupten, wenn wir jetzt Kernkraftwerke abschalteten, würde der Strom teurer werden. Im ersten Halbjahr 2010 haben wir eine Strommenge von 11 Milliarden Kilowattstunden exportiert. Wenn wir die sieben ältesten und marodesten Atomkraftwerke schlössen, brauchten wir nicht eine einzige Kilowattstunde zu importieren. Was Sie hier sagen, ist falsch.

(Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Die zweite Behauptung, die Sie aufstellen - diese Behauptung finde ich noch abenteuerlicher  , ist: Die Hälfte der Extraprofite werden abgeschöpft. - Mit diesem Thema habe ich mich eingehend befasst. Sie sprechen übrigens mittlerweile von einem Betrag in Höhe von 2,6 Milliarden Euro, was großer Quatsch ist. Es geht um 2,3 Milliarden Euro.

(Dr. Michael Fuchs (CDU/CSU): Plus 300 000! Sie können ja nicht rechnen! Das konnten die Linken noch nie!)

  Warten Sie doch einmal ab. Zu den anderen Beträgen komme ich noch, Herr Fuchs. 

(Dr. Michael Fuchs (CDU/CSU): Na also! Dann reden Sie hier doch kein falsches Zeug!)

Ein Vertreter des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, des DIW, sagte auf Phoenix: 2,3 Milliarden Euro sind doch eine beachtliche Summe.   Warum fügen Sie nicht hinzu, dass dieser Betrag zu einem so großen Teil steuerlich absetzbar ist   das gilt im Hinblick auf die Körperschaft- und die Gewerbesteuer  , dass der Reingewinn nur 1,5 Milliarden Euro ausmacht? Warum sagen Sie hier nicht die Wahrheit? Das ist nämlich ein beachtlicher Unterschied.

(Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Ernst Hinsken (CDU/CSU): Ach! Das stimmt doch so gar nicht! - Dr. Michael Fuchs (CDU/CSU): Quatsch!)

Man muss noch hinzufügen, dass die Gewerbesteuer die Kommunen bekommen und dass die Brennelementesteuer der Bund bekommt. Das heißt, wenn man diese Beträge bei der Gewerbesteuer absetzen kann, schwächen Sie die Kommunen weiterhin, die schon heute nicht wissen, wie sie eine Toilette in der Schule reparieren lassen sollen. Das ist das Problem, mit dem wir es zu tun haben.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Eben ist schon darauf hingewiesen worden: Sechs Jahre lang gilt das Ganze. Wieso eigentlich nur sechs Jahre lang? Also: Es kommt ein Betrag von 9 Milliarden Euro heraus und nicht der Betrag, von dem Sie träumen. Hinzu kommen die 15 Milliarden Euro für die erneuerbaren Energien.
Herr Fuchs, warum fügen Sie nicht hinzu, dass Sie Folgendes vereinbart haben: Wenn die Laufzeiten von einer neuen Mehrheit im Bundestag wieder gekürzt werden, brauchen die Atomkonzerne nicht zu bezahlen. Das haben Sie mit ihnen vereinbart.

(Dr. Georg Nüßlein (CDU/CSU): Logisch!)

Das Zweite, was Sie vereinbart haben, ist: Wenn es neue Steuern gibt, können die Atomkonzerne die neuen Steuern von den 15 Milliarden Euro abziehen.

Als Drittes haben Sie vereinbart, dass man, wenn die Kosten   zum Beispiel für Endlager, aber vor allen Dingen auch für neue Sicherheitsstandards in den Atomkraftwerken   den Betrag von 500 Millionen Euro überschreiten, den überschreitenden Betrag von den 15 Milliarden Euro abziehen kann. Nun sagt der Bundesumweltminister Ihrer Partei, dass das Ganze pro AKW 1,2 Milliarden Euro kosten wird, nicht 500 Millionen Euro.

(Ulrich Kelber (SPD): Er hat schon aufgegeben!)

Wenn man die 700 Millionen Euro Mehrbetrag nimmt, den man abziehen wird, bleiben von den 15 Milliarden Euro ernsthaft nur 3 Milliarden Euro übrig. 9 und 3 Milliarden Euro macht zusammen 12 Milliarden Euro. Der Gewinn liegt aber bei mindestens 67 Milliarden Euro. Wie Sie da auf die Hälfte kommen, ist ein reiner Witz.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN - Dr. Michael Fuchs (CDU/CSU): Auf diese Art hat er schon die SED kaputtgerechnet!)

Aber 67 Milliarden Euro Extragewinn gibt es nur dann, wenn die Preise gleich bleiben. Ich sage Ihnen: Es gibt keine Bürgerin und keinen Bürger, die bzw. der auch nur eine Sekunde lang glaubt, dass die Preise über so viele Jahre hinweg gleich bleiben; vielmehr werden sie steigen. Selbst wenn man nur eine angemessene Preissteigerung zugrunde legt, wird der Extraprofit bei 127 Milliarden Euro liegen.

(Dr. Michael Fuchs (CDU/CSU): Dann müssen sie ja mehr zahlen!)

Sie schwächen die Stadtwerke. Die Stadtwerke haben investiert, weil sie von einem anderen Vertrag ausgegangen sind. Nur durch falsche Investitionen verlieren sie 4 Milliarden Euro.
Herr Brüderle, Sie haben heute etwas nicht wiederholt. Wollen Sie sich korrigieren? Sie haben gesagt, die Strompreise würden um 8 Milliarden Euro heruntergehen. Aber der Chef von RWE, der Chef eines großen Konzerns, hat gesagt: Das ist völliger Blödsinn. - Der Preis wird nämlich um keinen Cent gesenkt werden. Davon sollten die Bürgerinnen und Bürger gar nicht erst anfangen zu träumen.

Ich sage noch einmal: Erstens. Dieser Atomvertrag ist ein Verfassungsbruch. Er ist ein Geheimvertrag. Sie haben den Bundestag ausgeschlossen. Inzwischen ist alles bekannt, aber nicht durch Sie, sondern weil Leute das den Medien gesteckt haben.

(Volker Kauder (CDU/CSU): Quatsch!)

Das Zweite ist: Sie wollen jetzt alles in einem Tempo durch die Ausschüsse peitschen, das wirklich selten ist. Dabei haben Sie Folgendes gemacht   ich habe zweimal nachgefragt, ob das stimmt  : Sie haben Sachverständige bestellt. Sie sollen sowohl die Steuer als auch die Sicherheitsmaßnahmen in AKWs erklären. Auf der Welt gibt es keinen Sachverständigen, der von Steuern genauso viel versteht wie von Sicherheitsanlagen in AKWs. Auch das geht also daneben.
Sie haben den Vertrauensschutz bei den Investitionen der Kommunen verletzt. Sie wollen den Bundesrat ausschließen. Das alles ist nicht machbar und grundgesetzwidrig. Grundgesetzwidrig werden Sie das Ganze nicht hinbekommen.

Nun haben Sie noch einmal getagt. Ich dachte: Mal sehen, was jetzt herauskommt.   In Ihrem Entwurf stand, dass die Gebäudeeigentümer   Stichwort „Schutz des Eigentums“   verpflichtet sind, Gebäudesanierungsmaßnahmen vorzunehmen. Jetzt haben Sie eine freiwillige Maßnahme daraus gemacht. Und warum? Weil die Hausbesitzer -und Immobilienverbände das von Ihnen verlangt haben.

(Volker Kauder (CDU/CSU): Quatsch, Herr Gysi!)

Wenn Sie schon diese einladen, Herr Kauder, warum laden Sie dann nicht auch einmal den Mieterbund ein?

(Dr. Georg Nüßlein (CDU/CSU): Das tun wir doch!)

Dann stellt sich doch die Kanzlerin anschließend hin und sagt: Die Mehrkosten, die dadurch entstehen, werden die Mieterinnen und Mieter tragen müssen.   Das finde ich unverfroren, muss ich Ihnen sagen.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN - Widerspruch bei der CDU/CSU und der FDP)

Hinsichtlich der Ökosteuern, die jetzt auch energieintensive Unternehmen bezahlen sollten, haben Sie gesagt: Das wird natürlich einmal gestrichen.   In der Autoindustrie sollte der CO2-Ausstoß bis zum Jahr 2040 von 160 Gramm pro Kilometer auf 35 Gramm pro Kilometer gesenkt werden. Das wurde gestrichen.

Sie wollten die Lkw-Maut ausweiten. Plötzlich ist Ihnen eingefallen, Sie wollen sie doch nicht ausweiten; es bleibt bei dem, was ist. Dabei ist die Lkw-Maut wichtig, damit wir die Transporte von der Straße endlich auf die Schiene verlegen. Wir brauchen keine unterirdischen Bahnhöfe, sondern wir brauchen eine Förderung der Bahn in anderer Hinsicht.

(Beifall bei der LINKEN - Patrick Döring (FDP): Keine Ahnung, und davon eine Menge!)

Dann fordern Sie auch noch Kohlekraftwerke, und zwar nicht nur die, die wir schon haben, und die, die geplant und im Bau sind, sondern Sie wollen noch weitere haben. Das alles hat mit Zukunft nichts zu tun.

Bei all dem, was Sie hier an Leistung betont haben, Herr Fuchs, haben Sie einen Zusatz vergessen. Ob das Kreditprogramm Offshore-Windenergie mit 500 Millionen Euro, die Nationale Klimaschutzinitiative mit 200 Millionen Euro oder die Forschung für erneuerbare Energien mit 300 Millionen Euro: All dies steht unter dem Vorbehalt der Zustimmung des Bundesfinanzministers.

(Michael Kauch (FDP): Nein, des Bundestages!)

Er kann jeden Tag Nein sagen.

Sie machen ein Programm der Vergangenheit und kein Programm der Zukunft. Sie eskalieren, anstatt zu deeskalieren. Gehen Sie endlich einen anderen Weg, gerade bei der Kernenergie

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)