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"Für ein Turkmenistan mit Zukunft" - Antrag von Bündnis 90 / Die Grünen

Rede von Wolfgang Gehrcke,

Rede zum Antrag der Fraktion Bündnis90/Die Grünen „Für ein Turkmenistan mit Zukunft“

(zu Protokoll gegeben)

Meine Damen und Herren,

Turkmenistan ist zweifellos eine Diktatur. Auch nach Auffassung der Linken müssen die besorgniserregenden Berichte über den Zustand demokratischer und Menschenrechte in diesem zentralasiatischen Land ernst genommen werden. Ob es sich um Berichte bzw. Beschlüsse von Amnesty International, Human Rights Watch, OSZE oder der UN-Generalversammlung handelt - Zweifel scheinen nicht angebracht, dass die Menschen in Turkmenistan, wenn sie ihr Recht auf freie Meinungsäußerung, politischer Partizipation u. a. Bürgerrechte wahrnehmen wollen, mit Repressionen, Inhaftierung bis hin zu Folterungen rechnen müssen. So verhielt es sich unter der Regierung des verstorbenen Präsidenten Nijasow und - das ist zu befürchten - so wird es vermutlich auch unter dem neuen Präsidenten, der am 11. Februar 2007 gewählt werden soll, weitergehen.

Verhältnisse, die denen in Turkmenistan ähneln, gibt es zweifellos in vielen Ländern der Erde. Die Frage ist, wie Deutschland mit solchen Staaten seine kulturellen, wirtschaftlichen und politischen Beziehungen zum Nutzen der Menschen gestalten soll. Sie formulieren im Falle Turkmenistans in 21 Punkten Forderungen, die die Bundesregierung an die turkmenische zu richten habe. Kein souveräner Staat wird so etwas akzeptieren und Diktaturen schon gar nicht. Im Interesse der Verbesserung der Menschenrechtssituation in Turkmenistan, an der uns gelegen sein muss, ist ein Vorgehen, das als Diktat angesehen werden kann, alles andere als produktiv.

Natürlich würde ich mir für die Bevölkerung Turkmenistans wünschen, dass sie in den Genuss aller dieser im Antrag eingeforderten bürgerlich-demokratischen Freiheiten gelangt. So wie ich das auch für alle anderen Völker wünsche, umso mehr, wenn die Bundesrepublik gute und umfassende Beziehungen zu ihren Regierungen unterhält. Ökonomischen Druckmitteln, sofern sie nicht die Bevölkerung trifft, würde ich gern zustimmen. Aber: Wenn von Dritten Forderungen nach Einhaltung von demokratischen und Menschenrechten gestellt werden, möchte ich hinterfragen, ob und welche anderen Interessen mit solchen Forderungen - unter der Hand - mittransportiert werden.

Ich gebe Ihnen dafür ein Beispiel:
Das Auswärtige Amt hat in seinen „Länderinformationen“ Turkmenistan zum Stichwort Religionsfreiheit folgendes notiert: Durch den Druck insbesondere der USA „sind mittlerweile folgende weitere Religionsgemeinschaften zugelassen: Baptisten, Sieben-Tage-Adventisten, Bahai, Hare Krishna, Greater Christchurch, Church of Christ, Light of East, Full Gospel Christian und New Apostolic Church“.

Ich bin kein Experte, was religiöse Sekten anlangt, aber ein Blick ins Internet bestätigt meine Befürchtungen, dass es mehr als zweifelhaft ist, ob die Zulassung solcher Sekten bzw. Religionsgemeinschaften unter dem Markenzeichen „Religionsfreiheit“ den Turkmeninnen und Turkmenen einen echten Zugewinn an Freiheit bringt.

Ich bin nicht so naiv zu ignorieren, dass unter dem Mantel von Forderungen z. B. nach Pressefreiheit oder Religionsfreiheit, der Freiheit der Meinungsäußerung, freie Wahlen usw. ganz andere Interessen transportiert werden; Interessen, die z. B. auf die Verbreitung von Bewusstseinsinhalten, Einstellungen und Wünschen gerichtet sind, die mit der Ausbreitung neoliberaler Ideen und Haltungen kompatibel sind. Die Forderung nach Freiheit von und für was auch immer bietet unter den Bedingungen wirtschaftlicher Ungleichheit dem Stärkeren immer auch die Möglichkeit, den Schwächeren zu manipulieren, zu dominieren und auf indirektem Wege zu unterwerfen.

Dieser Antrag ist ein Musterbeispiel für das Messen mit zweierlei Maß. Denn es ist ja keineswegs so, dass die Bundesregierung aufgefordert wird, ihre anderen Partner, die ebenfalls grundlegende Defizite in Sachen Demokratie und Menschenrechte aufweisen, nach den gleichen Kriterien zu messen. Bei Turkmenistan traut man sich eben, was man sich bei Saudi-Arabien nicht traut. Messen mit zweierlei Maß macht nicht nur unglaubwürdig, sondern verstärkt auch den Verdacht, dass im Zweifelsfall wirtschaftliches Interesse und geostrategische Brauchbarkeit über Menschenrechte gestellt werden.