Zum Hauptinhalt springen

Freiheit ist immer die Freiheit des Andersgläubigen

Rede von Raju Sharma,

Rede zum Antrag der Regierungskoalition zum Thema "Religionsfreiheit weltweit schützen"

Herr Präsident! Meine Damen und Herren!

In ihrem Antrag fordern die Koalitionsfraktionen, Religionsfreiheit weltweit zu schützen. Wir als Linke können das nur unterstützen. Denn natürlich schätzen und achten wir die Freiheit jedes Menschen, seinen Glauben frei von Unterdrückung und Verfolgung zu leben,


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


genauso wie wir die Freiheit grundsätzlich achten; denn tatsächlich ist die Linke die Partei der Freiheit.


(Beifall bei der LINKEN – Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP – Christoph Strässer [SPD]: Oh ja! Vor allem die Partei der Wahlfreiheit!)


Hören Sie ruhig zu! Das mag einige von Ihnen überraschen,


(Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]:
Freuen Sie sich darüber!)


weil wir die Rechtsnachfolgerin der SED sind, die bekanntermaßen die Freiheit nicht geschätzt und geachtet hat, anders als wir Linke heute. Wir stehen zu dieser Vergangenheit, wir stellen uns ihr, und wir haben aus ihr gelernt.


(Beifall bei der LINKEN)


Heute ist die Linke diejenige unter allen demokratischen Parteien, die im innerparteilichen Diskurs die Meinungsvielfalt nicht nur toleriert, sondern als Reichtum begreift und deshalb unterstützt und fördert.


(Beifall bei der LINKEN – Dagmar Ziegler [SPD]: Das haben wir letzte Woche gesehen! –
Volker Kauder [CDU/CSU]: Wo ist Sahra Wagenknecht?)


– Warten Sie es ab, Herr Kauder. – Auch in unserer Programmdebatte wird der Begriff der Freiheit einen wichtigen Platz einnehmen; denn anders als die FDP haben wir die Freiheit nicht als Statue, sondern als Statut.


(Lachen bei Abgeordneten der FDP)


Auch das hat in der Linken Tradition: Freiheit und Gleichheit begreifen wir nicht als Gegensatz, sondern als sich ergänzende und sich bedingende Elemente der Demokratie, ohne dass eines von beiden größer geschrieben würde.


(Beifall bei der LINKEN)


Deshalb nimmt es auch nicht wunder, dass das bekannteste Zitat zur Freiheit von einer Sozialistin stammt. Das gilt ganz besonders für den Bereich, der den Menschen tief berührt und sein Selbstverständnis betrifft; somit ist auch ganz klar: Freiheit ist immer auch die Freiheit des Andersgläubigen.


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Christoph Strässer [SPD])


Wir verurteilen es natürlich, wenn in vielen Ländern dieser Welt Religionsfreiheit noch keine Selbstverständlichkeit ist. Ein Beispiel ist Tibet, das im Antrag von CDU/CSU und FDP leider gar nicht erwähnt wird. Völlig zu Recht hat der Dalai Lama den Friedensnobelpreis erhalten. In seinen Bemühungen um die Tibeter verdient er aus meiner Sicht unsere volle Unterstützung,


(Beifall bei der LINKEN)


genauso wie alle anderen Menschen, die sich weltweit für das Menschenrecht auf Religionsfreiheit starkmachen und dafür eintreten, dass sich Rechtslage und
Rechtspraxis in ihrem Land so entwickeln, dass das öffentliche Bekennen der eigenen Religion gewährleistet ist.

Der Antrag der Koalitionsfraktionen findet insofern ebenso grundsätzlich meine Zustimmung wie der von den Grünen. Allerdings bin ich der Meinung, dass sich CDU/CSU und FDP um etwas mehr Ausgewogenheit hätten bemühen können. Ihr Antrag konzentriert sich vorwiegend – das ist schon gesagt worden – auf die christlichen Minderheiten, was das im Antrag enthaltene Islam-Bashing noch verstärkt und die verschiedenen Religionen unnötig gegeneinander in Stellung bringt.


Zudem erweist sich die Haltung der Koalition nicht wirklich als konsequent; denn wer die UN-Resolution gegen die Diffamierung von Religionen – sicher richtigerweise – ablehnt und darin einen Beweis für die Unterdrückung der Meinungsfreiheit im Islam sieht, der sollte auch einen Blick in das deutsche Strafgesetzbuch werfen – auch das ist schon gesagt worden –: Zumindest in der praktischen Handhabung ist das in § 166 des Strafgesetzbuches enthaltene Verbot einer Beschimpfung von Religionsgesellschaften nicht allzu weit von der gescholtenen Resolution entfernt.

(Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN]: Falsch!)


Ich meine, wir sollten alle Religionen mit demselben Respekt behandeln.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten
der SPD)


Außerdem stünde es der Regierung nicht schlecht an, ein Urbi et Orbi auch für sich zu beherzigen. In Sachen Religionsfreiheit lohnt sich nämlich nicht nur der Blick in die Welt, sondern auch ins eigene Land. Eine staatliche Unterdrückung oder Verfolgung einzelner Religionsgemeinschaften ist hier zwar nicht zu beklagen, aber bedingungslose
Religionsfreiheit ohne jede Einschränkung findet man auch bei uns nicht, jedenfalls dann nicht, wenn man auch die konsequente Gleichbehandlung aller Glaubensgemeinschaften darunter versteht.


(Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN]: Wir arbeiten daran!)


Wenn nämlich ein Muslim zu häufig sein Gotteshaus besucht, dann kann es schon passieren, dass er als potenziell Verdächtiger in der Antiterrordatei landet.


(Frank Schäffler [FDP]: Quatsch! – Hartfrid
Wolff [Rems-Murr] [FDP]: Ach was!)


Ein eifriger Kirchgänger muss das nicht befürchten. Wenn deutsche Behörden Fluggastdaten an die USA übermitteln, die nicht nur Angaben über die Mitgliedschaft
in Gewerkschaften enthalten, sondern auch solche über Essgewohnheiten oder die Religionszugehörigkeit, dann geschieht das bekanntermaßen nicht, um den Bordservice
für die Passagiere zu optimieren.


(Beifall bei der LINKEN)


Auch in manch anderer Hinsicht findet staatliche Ungleichbehandlung statt. Noch immer werden die evangelische und die katholische Kirche gegenüber anderen Religionsgemeinschaften bevorzugt. Eine konsequente Trennung von Staat und Religion ist in Deutschland noch längst nicht Wirklichkeit. Ich sage nur: Staatsleistungen,
Kirchensteuer, Religionsunterricht. Hier könnten wir von unseren Nachbarn lernen: In Frankreich ist der Laizismus als Grundsatz in der Verfassung festgeschrieben – wir haben Gott in der Präambel des Grundgesetzes.


(Dr. Stefan Ruppert [FDP]: Das ist auch gut
so!)


Immerhin bekennt sich die Koalition in ihrem Antrag auch zur Freiheit der Nichtgläubigen, die anerkannt und geschützt werden soll. Es besteht also ein breiter Konsens darüber, dass die Zeit des Missionierens endgültig vorbei ist. Wenn Menschen zum Glauben finden, dann sollten sie das in Freiheit tun: hier und im Rest der Welt.
Vielen Dank.


(Beifall bei der LINKEN – Volker Kauder
[CDU/CSU]: Die Zeit des Missionierens ist
nicht vorbei!)