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Feministische Zwischenbilanz der Ampel

Rede von Heidi Reichinnek,

Ich freue mich sehr, der Feminismus braucht starke Männer. – Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich freue mich auch über diese Debatte zum Internationalen Frauentag; denn sie bietet mir die Möglichkeit einer kleinen Bestandsaufnahme.

Seit 15 Monaten haben wir eine sogenannte Fortschrittskoalition, die das Jahrzehnt der Gleichstellung ausgerufen hat – super Sache –, und immer wieder sagen Sie uns, was Sie nicht alles ändern wollen, auch heute wieder, um die Situation von Frauen zu verbessern. Ihre Regierung hat jetzt fast Halbzeit, und was ist passiert? Na ja, quasi nichts! Ich habe keine Lust mehr darauf, dass Sie sich hinter schönen Worten und Lobeshymnen verstecken. Ja, zahlreiche engagierte Menschen kämpfen in vielen Bereichen für die Gleichstellung. Ich bin jeder einzelnen Person dankbar. Aber schauen wir uns doch mal an, was Sie so versprechen, und vor allem auch, was Sie dann umsetzen. Ich sage es Ihnen jetzt schon: Es ist ziemlich lächerlich.

(Beifall bei der LINKEN)

Los ging es mit der superfeministischen Ankündigung des Arbeitsministers – der ist, glaube ich, nicht hier –, Haushaltshilfen bezuschussen zu wollen. Sie wollen also prekäre Arbeit von Frauen fördern, die sich nur die leisten können, die sowieso schon finanziell bessergestellt sind – super Sache, klasse Idee.

Dann wurde die Minijobgrenze ausgeweitet. Noch mehr Frauen – denn größtenteils Frauen arbeiten in Minijobs – werden in den Niedriglohnsektor gedrängt, frei von sozialer Absicherung und menschenwürdiger Rente. Das ist so ziemlich das Gegenteil von Gleichstellung; aber keine Sorge, Sie haben heute Nachmittag die Chance, daran was zu ändern.

(Beifall bei der LINKEN)

Das Ehegattensplitting soll ja leider nicht abgeschafft werden; dazu haben Sie die FDP nicht überreden können. Selbst die angekündigten Regelungen, um Steuern für beide Ehepartner fairer zu gestalten, haben Sie nicht hinbekommen.

Die Freistellung des zweiten Elternteils nach der Geburt eines Kindes – das finde ich besonders traurig – hat Ministerin Paus den Unternehmen zuliebe hinten runterfallen lassen. Man will ja auch nicht stören bei der Gewinnmaximierung, nicht wahr?

Immerhin wird Kanzler Scholz jetzt zum feministischen Vorkämpfer. In einem Videopodcast zum 8. März kritisierte er – Zitat – „frappierende und inakzeptable Gehaltsunterschiede zwischen Männern und Frauen“. Das ist schon mal ein guter Ansatzpunkt. Dann wäre es auch ganz gut, diese Unterschiede mal sichtbar zu machen.

Die EU beschließt bald eine Lohntransparenzrichtlinie, die deutlich weiter geht als das Gesetz, das wir hier haben. Diese Richtlinie müssen wir so schnell wie möglich umsetzen.

(Beifall bei der LINKEN)

Damit der Kanzler, der gerne mal alles vergisst, was wichtig ist, das nicht auch wieder vergisst, werden wir Sie als Opposition gerne daran erinnern – versprochen.

Aber schauen wir mal in andere Bereiche. § 219a Strafgesetzbuch, der Ärztinnen und Ärzten verboten hat, über Schwangerschaftsabbrüche zu informieren, wurde abgeschafft, nicht zuletzt, weil unzählige Menschen auf der Straße dafür gekämpft haben. Worauf wir aber weiterhin warten: die Entkriminalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen.

(Saskia Esken [SPD]: Richtig! – Zuruf der Abg. Beatrix von Storch [AfD])

Die angekündigte Kommission, die dazu eine Empfehlung erarbeiten soll, hat jetzt mehr als ein Jahr auf sich warten lassen. Aber immerhin haben Sie auf meine regelmäßigen Anfragen geantwortet, dass es ganz sicher bald so weit sein wird. Zum Glück wird die Kommission wahrscheinlich besser arbeiten als die Regierung.

(Beifall bei der LINKEN – Beatrix von Storch [AfD]: Kindermörderin!)

– Frau von Storch.

Danke. – Immerhin gegendert diesmal, Respekt.

Sie wollten das Hilfesystem für von Gewalt betroffene Frauen bedarfsgerecht ausbauen. Da ist bisher auch noch nichts passiert. Stattdessen haben Sie mal eben die bisher lächerlich geringen Gelder für Investitionen in die Barrierefreiheit von Frauenhäusern erheblich gekürzt, nämlich von 30 auf 20 Millionen Euro. Jetzt überlegen Sie aufgrund der derzeitigen haushalterischen Situation, das Bundesförderprogramm über 2024 hinaus überhaupt nicht mehr zu verlängern. Aber wer braucht schon die Gegenfinanzierung von Frauenhäusern, wenn er am Tag gegen Gewalt gegen Frauen ein schönes Selfie haben kann? Ach ja, auch die Gesamtstrategie gegen die Gewalt, die Sie ressortübergreifend auflegen wollten, ist bis heute nicht in Sicht.

Die Bundesregierung hatte sich außerdem vorgenommen, Gendermedizin zu stärken, also Frauenkrankheiten in den Blick zu nehmen. Bisher sieht es da eher mau aus. Jede zehnte Frau leidet an Endometriose, jede zehnte unter einem Lipödem. Bisher können das nicht mal alle Ärztinnen und Ärzte richtig erkennen, geschweige denn behandeln. Forschung? Na ja, was soll’s? Die Frauen sollen sich halt mal nicht so anstellen. – Die Betroffenen leiden enorm in ihrem Alltag und können nicht warten. Also, machen Sie da mehr!

(Beifall bei der LINKEN – Bruno Hönel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: 25 Millionen für die Endometrioseforschung! Bei der Wahrheit bleiben!)

Aber was noch? Parität wollten Sie bei der Wahlrechtsreform ja laut Koalitionsvertrag nur erörtern. Es war also klar, dass das nicht kommt. Warum auch, wenn man stattdessen ein Gesetz hier durchprügeln kann, das die Opposition ausschaltet, vor allem die Oppositionsfraktion, die über 50 Prozent Frauenanteil hat.

(Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Als Mitglied der Wahlrechtskommission müssten Sie das jetzt besser wissen, Frau Kollegin! Wir sind noch nicht am Ende!)

Einen Gleichstellungscheck für Gesetze gibt es auch nicht.

Ich sage mal so: Sie hatten damals angekündigt, eine feministische Regierung sein zu wollen. Wieso merkt man davon bis heute noch nichts?

15 Monate, und nahezu kein Gesetz – ich komme zum Schluss –, das das Leben von Frauen in diesem Land verbessert, wurde verabschiedet oder wenigstens geplant.

Na dann, bis nächstes Jahr, gleiche Zeit, gleicher Ort, gleiche Rede. Ich freue mich drauf.

(Beifall bei der LINKEN)