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EU-Jahresbericht 2014 über Menschenrechte und Demokratie in der Welt

Rede von Annette Groth,

Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Menschenrechte und humanitäre Hilfe (17. Ausschuss) zu dem Entwurf des EU-Jahresberichts 2014 über Menschenrechte und Demokratie in der Welt, Ratsdok. 9593/15 Drucksachen 18/5982 Nr. A.47, 18/7552

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuhörerinnen auf der Tribüne!

Herr Roth, Sie haben leider vergessen, die Europäische Menschenrechtskonvention zu erwähnen; denn die EU ist vertraglich verpflichtet, dieser Europäischen Menschenrechtskonvention beizutreten. Aber der Prozess wird blockiert – erst von den Mitgliedstaaten und jetzt vom Europäischen Gerichtshof. Was heißt das? Es gibt derzeit und auch in absehbarer Zukunft keinen individuellen Rechtsschutz gegen Menschenrechtsverletzungen durch EU-Organe. Das muss wirklich dringend korrigiert werden. Ich bitte Sie: Setzen Sie sich dafür ein!

(Beifall bei der LINKEN)

Es ist nicht neu, dass der EU-Menschenrechtsbericht insbesondere die Menschenrechtsverletzungen außerhalb der EU anprangert. Dagegen werden die Menschenrechtsverletzungen in den EU-Mitgliedstaaten weithin unter den Tisch gekehrt. Das nenne ich heuchlerisch. Heute sind in nahezu allen EU-Staaten Armut, Ausgrenzung und Arbeitslosigkeit für viele Menschen Realität. Allein in Griechenland sind mehr als 3,5 Millionen Menschen direkt von Armut bedroht. Über 20 Prozent der Kinder und älteren Menschen leben unterhalb der Armutsgrenze. Das ist doch ein Skandal im reichen Europa.

(Beifall bei der LINKEN)

Die Schere zwischen Arm und Reich wird immer größer, weil das neoliberale Wirtschaftssystem einige wenige bevorteilt – zum Beispiel Banken und Großkonzerne – und andere – die Mehrheit, wie Kleinbäuerinnen, Rentnerinnen und Arbeitnehmerinnen – stark benachteiligt. Auch das muss geändert werden.

(Beifall bei der LINKEN)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, an mehreren Stellen des Menschenrechtsberichts ist von Flüchtlingen die Rede – wir hatten gerade die Debatte dazu –, aber kein Wort davon, dass 2014 über 3 400 Menschen im Mittelmeer ertrunken sind, weil sie in die EU wollten. Das ist doch der große Skandal vor unserer eigenen Tür, der sich seit der Zeit immer weiter verschlimmert hat. Seit dem Jahr 2000 sind mindestens 25 000 Menschen im Mittelmeer gestorben. Das ist entsetzlich. Es wird so weitergehen, wenn wir keine legalen Einreisemöglichkeiten in die EU schaffen.

(Beifall bei der LINKEN)

Das Dublin-System muss endlich durch eine solidarische Flüchtlingspolitik ersetzt werden. Stattdessen werden immer neue Polizei- und Militäreinsätze zur Flüchtlingsbekämpfung beschlossen, als könnte die Bekämpfung von Schleppern oder die Zerstörung von Booten die Flüchtlinge davon abhalten, über das Meer zu uns zu kommen. Wir brauchen legale und sichere Fluchtwege und Einreisemöglichkeiten. Das ist eine Forderung, die die Linke schon lange stellt.

(Beifall bei der LINKEN)

Jetzt werden an den EU-Außengrenzen „Hotspots“ eingerichtet. In ihnen wird eine Klassifizierung der Geflüchteten in „gute“ und „schlechte“ Flüchtlinge vorgenommen. Ziel dieser Klassifizierung ist, viele daran zu hindern, überhaupt zu uns zu kommen. Aber wohin sollen sie denn gehen? In meiner Funktion als Berichterstatterin für den Europarat war ich letzte Woche im Libanon und in Jordanien. Diese beiden Länder haben, wie allgemein bekannt, die meisten Geflüchteten aus Syrien aufgenommen. Viele Flüchtlinge leiden an Hunger, weil die Nahrungsmittelversorgung aufgrund fehlender Gelder nicht ausreicht. Ich habe gerade viele Frauen getroffen, die sichtlich unterernährt waren. In den letzten beiden Wochen eines Monats reicht das Geld von der internationalen Gemeinschaft nur noch für Brot. „Wir haben Hunger“, haben mir viele gesagt.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn es um die sogenannte Abwehr der Flüchtlinge geht, scheint für die EU die Einhaltung der Menschenrechte keine Rolle zu spielen. Das zeigt sich insbesondere an der unerträglichen Taktiererei mit dem türkischen Ministerpräsidenten Erdogan. Jetzt soll die deutsche Polizei sogar mit der türkischen bei der Fluchtabwehr zusammenarbeiten. Skandalös! Erdogan führt einen furchtbaren Krieg gegen die eigene Bevölkerung, insbesondere gegen die Kurdinnen und Kurden, und er schiebt sogar Flüchtlinge nach Syrien ab.
Wissen Sie, dass in etlichen kurdischen Gebieten seit Wochen ein 24-stündiges Ausgehverbot besteht? Das heißt, Menschen erhalten keine medizinische Versorgung, können nicht einkaufen. Teilweise ist die Wasser- und Stromversorgung unterbrochen. Das ist ein Verbrechen, das wir wirklich lautstark anprangern müssen!

(Beifall bei der LINKEN)

Darum empfinde ich es mehr als schändlich, dass der Türkei Visaerleichterungen für türkische Staatsangehörige und 3 Milliarden Euro als Belohnung für die Flüchtlingsabwehr versprochen wurden. Stattdessen sollten wir Druck auf die türkische Regierung ausüben und sie nachdrücklich auffordern, die Kampfhandlungen und die extralegalen Hinrichtungen, die es auch gibt, sofort einzustellen und den Dialog mit den Kurdinnen und Kurden wieder aufzunehmen.

(Beifall bei der LINKEN)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wie bei der Türkei werden die Menschenrechtsverletzungen, die auch von anderen EU-Partnern begangen werden, teilweise schweigend hingenommen. So werden im aktuellen EU-Forschungsrahmenprogramm Horizon 2020 Projekte der EU-Sicherheitsforschung gemeinsam mit Israel betrieben und finanziert, obwohl Israel massiv Menschenrechtsverletzungen in den palästinensischen Gebieten begeht. Israelische Rüstungsunternehmen, die von der Besatzungspolitik im großen Stil profitieren und dazu beitragen, werden im Rahmen von Horizon 2020 gefördert. So sind auch wir mit unseren europäischen Steuergeldern an den Menschenrechtsverletzungen in der Region beteiligt. Viele NGOs und kirchliche Organisationen fordern darum schon seit Jahren die Aussetzung des EU-Israel-Assoziierungsabkommens, das in Artikel 2 alle Vertragspartner zur Einhaltung der Menschenrechte verpflichtet. Wir machen uns mitschuldig, wenn wir zu diesen Menschenrechtsverletzungen in Israel/Palästina schweigen. Wir sollten wirklich alles versuchen, dieses EU-Assoziierungsabkommen mit Israel auszusetzen.

(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Das ist das völlig falsche Signal!)

Das wäre das richtige Signal! Das hatten wir schon einmal bei Sri Lanka.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir unterstützen ausdrücklich die Aussagen im Bericht zur Todesstrafe. Die Linke fordert seit vielen Jahren die Bundesregierung auf, sich in allen Gesprächen mit Staaten, die die Todesstrafe verhängen, klar für ihre Abschaffung einzusetzen. Doch stattdessen scheinen wirtschaftliche Interessen immer mehr vor Menschenrechte gestellt zu werden. Die Waffenlieferungen an Saudi-Arabien sind dafür ein besonders krasses Beispiel; sie sollten sofort aufhören.

(Beifall bei der LINKEN)

Nicht erwähnt wird der völkerrechtswidrige Einsatz von Kampfdrohnen zur Tötung von Menschen. Seit vielen Jahren verletzen die USA die Souveränität anderer Staaten und bringen Menschen durch Kampfdrohnen um, ohne Anklage, ohne Gerichtsurteil und ohne den Betroffenen die Möglichkeit zu geben, sich zu verteidigen. Besonders skandalös ist, dass für dieses Morden die US-amerikanischen Stützpunkte in Deutschland missbraucht werden. Die US-Basis in Ramstein spielt dabei eine besonders große Rolle. Nicht genug: Jetzt will die Bundesregierung auch noch waffenfähige Drohnen anschaffen. Will sie sich an diesen völkerrechtswidrigen Morden beteiligen, oder wozu brauchen wir überhaupt Kampfdrohnen?

(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Das ist eine üble Unterstellung, die Sie hier machen, Frau Kollegin!)

Das ist eine echte Frage, auf die ich eine Antwort haben möchte.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir fordern seit langem die Bundesregierung auf, sich für eine grundlegende Weiterentwicklung des EU-Menschenrechtsberichts einzusetzen. Wir erwarten, dass in einem solchen Bericht auch die Menschenrechtsverletzungen aufgrund der EU-Handels- und Finanzpolitik sowie der Waffenexporte der EU-Mitgliedstaaten klar benannt werden. Solange aber mit zweierlei Maß gemessen wird und unsere geopolitischen und wirtschaftlichen Interessen im Vordergrund stehen, ist es um die Menschenrechte nicht gut bestellt. Das müssen wir alle zusammen ändern.

Danke schön.

(Beifall bei der LINKEN)