Besserer Ausbau des Öffentlichen Nahverkehrs gefordert
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Im Grünbuch der Europäischen Kommission nimmt die Organisation des städtischen Verkehrs mit öffentlichen Verkehrsmitteln großen Raum ein. Das ist ohne Zweifel eine richtige Orientierung. Sie entspricht den Grundsätzen, die die Linke vertritt. Doch den Verkehr zu optimieren, ohne gleichzeitig stadtplanerische, ökologische, soziale Bedingungen und deren Veränderung in den Blick zu nehmen, greift nach unserer Überzeugung zu kurz.Wenn Städte lebenswerter werden sollen, dann müssen wir den Autoverkehr deutlich mindern. Das wissen wir alle; ich glaube, dass an dieser Stelle kein großer Dissens besteht. Auch die Stellungnahme des Deutschen Städtetages weist in diese Richtung. Doch wo gibt es hierzulande so etwas wie eine Citymaut oder überhaupt solche Ansätze? Eine solche Maut könnte den Autoverkehr wirklich einschränken, was sich am Beispiel London zeigt. Aber wir wissen auch, dass es massive Widerstände, nicht zuletzt der Autolobby, gibt;
(Zuruf von der CDU/CSU: Und der Bürger!)
schließlich klagt Porsche in Großbritannien gegen die Citymaut.
Parkraumbewirtschaftung, Tempo 30, Radfahrrouten, Ampelvorrangschaltung und Verkehrsmanagement sind für die Städte unerlässlich. Doch weiß jeder hier im Haus, dass es gegensätzliche Interessen gibt und dass es schwierig ist, diese vor Ort konkret unter einen Hut zu bringen. Ein generelles Umdenken kann aber nicht allein von der Verkehrspolitik ausgehen. Ein generelles Umdenken - ich nenne das Stichwort "Klimaschutz" - ist allerdings dringend notwendig.
Zurück zum Grünbuch und zu dem, was darin steht. Mir fehlen Finanzierungsmodelle, zum Beispiel eine Abgabe für den ÖPNV. Mir fehlen an dieser Stelle Ansätze, wie wir sie zum Beispiel aus amerikanischen oder französischen Städten kennen. Dort haben solche ÖPNV-Abgaben komplette Straßenbahnsysteme finanziert. Wohl jeder wird den grundsätzlichen Zielen zustimmen, die im Grünbuch formuliert sind. Der Verkehr in der Stadt soll flüssiger, die Städte sollen sauberer und der Nahverkehr soll intelligenter, zugänglicher und sicherer werden.
Zum letzten Punkt, welcher in den letzten Tagen erschreckend aktuell ist: Immer häufiger kommt es zu schwerwiegenden Überfällen auf Fahrpersonal oder auch auf Gäste. Der Aggressionspegel in unserer Gesellschaft steigt; das ist eine traurige Tatsache. Ich brauche keine großen soziologischen Untersuchungen, um zumindest einige der Ursachen zu finden, die sich in Verkehrsmitteln Bahn brechen - aber natürlich längst nicht nur dort. Es sind zunehmende soziale Polarisierung, Verarmung, Chancenlosigkeit und auch Ausgrenzung, die sich in Gewalt entladen. Doch gerade in den Bereichen, in denen wir Sicherheit schaffen könnten, sind in den letzten Jahren rigoros Stellen abgebaut worden. Personal wurde durch Videoüberwachung ersetzt, die zwar vielleicht dazu beitragen kann, die Täter zu überführen, aber einem Opfer in unmittelbarer Not nicht unbedingt hilft.
Zu einem attraktiven Nahverkehrskonzept gehört deshalb nach unserer Meinung Präsenz von Personal, und zwar in den Fahrzeugen, auf den Bahnhöfen und an den Haltestellen.
(Beifall bei der LINKEN)
In dem Zusammenhang kann der Vorschlag des Berliner Senats, 1-Euro-Jobber einzusetzen, nur als makabrer Scherz gewertet werden.
(Kornelia Möller [DIE LINKE]: Pfui! - Uwe Beckmeyer [SPD]: Wollen wir nicht über das Grünbuch reden, Frau Kollegin? - Zurufe von der CDU/CSU)
- Das war Senator Sarrazin.
(Zurufe von der CDU/CSU: Ach so! - Wie es gerade passt, oder?)
Leider weist das Grünbuch mitunter in eine falsche Richtung. In Ihren Vorlagen tappen Sie auch in die Falle naiver Technikbegeisterung - als wären die Probleme mit technischem Schnickschnack zu lösen. Handys tauchen in den Vorlagen doch nur deshalb auf, weil das Wort "E-Ticketing" im Grünbuch steht. Abgesehen davon, dass es bisher gar kein funktionierendes Modell für E-Ticketing gibt: Wer würde zu den Nutzern eines solchen Modells gehören? Viele Menschen haben schlicht und ergreifend kein Konto, von dem abgebucht werden könnte. Das trifft wieder Schüler und Empfänger von Transferleistungen. Sie wären von einem solchen Modell ausgeschlossen; ihnen brächte das überhaupt nichts. E-Ticketing würde also nur einen erlauchten Kreis von Fahrgästen erreichen. Das könnte allenfalls ein ergänzendes Angebot sein. Konventionelle Fahrscheine könnten dadurch niemals ersetzt werden. - Nur am Rande möchte ich anmerken: Außerdem könnte E-Ticketing auch genutzt werden, um Bewegungsprofile zu erstellen.
Viele Menschen fühlen sich schon heute durch gängige Fahrscheinautomaten überfordert. Das ist häufig eine Zugangsbarriere bei öffentlichen Verkehrsmitteln. Da würde E-Ticketing noch eins draufsetzen. Wir müssen intelligenten Nahverkehr schaffen. Das heißt: vereinfachen, Zugänglichkeit verbessern, Tarife vereinfachen, es nicht immer noch komplizierter machen.
Ich fasse zusammen: Wenn es darum geht, die Ziele, die im Grünbuch formuliert sind, zu erreichen, wird reine Verkehrspolitik immer Flickschusterei bleiben. Attraktive Stadtverkehrskonzepte müssen zunächst einmal sozialen Grundsätzen folgen und alle Menschen einschließen. Wir befürworten ein ganzheitliches Konzept. Aus diesem Grund erhält der vorliegende Entschließungsantrag nicht unsere Zustimmung.
Danke.
(Beifall bei der LINKEN - Uwe Beckmeyer [SPD]: Lafontaine ins Europaparlament!)