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EU-Freihandelsabkommen mit Indien stoppen

Rede von Annette Groth,

Zum Tagesordnungspunkt 21 der den Antrag der Fraktion DIE LINKE "EU-Freihandelsabkommen mit Indien stoppen – Verhandlungsmandat in demokratischem Prozess neu festlegen" gibt Annette Groth folgende Rede zu Protokoll:

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen,


„Wir können die Kommission als unser Sprachrohr benutzen“, so zitierte die TAZ Anfang des Monats ein Mitglied der Lobbygruppe „European Business Group“. Das Zitat bezieht sich auf die Verhandlungen der EU mit Indien über das Freihandelsabkommen und stammt aus einem Bericht der Nichtregierungsorganisationen Corporate Europe Observatory und India FDI Watch. In dem Bericht wird aufgezeigt, wie eng sich die EU-Kommission in ihren Verhandlungen mit den Lobbyisten europäischer Konzerne abspricht.


Es ist nicht wirklich neu, dass die Kommission und das Bundeswirtschaftsministerium mit den Konzernlobbys an einem Strang ziehen, wenn es darum geht, lukrative Märkte in den Schwellenländern zu knacken. Die Leidtragenden sind immer diejenigen, deren Lobby nicht so mächtig ist, deren Lebens- und Arbeitsverhältnisse aber von den Ergebnissen der Verhandlungen am unmittelbarsten betroffen sind.


Ich würde Ihnen die Lektüre des Berichts „Trade Invaders – How big business is driving the EU-India free trade negotiations” sehr ans Herz legen. Die darin nachgewiesenen Verflechtungen zwischen Kommission und Konzernlobbys werfen ein sehr bezeichnendes Licht auf die Freihandelspolitik der EU und dieser Bundesregierung. Ich bin mir sicher, dass sie sich anschließend unserer Forderung nach Aussetzung der Verhandlungen und nach einer Neuformulierung des politischen Auftrags an die Kommission anschließen werden.


Was steht auf dem Spiel? Für die deutschen und europäischen Konzerne: ein riesiger aufstrebender Markt. Europäische Banken und Versicherungen, Supermarktketten, Agrar- und Industriekonzerne drängen mit aller Macht darauf, dass der indische Markt komplett geöffnet wird. Die Verhandlungsagenda der Kommission deckt sich eins zu eins mit den Interessen dieser Konzerne. Indien hat in der europäischen Marktöffnungsstrategie „Global Europe“ eine herausgehobene Stellung.


Der indische Finanzmarkt ist bislang relativ stark reguliert. Ich sehe darin übrigens einen wesentlichen Grund dafür, dass Indien so glimpflich aus der Weltwirtschaftskrise herausgekommen ist. Der Wirtschaftsminister brachte jetzt für seine Klientel eine gute Nachricht von der Indien-Reise mit: Indien sei endlich doch bereit, seinen Finanzmarkt weiter zu liberalisieren. Eine gute Nachricht für die deutschen Banken und Versicherungen. Eine schlechte Nachricht für alle, die auf stabile, allen zugängliche Finanzdienstleistungen angewiesen sind.


Der öffentliche Beschaffungsmarkt in Indien ist ebenfalls noch stark reguliert – bis jetzt noch ein wichtiges entwicklungspolitisches Instrument der öffentlichen Hand, zugleich jedoch ein gewaltiger Markt, an dem die europäischen Konzerne interessiert sind. Im Gleichklang fordern deshalb BDI, EU-Kommission und Wirtschaftsministerium, genau an diesem Punkt in den Verhandlungen nicht nachzugeben.


Und was steht für die Menschen in Indien auf dem Spiel? Kleine und mittlere Unternehmen in Indien, die öffentliche Aufträge wahrnehmen, müssten sich auf den Verdrängungswettbewerb europäischer Versorgungskonzerne gefasst machen. Kleine Kreditnehmer hätten noch weniger Zugang zu Bankdienstleistungen. Für Kranke, nicht nur in Indien, sondern in vielen Ländern des Südens, könnte sich der Zugang zu preiswerten Medikamenten erheblich erschweren, weil die Generika-Produktion verteuert und verlangsamt wird, wenn sich die Pharma-Industrie mit ihrer Forderung nach Datenexklusivität und Patentlaufzeitverlängerung durchsetzt. Kleinbauern fürchten die Konkurrenz des europäischen Agrarbusiness. Unverantwortlich wäre die von der EU geforderte Öffnung des Marktes für Milchprodukte, an dem in Indien 90 Millionen Arbeitsplätze hängen.


Alle diese Menschen finden in den Verhandlungen kaum Gehör. Konzernlobbyisten dagegen sind informiert, nehmen Einfluss auf die Verhandlungsführung der Kommission und die Agenda der Verhandlungen.


Übrigens winkt in Indien auch ein riesiger Rüstungsmarkt: Als Wirtschaftsminister Brüderle kürzlich mit 80 Unternehmern Indien besuchte, war die Rüstungsindustrie in der Delegation stark vertreten, wie man lesen konnte. Indien vergibt riesige Rüstungsaufträge – EADS, ThyssenKrupp und Krauss-Maffei hoffen auf den Zuschlag. Ich kann nur hoffen, dass es hier zu keinen Geschäftsabschlüssen kommt. Indien ist umgeben von Krisenregionen – von Afghanistan über Pakistan bis Sri Lanka und hat einen Gewaltkonflikt im eigenen Land, in Kaschmir.


Gemeinsam mit vielen sozialen Organisationen in Europa und Indien und gemeinsam mit indischen Parlamentarierinnen und Parlamentariern fordert DIE LINKE, dass die Verhandlungen über das Freihandelsabkommen gestoppt werden. Bevor weiter verhandelt werden kann, müssen die Entwürfe und gegenseitigen Forderungen offen gelegt und müssen die Organisationen der Betroffenen gehört werden.


Das Freihandelsabkommen zwischen der Europäischen Union und Indien wird in Indien zu mehr Armut führen und die soziale Ungleichheit noch vergrößern, aber auch in Europa  soziale Standards in Gefahr bringen! Die EU muss von ihrer unverantwortlichen Freihandelspolitik abrücken. Wir brauchen ein neues Verhandlungsmandat für die Kommission, in dessen Zentrum nicht die Interessen der Konzerne, sondern die Ermöglichung einer sozial und ökologisch nachhaltigen Entwicklung in Indien und Europa steht.