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Es gibt keine Alternative zu einer aktiven Integrationspolitik

Rede von Sevim Dagdelen,

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren!
Für DIE LINKE. gibt es keine Alternative zu einer aktiven Integrationspolitik. Für DIE LINKE. bedeutet Integrationspolitik, Menschen unabhängig von ihrer Herkunft eine gleichberechtigte Partizipation am gesellschaftlichen, politischen, wirtschaftlichen und sozialen Leben zu ermöglichen. Davon ist die Bundesrepublik aber weit entfernt. Mit dem heute vorliegenden Gesetzentwurf der Regierungskoalition werden wir uns von diesem Ziel der Integrationspolitik noch weiter entfernen.
Die Große Koalition hat die Umsetzung von EU-Richtlinien ausgenutzt, um weitere massive Verschärfungen festzuschreiben. Sie waren nicht erforderlich. Eingebürgerte Deutsche, Migranten und Flüchtlinge müssen in Zukunft mit noch weniger Rechten, mehr Selektion und mehr Abschottung rechnen. Mit den geplanten Änderungen wird niemand mehr auf den Gedanken kommen, Integration hätte noch irgendetwas mit Fördern zu tun. Der Familiennachzug wird eingeschränkt, die Einbürgerung erschwert, und Integrationsangebote werden mit Sanktionen belegt. Wir brauchen aber keine Politik der Sanktionen und der Ausgrenzung; wir brauchen vielmehr eine Politik der sozialen und rechtlichen Gleichstellung.
Früher hat man sich aufgeregt, wenn Politiker von nützlichen und von schädlichen Ausländern gesprochen haben. Jawohl, diese Rhetorik war schlimm. Aber noch viel schlimmer ist, dass heute nach diesen Kriterien stillschweigend Politik gemacht wird.
Beispiel Familiennachzug: Verlieben und Heiraten im Ausland ist zwar noch erlaubt, allerdings wird es danach schon schwierig.
Ob jemand seinem Ehe- oder Lebenspartner nach Deutschland nachziehen darf, hängt davon ab, ob er oder sie bereits im Herkunftsland Deutsch gelernt hat. Dadurch wird die überwiegende Mehrheit der Menschen vom Recht auf Familiennachzug einfach ausgeschlossen.
Menschen aus sogenannten unteren Schichten, ländlichen Regionen und ärmeren Ländern haben de facto keinen Zugang mehr zu Sprachangeboten, weil sie einfach zu teuer oder nicht erreichbar sind. Das geht auch aus dem Bericht zu der Regelung, die seit dem 15. März 2006 in den Niederlanden gilt, hervor.
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:
Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Winkler?
Sevim Dagdelen (DIE LINKE):
Selbstverständlich.
(Reinhard Grindel (CDU/CSU): Jetzt aber nicht so scharf, Josef!)
Josef Philip Winkler (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Sie haben gerade von Spracherwerb vor der Einreise gesprochen. Herr Dr. Wiefelspütz sagte gerade, dass Verlieben erlaubt bleibt. Wir wollen einmal sehen, wie das dann mit dem Verheiraten ist.
Ich habe erwähnt, dass ich mit dem Innenausschuss in der Türkei war. Ich weiß, dass Sie mit der Parlamentariergruppe, der Freundschaftsgruppe zwischen dem deutschen und dem türkischen Parlament, vor kurzem auch in Istanbul und Ankara waren. Wären Sie bereit, zu bestätigen, dass die Empörung in der Türkei inzwischen weite Teile des Parlaments, des politischen Lebens und des kulturellen Lebens ergriffen hat, und würden Sie uns vielleicht aufgrund Ihrer Erfahrungen berichten, was dort über diese Gesetzesregelung gedacht wird?
Sevim Dagdelen (DIE LINKE):
Vielen Dank für die Frage. Es ist sehr verwunderlich, dass die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung in dieser Debatte zum Thema Integration nicht anwesend ist. Herr Grindel hat sehr viel von Integration gesprochen, auch Herr Bundesminister Schäuble hat sehr viel von Integration gesprochen.
Die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung bezieht zu dem Thema, das hier andauernd rauf und runter als Integrationsförderungsmaßnahme lanciert wird, überhaupt keine Stellung.
Es ist richtig, wir waren als deutsch-türkische Parlamentarier- und Parlamentarierinnengruppe in der Türkei. Wir haben in Istanbul und in Ankara Gespräche geführt. Dabei sind uns zwei Sachen aufgefallen. Das Erste war, dass man empört ist, dass man in Deutschland überhaupt so eine Regelung machen möchte.
Das Zweite ist noch viel interessanter. Denn ich habe sehr viele Anfragen gemacht, mündliche Fragen und manchmal auch schriftliche Fragen gestellt. Dazu wurde sowohl von der Integrationsbeauftragten als auch aus Regierungskreisen immer wieder gesagt, dass die türkische Regierung, nämlich der Erziehungsminister Herr Celik und auch die Familienministerin Çubukçu, das unterstützt habe. Frau Böhmer erklärte nach einem Treffen mit Çubukçu am 26. Oktober in Berlin ich zitiere :
Beide waren übereinstimmend der Ansicht, dass eine gelungene Integration der im Rahmen des Familiennachzugs nach Deutschland kommenden Frauen und Männer hohe Priorität hat und hierfür das Beherrschen der deutschen Sprache entscheidend ist. Die türkische Regierung will daher über Vorbereitungskurse sicherstellen, dass Grundkenntnisse der deutschen Sprache bereits vor der Einreise nach Deutschland erworben werden. Frau Çubukçu teilte hierzu mit, dass der türkische Ministerpräsident bereits den Erziehungsminister, Herrn Hüseyin Celik, angewiesen habe, die Vorbereitungskurse in den nächsten Monaten auf den Weg zu bringen.
Das ist eine Pressemitteilung vom 26. Oktober 2006.
Auf meine Frage bei Frau Çubukçu, wie sie die ganze Sache sieht, schrieb sie mir am 12. März in einem Brief:
Bei unseren Gesprächen am 26.10.06 mit Staatsministerin Böhmer haben wir die deutsche Seite über die Frauenrechte in unserem Land informiert und eindeutig unseren Standpunkt zur Verpflichtung von Spracherwerb im Herkunftsland als Voraussetzung des Ehegattennachzugs erläutert. Wir haben dabei zum Ausdruck gebracht, dass eine solche Regelung gegen grundlegende Menschenrechte verstößt und wir es nicht hinnehmen können, dass der Nachweis von Deutschkenntnissen zur Voraussetzung von Ehegattennachzug gemacht wird.
Das heißt, es wurde klargestellt, dass die Bundesregierung bei ihrem Gesetzesvorhaben bisher mit Halbwahrheiten argumentiert hat.
Das wurde bei den Gesprächen, die wir geführt haben, deutlich.
Diese Regelung hat viel mit sozialer Selektion und nichts mit Integrationsförderung zu tun. Denn Deutsch lernt man immer noch am besten in Deutschland. Herr Grindel, das sollten Sie sich einmal hinter die Ohren schreiben.
Um diesen massiven Grundrechtseingriff beim Familiennachzug zu legitimieren, sind Sie sich aber nicht zu schade, Menschenrechtsverletzungen wie die Zwangsverheiratung politisch zu missbrauchen. Dringend notwendige aufenthaltsrechtliche Verbesserungen, wie sie Frau Laurischk hier dargetan hat und wie sie von den Sachverständigen bei der Anhörung im Familienausschuss zum Thema Zwangsverheiratung gefordert wurden, haben Sie nicht umgesetzt. Wer Migrantinnen wirklich wirksam helfen will, muss die Rechte der betroffenen Frauen stärken; aber davon ist in dieser Novelle nichts zu finden.

Übrigens hat auch der Kollege Wiefelspütz jetzt komme ich zu Ihnen von der SPD treffend, wie ich finde - das ist nicht immer der Fall, bemerkt, dass diese Regelungen bei einer verfassungsrechtlichen Prüfung ich zitiere die “Süddeutsche Zeitung“ vom 30. Januar 2006 „nicht den Hauch einer Chance“ hätten. Allerdings scheint die SPD derartige verfassungsrechtliche Bedenken im Verlauf der Verhandlungen einfach über Bord geworfen zu haben.
Das kennen wir ja; wenn das Grundgesetz im Wege steht, visiert auch der Innenminister manchmal an, es über Bord zu werfen.
Das Prinzip der sozialen Selektion bestimmt auch die Bleiberechtsregelung für Geduldete sowie den Familiennachzug zu Deutschen. Hartz IV-Empfänger haben in Zukunft kein Recht mehr auf ein gemeinsames Familienleben. Dass diese Regelung eigentlich auf eingebürgerte Deutsche zielt, wie der Gesetzesbegründung zu entnehmen ist, wirft Deutschland in punkto Einbürgerungspolitik um Jahrzehnte zurück. Sie schaffen eine zweite Klasse von Deutschen, die auch nach ihrer Einbürgerung Ausländer und damit dem Integrationszwang unterworfen bleiben.
Der vorliegende Gesetzentwurf forciert die repressive Integrationspolitik der letzten Jahre. Die Große Koalition plant, staatliche Macht auch auf gesellschaftliche Bereiche auszudehnen, in denen sie eigentlich nichts zu suchen hat. Öffentliche Stellen wie Schulen oder Kitas sollen bei besonderer Integrationsbedürftigkeit Eltern an die Ausländerbehörden melden. Im Klartext: Gespräche zwischen Lehrern und Eltern werden in Zukunft für Migranten zu einer Zitterpartie; denn vielleicht folgt ja aus dem nicht so guten Deutsch der Eltern die Meldung an die Ausländerbehörde. Es ist skandalös, dass der Gesetzentwurf hier ausländerbehördliche Aufgaben auf Schulen, Kitas und Krankenhäuser überträgt, die deren eigentlichem gesellschaftlichen Auftrag absolut widersprechen.
Um diese Politik des Zwangs zu legitimieren, durchzieht den Gesetzentwurf die Vorstellung von den integrationsverweigernden Migranten. Sie beten die angebliche Rückständigkeit auch deswegen immer rauf und runter, um endlich wieder Werte und Leitkultur propagieren zu können. Es wundert mich nicht, dass die CDU am letzten Wochenende beschlossen hat, die Leitkultur als Eckpunkt in ihr neues Parteiprogramm aufzunehmen. Die Ausgrenzung und Unterwerfung von anderen ist immer auch ein Ausdruck eigener Ängste und Vorurteile.
Mit sozialer und rechtlicher Gleichstellung hat dies alles nichts zu tun. Wir brauchen Weichenstellungen bei der Einbürgerung, die erleichtert werden muss. Einbürgerung ist nicht Krönung, sondern Voraussetzung der Integration.
Mit unseren Forderungen stellen wir uns an die Seite jener 21 Organisationen, die sich an die Bundeskanzlerin gewendet haben. Wir sind uns einig, dass Integration keiner restriktiven Ausgestaltung des Zuwanderungsgesetzes bedarf. Deshalb werden wir im Mai und im Juni mit den Migranten- und Flüchtlingsorganisationen gegen die Verschärfungen im Zuwanderungsgesetz protestieren, sowohl im Parlament als auch außerhalb des Parlamentes.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, eines zum Schluss. Alle, die dieses Gesetz mittragen, möchte ich hier auffordern: Wenn Sie das nächste Mal bei Christiansen, Maybrit Illner oder auch bei Maischberger sitzen, reden Sie nicht mehr davon, dass die Integration gescheitert ist.
Seien Sie so ehrlich, zu sagen, dass Sie selbst die Integration zum Scheitern gebracht haben, zunächst indem Deutschland jahrzehntelang ein Einwanderungsland ohne Integrationspolitik war und jetzt mit Gesetzen wie dem, das uns heute vorgelegt wurde.
Danke.