Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen!
Mich ärgert die Debatte, wie wir sie gerade geführt haben - da kann ich mich an ganz vielen Punkten Katja Dörner anschließen -, maßlos. Sie ärgert mich maßlos, weil von vornherein klar war: Ab dem Moment, zu dem wir die Aktuelle Stunde beantragt haben, wird beschwichtigt und wird vor allen Dingen erklärt werden, die Koalition tue schon alles, die Situation sei nicht so schlimm, das Problem bekomme man in den Griff und man müsse jetzt abwarten, wie diverse Maßnahmen wirkten.
Jörn Wunderlich hat die Geschichte der Kinderarmut seit einer Studie der AWO von 1989 präsentiert. Ein Blick auf diese Dokumente zeigt: Die Kinderarmut hat sich seit dieser Zeit nicht reduziert. Sie ist vererbt worden. Sie ist wie einbetoniert. Egal welche empirischen Erhebungen dazu gemacht worden sind: Wir kommen immer zu den gleichen Ergebnissen.
Fast alle Bundesregierungen seit der Wende haben erklärt, sie hätten das Problem erkannt, sie würden am Problem arbeiten, sie wollten Kinderarmut reduzieren. Doch praktisch ist dies niemandem gelungen. Was bedeutet das in der Praxis? Wozu hat das geführt? Es bleibt bei Sonntagsreden, die mit belegter Stimme vorgetragen werden und hinter denen man sich dann versteckt, statt Taten zu präsentieren.
Ich möchte das mit Beispielen unterlegen. Die Bundesfamilienministerin Schwesig hat 2009 noch als Landespolitikerin in einem Interview erklärt - ich zitiere -:
Zwar kündigt Frau von der Leyen nun in jedem Interview an, sie wolle gegen Kinderarmut vorgehen. Doch ihr Handeln widerlegt ihre Versprechen.
(Jörn Wunderlich (DIE LINKE): Da hat sie recht!)
- Da hat sie recht gehabt. - Fünf Jahre später erklärt Frau Schwesig, nun als Bundesfamilienministerin:
Für mich ist die Bekämpfung von Kinderarmut ein sehr wichtiger Punkt.
Dazwischen steht der Koalitionsvertrag, den Sie unterschrieben haben, dieses Dokument des politischen Vollversagens. Auf 130 Seiten kein Wort zur Kinderarmut und kein Konzept, Kinderarmut wirksam zu beseitigen. Aber Sie kündigen es permanent an.
Das Ergebnis kann man heute in einer Presseerklärung des Deutschen Kinderhilfswerks - darauf komme ich noch zurück - nachlesen. In einer Studie, die von diesem 2014 erstellt wurde, haben 72 Prozent der Befragten gesagt, dass gesellschaftliche und politische Verantwortungsträger - damit meinen sie uns, aber vor allem auch die Bundesregierung, weil sie zunächst an diese denken - sehr wenig oder zu wenig tun, um Kinderarmut wirksam zu bekämpfen. Denn was sie in den letzten 25 Jahren erlebt haben, sind Sonntagsreden, und letzten Endes hat sich nichts getan.
(Jörn Wunderlich (DIE LINKE): So ist es! Leider!)
Ich kann mich Katja Dörner anschließen und fordere Sie auf: Ergreifen Sie Maßnahmen! Ich glaube, wir sind uns in vielen Punkten einig gewesen; das war auch diese Woche im Familienausschuss der Fall. Ergreifen Sie also konkrete Maßnahmen, um Kinderarmut zu beseitigen!
(Beifall bei der LINKEN)
Wenn Sie als Koalition auf die Grünen oder uns nicht hören wollen - das kann ich nachvollziehen -, dann hören Sie doch auf unabhängige Sachverständige und auf das Deutsche Kinderhilfswerk. Ich zitiere aus der schon erwähnten Presseerklärung:
Um die Kinderarmut in Deutschland zu bekämpfen, brauchen wir eine Beschäftigungspolitik, die Eltern in die Lage versetzt, durch eigene Erwerbstätigkeit sich und ihren Kindern eine ausreichende finanzielle Lebensgrundlage zu bieten. Zudem haben Bund, Länder und Kommunen gemeinsam dafür zu sorgen, dass Einrichtungen für Kinder und Jugendliche so ausgestattet werden, dass sie deren Entwicklung zu eigenständigen Persönlichkeiten bestmöglich fördern können. Ein gesundes Aufwachsen sollte für alle Kinder, unabhängig vom Geldbeutel ihrer Eltern, ebenso eine Selbstverständlichkeit sein.
Jetzt werden alle sagen: „Das können wir unterzeichnen“, und die Koalition wird in den folgenden Reden sagen: Das tun wir übrigens schon mit allen unseren Maßnahmen.
Aber warum um Himmels willen kommen wir dann immer wieder wie auch in der Bertelsmann-Studie zu denselben Ergebnissen? Warum hat sich in den letzten Jahren nichts getan? Weil Ihre Maßnahmen nicht wirken, weil sie wirkungslos sind und weil Sie im besten Fall, wenn Sie über Kinderarmut reden und Entlastungen ankündigen, am Ende an die Besserverdienenden denken, aber bei denjenigen, bei denen die Kinderarmut sozusagen einbetoniert ist und die schon mit der Geburt sozial deklassiert werden, davon nichts ankommt. Warum ist das Kindergeld immer noch auf Leistungen nach dem SGB II anzurechnen? Warum ist das Elterngeld immer noch anzurechnen? Schaffen Sie das ab! Das sind ganz einfache Maßnahmen. Sie wirken unmittelbar und begrenzen Kinderarmut.
(Beifall bei der LINKEN)
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich glaube, dass das Thema viel zu ernst ist, um hier weitere Sonntagsreden zuzulassen, uns weiter darüber auszutauschen, welch dramatische Kinderarmut wir in den Wahlkreisen erleben, und hier entsprechende Beispiele zu präsentieren. Die kennen wir alle. Lassen Sie uns zu dem Punkt kommen, erste, auch monetäre, Maßnahmen zu ergreifen, und zwar mehr als 4 oder 6 Euro Kindergelderhöhung, um Kinderarmut wirksam zu beseitigen. Das muss umgehend geschehen. Die Lage ist mit über 2,5 Millionen betroffenen Kindern viel zu ernst.
Die Linke wird nicht die Fraktion sein, die sich im Deutschen Bundestag gegen Maßnahmen stellt, wenn es ernsthaft darum geht, Kinderarmut zu beseitigen. Wenn die Koalition und die Bundesregierung ernsthaft bereit sind, solche kleinen Schritte zu gehen, wie zum Beispiel das Kindergeld anrechnungsfrei zu stellen, werden wir uns Ihnen nicht in den Weg stellen, sondern Sie konstruktiv begleiten. Aber wir werden Sie auch weiter treiben, wenn es bei den Sonntagsreden über Kinderarmut bleibt und Sie letztlich keinerlei Ergebnisse vorlegen außer einer weiteren Studie in fünf Jahren, in der dann wieder festgestellt wird, dass Kinderarmut ein ernstes Problem ist und sich nach wie vor nichts getan hat.
Vielen Dank.
(Beifall bei der LINKEN)