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Entwicklung fördern durch eine andere, humane Migrationspolitik

Rede von Heike Hänsel,

Heike Hänsel, entwicklungspolitische Sprecherin der Fraktion DIE LINKE., kritisiert in der Debatte um den interfraktionellen Antrag der Koalitionsfraktionen und der Fraktionen FDP und Grüne "Diaspora - Potenziale von Migrantinnen und Migranten für die Entwicklung der Herkunftsländer nutzen", dass darin keine Aussagen dazu getroffen werden, wie Illegalisierung und Ausbeutung von Migrantinnen und Migranten überwunden werden können:

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste, die Sie zu später Stunde noch im Parlament anwesend sind! Wir sprechen heute über einen interfraktionellen Antrag, an dem die Linksfraktion nicht mitgearbeitet hat. Wir sind nämlich nicht zur Mitarbeit eingeladen worden. Das ist schlecht. Denn sonst wäre sicherlich ein besserer Antrag dabei herausgekommen.

(Beifall bei der LINKEN - Dr. Karl Addicks [FDP]: Nein! Dann wäre dabei gar nichts herausgekommen!)

Wir diskutieren über die Beiträge von Migrantinnen und Migranten zur Entwicklung ihrer Herkunftsländer. Das ist ein wichtiges und bisher viel zu wenig beachtetes Thema. Die Linke setzt sich natürlich ganz klar dafür ein, dass die Potenziale von Migrantinnen und Migranten für die Entwicklungszusammenarbeit gefördert werden. Dabei spielen die enormen Beträge an Rücküberweisungen, die laut Weltbank die öffentlichen Mittel der Entwicklungshilfe um das Doppelte übersteigen, eine wichtige Rolle.

Aber sie sind nur eine Seite der Medaille. Denn wer das Potenzial von Migrantinnen und Migranten lobt, wer Migration als Bereicherung ansieht und wer insbesondere die Frauen unterstützen will, wie es in vielen Beiträgen zum Ausdruck gebracht wurde, der muss sich dafür einsetzen, dass legale Migration ermöglicht wird

(Beifall bei der LINKEN)

und dass Migrantinnen und Migranten in den Industrieländern vor Ausbeutung und Illegalität geschützt werden. Hierin liegt die Schwäche dieses Antrags.

(Sevim Dağdelen [DIE LINKE]: Richtig!)

Mit keinem Wort werden die aktuellen Rahmenbedingungen der Migration thematisiert, und es wird kein Bezug zur derzeitigen Migrations- und Flüchtlingspolitik Deutschlands und der EU hergestellt. Deshalb ist dieser Antrag in meinen Augen unpolitisch. Es ist nicht nachzuvollziehen, dass zwei Oppositionsfraktionen diesen Antrag unterstützen.

Vor ein paar Stunden wurde noch über die Migrations- und Integrationspolitik diskutiert. Es wurde mehr als deutlich: Wir brauchen eine grundlegende Wende in der deutschen und der europäischen Migrations- und Flüchtlingspolitik.

(Beifall bei der LINKEN)

Das müssen Sie einmal in Richtung Ihrer Fachpolitiker kommunizieren. Jetzt sagen Sie, dass Migrantinnen und Migranten eine Bereicherung darstellen. Davon war in der Debatte, die wir vorhin geführt haben, nichts zu hören.

(Sibylle Pfeiffer [CDU/CSU]: Das ist ja gar nicht wahr! Ich habe genau das gesagt! - Dr. Karl Addicks [FDP]: Sie haben doch gar nicht zugehört!)

Das betrifft vor allem die Abschottungspolitik der Europäischen Union durch die Aufrüstung ihrer Außengrenzen. Viele Tausend Menschen sterben nämlich jedes Jahr bei dem Versuch, über das Mittelmeer oder den Atlantik nach Europa zu gelangen. Die Strategien der Europäischen Union, die Migration mit Mitteln der Repression aufzuhalten, sind nicht nur aussichtslos, sondern für viele auch tödlich. Deshalb fordert die Linksfraktion die Auflösung der Grenzschutzagentur Frontex

(Beifall bei der LINKEN)

und die Einrichtung einer Koordinierungsstelle zur menschenwürdigen Aufnahme von Flüchtlingen und Arbeitsmigrantinnen und Arbeitsmigranten.

(Beifall bei der LINKEN -– Dr. Karl Addicks [FDP]: Das hätten Sie schon vor 20 Jahren machen sollen!)

Wir fordern, die Zusammenarbeit im Bereich der Migrationskontrolle mit nordafrikanischen Transitstaaten, in denen es zu massiven Menschenrechtsverletzungen und zu Verstößen gegen rechtsstaatliche Grundsätze kommt, zu beenden.

(Sevim Dağdelen [DIE LINKE]: Jawohl!)

Wir lehnen es ab, dass im Rahmen der Entwicklungszusammenarbeit formell und informell unter anderem mit afrikanischen Staaten als Voraussetzung für die weitere Kooperation oder im Rahmen eines Good-Governance-Konzepts auf europäischer Ebene Rücknahmeabkommen geschlossen werden. Das betrifft auch die deutsch-französische Initiative für eine neue europäische Migrationspolitik. Darin orientiert sich das Angebot legaler Einwanderungsmöglichkeiten allein am Arbeitskräftebedarf der einzelnen Mitgliedstaaten. Die Interessen der betroffenen Migrantinnen und Migranten werden ignoriert.

Ich frage mich: Warum setzen Sie sich in Ihrem Antrag zum Beispiel nicht dafür ein, dass die Bundesrepublik endlich der UN-Konvention zum Schutz der Rechte von Wanderarbeiterinnen und Wanderarbeitern beitritt,

(Beifall bei der LINKEN)

wie von vielen Menschenrechts- und Flüchtlingsgruppen seit langem gefordert? Die deutsche Gesetzeslage steht nämlich in vielen Punkten in diametralem Widerspruch zu den Bestimmungen dieser Konvention. Hier wäre es möglich, einen echten Beitrag zur Verbesserung der Lage von Migrantinnen und Migranten zu leisten. Dadurch würde vielen erst die Möglichkeit eröffnet, etwas zur Entwicklung ihrer Herkunftsländer beizutragen.

Für mich wäre ein modernisiertes Staatsbürgerschaftsrecht auch eine ganz konkrete Unterstützung der von Ihnen genannten Brückenfunktion von Migrantinnen und Migranten.

(Beifall bei der LINKEN)

Mehrfachstaatsbürgerschaften würden es Migrantinnen und Migranten zum Beispiel ermöglichen, zwischen verschiedenen Ländern zu pendeln - zum großen Nutzen der beiden Gesellschaften im Herkunfts- und im Aufnahmeland. Viele Hunderttausend Menschen leben versteckt und ohne sicheren Aufenthaltsstatus in den Staaten der EU - auch in Deutschland. Die Linksfraktion fordert für diese Menschen eine humane Bleiberechtsregelung, die nicht an schwer erfüllbare Bedingungen geknüpft ist, und eine menschenwürdige Einwanderungspolitik. Das wäre in meinen Augen die beste Voraussetzung für die Stärkung der Entwicklungspotenziale von Migrantinnen und Migranten.

Danke.