Sehr verehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Eigentlich hätten der Nationale Integrationsplan und die zwei Integrationsgipfel zu einschneidenden Ereignissen in der Geschichte bundesdeutscher Migrations- und Integrationspolitik werden können; denn zum ersten Mal setzte sich die Politik auf höchster Ebene gemeinsam mit Vertretern von Migranten und Verbänden mit Fragen der Migration und Integration auseinander. Sie waren wichtige, nötige und seit langem überfällige Initiativen von hohem Symbolwert.
Die Anerkennung von Migrantenorganisationen als Gesprächspartner auf höchster Ebene sollte dies verdeutlichen. Viele erhofften sich davon einen politischen und gesellschaftlichen Paradigmenwechsel. Doch nun ist die Enttäuschung groß. Der Nationale Integrationsplan kann keinen nennenswerten Beitrag dazu leisten, die Migrations- und Integrationspolitik zu modernisieren, er ist nicht geeignet, die Voraussetzungen für eine gleichberechtigte politische, soziale und gesellschaftliche Teilhabe aller in unserem Land lebenden Menschen zu schaffen.
(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)
Das liegt schlicht daran, dass Symbole allein nichts nützen. Die im Plan enthaltenen unverbindlichen Absichtserklärungen sind ungeeignet, die vielen Benachteiligungen und Diskriminierungen in der Sozial-, Arbeitsmarkt- und Bildungspolitik abzuschaffen, unter denen Migranten besonders leiden.
Für die Linke steht der Mensch als Maß aller Dinge im Vordergrund und nicht seine Nützlichkeit im wirtschaftlichen Sinne.
(Beifall bei der LINKEN Zuruf von der SPD: Für uns auch!)
Deshalb sieht für uns eine wirkungsvolle Integrationspolitik anders aus. Eine gute Integrationspolitik ist zugleich eine gerechte Sozialpolitik für alle in diesem Land lebenden Menschen.
(Beifall bei der LINKEN)
Mehr und bessere Sprach- und Integrationskurse sind sehr wohl wichtige Schritte. Sie allein werden die Migranten aber nicht vor den Hartz-Gesetzen, Arbeitsverboten und sozialen Benachteiligungen im Bildungssystem schützen.
(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)
Diese Benachteiligungen und Diskriminierungen sind nicht die Folge unzureichender Integration der Betroffenen. Das Gegenteil ist der Fall: Die Benachteiligungen und Diskriminierungen sind es, die den Betroffenen ihre Integration tagtäglich erschweren.
Wie kann es sein, dass wir in Ihrer Analyse der Rahmenbedingungen für die Integrationspolitik kein Wort über diese Diskriminierungen lesen? Wir finden kein Wort über Rassismus und Diskriminierungen in allen Bereichen der Gesellschaft wie Beruf, Schule, Politik und Privatleben, kein Wort über diskriminierende, ausgrenzende Gesetze und Regelungen wie dem Asylbewerberleistungsgesetz, der sogenannten Residenzpflicht, faktische Ausbildungs- und Arbeitsverbote, kein Wort über den weitgehenden Ausschluss von der Teilnahme an Wahlen und der damit verweigerten politischen Teilhabe in einem zentralen Demokratiebereich, kein Wort über die erschwerten Einbürgerungsregelungen, die Migranten sehr lange im Zustand der grundlegenden Ungleichbehandlung und minderer Rechte belassen und kein Wort über ein sozial höchst selektives und Ungleichheiten verfestigendes dreigliedrigen Schulsystem.
Bei Ihnen ergibt sich der Eindruck, als wurzele die unzureichende Integration im Unvermögen und im Unwillen der zu Integrierenden. Sie reduzieren das Problem weitgehend auf mangelnde Deutschkenntnisse von Migranten, denen eine Bringschuld unterstellt wird. Die Mehrheitsgesellschaft habe lediglich die Aufgabe, sie dabei zu fördern und zu fordern. Doch während beim Fordern im Rahmen der Novellierung des Zuwanderungsgesetzes knallharte gesetzliche Fakten geschaffen wurden, bleibt es beim Fördern im Nationalen Integrationsplan bei Handlungsempfehlungen und Absichtserklärungen. Wissen Sie, das erinnert mich irgendwie an Hartz IV und die Sozialpolitik der letzten Jahre. Beim Fordern Zwang und Ausbeutung war die Politik sehr effizient und erfolgreich, beim Fördern blieb es bei wohlfeilen Erklärungen.
(Beifall bei der LINKEN)
Über aufenthaltsrechtliche Aspekte durfte auf dem Gipfel überhaupt nicht diskutiert werden. Dafür gab es in den Arbeitsgruppen überhaupt kein Mandat. Von Anfang an war klar: Während die Bundesregierung mit den Organisationen und Verbänden in Arbeitsgruppen symbolhaft über Integration debattierte, stellte sie im Bundestag mit den massiven Verschärfungen im Aufenthaltsgesetz die ganz unsymbolischen Weichen für die zukünftige hässliche und harte Integrationspolitik, für das, was auch Sie, Frau Böhmer, unter den neuen Paradigmenwechseln verstehen: Sanktionen statt Angebote, Ausweitung von Abschiebungen statt Aufenthaltsverfestigung und Eingriffe in Grundrechte statt Ausbau von Rechten.
(Josef Philip Winkler (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Leider alles wahr!)
Ich sagte vor ein paar Minuten, dass Symbole keine notwendigen Schritte ersetzen. Besonders schlimm ist es aber, wenn das Symbolhafte die wirklichen Absichten nicht nur zu ersetzen versucht, sondern auch versucht, von ihnen abzulenken. Das Gesetzgebungsprojekt der Bundesregierung steht nicht versehentlich in einem krassen Widerspruch zu den Absichtserklärungen im Vorfeld des Gipfels und zum Plan selbst. Was bleibt, ist die Erkenntnis, dass es nie um tatsächliche Mitbestimmung und Teilhabe ging. Migranten und deren Organisationen sollten sich als Feigenblatt für eine in Wahrheit integrationsfeindliche Politik hergeben. Die Bundesregierung hat genau jene Themen ausgeklammert, die für die Migranten wichtig waren. Wie sonst erklären Sie sich, dass zahlreiche Verbände den Gipfel boykottiert haben?
(Reinhard Grindel (CDU/CSU): Die bereuen das schon! Die arbeiten schon wieder zusammen!)
Das war in letzter Konsequenz sehr verständlich.
Symbole ersetzen nicht die Tat. Symbole werden missbraucht, wenn sie von Taten ablenken sollen, die zu erklärten Zielen in Widerspruch stehen. Wer von dem Ziel der Integration redet, darf über rechtliche und soziale Gleichstellung nicht schweigen. Lassen Sie mich kurz auflisten, worüber Sie lieber geschwiegen haben: Migranten werden seit Jahrzehnten demokratische Rechte der Mitbestimmung vorenthalten. Es wird verhindert, dass sie sich an der Bildung eines demokratischen Mehrheitswillens beteiligen und mit gestalten können. Die Linke will diese Integrationshemmnisse beseitigen. Deshalb fordern wir die erleichterte Einbürgerung. Aber auch für Menschen, die keinen deutschen Pass haben, müssen Grund-, Bürger- und Menschenrechte gelten.
(Beifall bei der LINKEN)
Die Linke will, dass politische Rechte dort gewährleistet werden, wo der Lebensmittelpunkt der Menschen ist. Deshalb muss mindestens das kommunale Wahlrecht für nicht EU-Bürger eingeführt werden. Die Linke fordert strukturelle Veränderungen im Kinderbetreuungs- und Bildungssystem, um die Lern- und Bildungschancen von Migranten zu verbessern; das heißt, statt des dreigliedrigen Schulsystems die Einführung eines flächen- und bedarfsgerechten ganztägigen Schulangebots.
(Beifall bei der LINKEN)
Veränderungen bedarf es auch bei der Ausbildung. Statt ausländische Unternehmer, wie Frau Böhmer das dargestellt hat, immer wieder aufzurufen, jugendliche Migranten auszubilden, fordert Die Linke, alle Unternehmen der Privatwirtschaft und des öffentlichen Dienstes in die Verantwortung zu nehmen und eine gesetzliche Ausbildungsplatzumlage einzuführen, um allen Jugendlichen einen Ausbildungsplatz zu ermöglichen.
Darüber hinaus fordern wir, ausländische Abschlüsse von Migranten leichter anzuerkennen. Denn sonst rauben wir diesen Menschen ihre biografischen Leistungen.
Ganz besonders fordern wir die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns und die Umwandlung von Minijobs in sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse, weil gerade Migranten überdurchschnittlich stark im Niedriglohnbereich ausgebeutet werden.
Meine Damen und Herren, wenn Sie die Integration von Menschen wollen, dann müssen Sie dafür die Rahmenbedingungen schaffen. Nur so erreichen wir die dringend erforderliche Förderung und Stärkung der bereits laufenden und bestehenden eigenständigen Integrationsdynamik. Sie würden bemerken, dass sich alle vermeintlichen Probleme fast von selbst erledigten.
Wenn ich heute von dieser Stelle und an diesem Ort zu Ihnen in deutscher Sprache spreche, dann doch nicht deswegen, weil man mich in Sprachkurse gepresst hätte. Sprache ist Herzenssache.
(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)
Ich selbst und jede Frau und jeder Mann werden so sprechen, wie es ihnen das jeweilige Lebensumfeld ermöglicht.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Frau Kollegin, Sie denken bitte an Ihre Redezeit.
Sevim Dagdelen (DIE LINKE):
Ich komme zum Schluss.
Sprache ist nicht die erste Voraussetzung für Integration, sondern vor allem ihre tägliche Folge.
Abschließend eine kurze persönliche Bemerkung. Als meine Eltern vor 35 Jahren in Deutschland ihr Zuhause fanden, war es nicht der Zwang, der Druck, der uns zum Teil der hiesigen Gesellschaft machte. Vielmehr hat man gegen Schwierigkeiten und Hindernisse gekämpft, um diese zu überwinden.
Sorgen Sie sich um die Teilhabe und die soziale Gerechtigkeit für Migranten, für deutsche Staatsbürger, für Arbeitnehmer, für Frauen und für Kinder, also für alle Menschen in diesem Land! Und sie werden erleben, dass eine gerechte Gesellschaft ohne Ausgrenzungen, ohne Gräben zwischen den Menschen auskommt.
Danke sehr.
(Beifall bei der LINKEN)

Eine gute Integrationspolitik ist zugleich eine gerechte Sozialpolitik für alle in diesem Land lebenden Menschen
Rede
von
Sevim Dagdelen,