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Ein sozial-ökologisches Zukunftsinvestitionsprogramm ist nötig

Rede von Michael Schlecht,

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Herr Minister, da Sie eine Erfolgsbilanz der deutschen Wirtschaftspolitik aufgemacht haben, ist das Erste, worauf man Sie in dieser Debatte hinweisen müsste, dass wir bei den Löhnen nach wie vor eine vollkommen desaströse Entwicklung haben,

(Dr. Michael Fuchs (CDU/CSU): Kennen Sie die Zahlen nicht?)

dass heute die Löhne trotz einer leichten Verbesserung in den letzten Jahren nach wie vor um 3,6 Prozent niedriger sind als im Jahr 2000. Das heißt, ein Durchschnittsverdiener verdient heute preisbereinigt deutlich weniger als im Jahr 2000;

(Michael Grosse-Brömer (CDU/CSU): Wie hoch sind die deutschen Löhne eigentlich im europäischen Vergleich?)

denn mit der gesamten Politik der Agenda 2010 sind die Handlungsmöglichkeiten der Gewerkschaften massiv unterminiert worden.

Es ist erfreulich, dass Sie nächste Woche den Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der Tarifautonomie vorlegen werden. Wir werden dann allerdings sehen, ob die darin enthaltenen Regelungen nicht nur in extrem homöopathischer Weise wirken werden.

Ich möchte gerne noch auf einen anderen Punkt - ich habe ja nicht so viel Redezeit - eingehen.

(Dr. Michael Fuchs (CDU/CSU): Gott sei Dank!)

Die Situation heute ist Folgende: Die Infrastruktur in Deutschland verrottet. Die Hälfte der Brücken in Deutschland ist marode. Die Zahl der Schlaglöcher auf den Straßen steigt. Bereits heute sprechen Gerichte Autofahrern Schadensersatz zu, wenn durch das Holpern durch die Schlaglöcher Schäden entstanden sind. An den Hochschulen fällt der Putz von der Decke, usw. usw. Sie lassen die Infrastruktur Deutschlands faktisch vergammeln. Dafür sind die Regierungen der letzten zehn bis zwölf Jahre verantwortlich. Was hier geschehen ist, ist wirklich skandalös.

(Beifall bei der LINKEN)

Es wurde in den letzten zehn Jahren auf Teufel komm raus gekürzt, um so gleichzeitig Reichen und Vermögenden 500 Milliarden Euro zu schenken. Hätten wir noch heute die Steuergesetzgebung von Helmut Kohl, dann hätte es eine ganz andere Entwicklung gegeben. Seit 2003 sind die öffentlichen Investitionen viel zu niedrig, um den Verschleiß der Infrastruktur auszugleichen. Das gibt es in keinem anderen europäischen Land, nur in Deutschland, vollkommen desaströs. Das Land wird faktisch abgebaut und nicht aufgebaut.

(Beifall des Abg. Klaus Ernst (DIE LINKE))

Neben dem Thema Infrastruktur gibt es einen weiteren Skandal, und zwar im Dienstleistungsbereich: Der Ausbau von Krippen und Kindertagesstätten reicht bei weitem nicht aus. In der Bildung wird verstärkt gekürzt, statt mehr Geld einzusetzen. Es gibt einen guten Grund, warum in diesen Tagen wieder zu Bildungsstreiks aufgerufen wird und die jungen Leute sich wehren. Dafür kann man ihnen nur viel Mut und Erfolg wünschen.

(Beifall der Abg. Dr. Gesine Lötzsch (DIE LINKE))

In den Krankenhäusern gibt es zu wenig Pflegepersonal. Die Länder alleine können den Unterhalt überhaupt nicht stemmen. Ältere Menschen in Heimen werden zu oft schlecht betreut. Es reicht häufig nur noch für die Satt-und-sauber-Pflege. Auch das ist in so einem reichen Land wie diesem schlichtweg menschenunwürdig und ein Skandal.

(Beifall bei der LINKEN)

Die jetzige Regierung ändert an dieser Politik nichts. Haushaltskonsolidierung über alles - das ist zurzeit große Mode und die Devise in Deutschland. Das ist falsch. Dabei ginge es auch anders, auch ohne neue Schulden zu machen: Man müsste sich nur einmal dazu entschließen, Reiche und Superreiche wieder stärker zu besteuern, zumindest die Steuern auf das Niveau der Regierungszeit Helmut Kohls anzuheben. Insoweit bin ich fast ein Fan des Altbundeskanzlers.

(Andreas Mattfeldt (CDU/CSU): Er war ein sehr guter Kanzler!)

Aber wir sind der Auffassung: Man müsste mehr machen.

Die Linke hat ein steuerpolitisches Konzept, mit dem die staatlichen Einnahmen um 180 Milliarden Euro pro Jahr erhöht werden könnten. Der wichtigste Baustein ist die Wiedereinführung einer Vermögensteuer, mit der wirklich Reiche mit ihrem Vermögen deutlich zur Besteuerung herangezogen werden. Wir wollen die Millionärssteuer. Das heißt, alle Menschen, die weniger als 1 Million Euro besitzen, werden davon nicht betroffen sein. Man könnte einmal eine Umfrage machen, wer in diesem Hohen Hause davon betroffen wäre.

Die Linke will das Vermögen besteuern. Die Millionärssteuer würde vor allen Dingen für die Länder eine deutliche Verbesserung bedeuten. Denn die Vermögensteuer ist eine Steuer, die vor allem den Ländern zufließt. Die Länder hätten die Möglichkeit, in dem Bereich Bildung und dem Bereich Soziales vieles voranzubringen. Sie hätten vor allen Dingen auch die Möglichkeit, die Zuweisungen an die Kommunen wieder deutlich auszuweiten. Denn die Kommunen sind in der Tat das große Problem.

Herr Gabriel, ich will auf einen Punkt hinweisen: Die Kommunen tragen als öffentliche Auftraggeber nicht mehr zwei Drittel der Investitionen, sondern nur noch 50 Prozent,

(Sigmar Gabriel, Bundesminister: Stimmt!)

gerade deshalb, weil in den letzten zehn Jahren die Situation durch Kürzungen bei den Kommunen und verschiedene andere Ursachen, die ich jetzt nicht ausführen kann, so desaströs geworden ist. Die Kommunen, in denen lebensnah entschieden werden kann, was für die Bürgerinnen und Bürger sinnvoll ist, müssen durch Zuweisungen insbesondere aus den Ländern und andere Maßnahmen wieder deutlich mehr Geld bekommen, damit dort wieder die Investitionsquoten steigen und 60 bis 70 Prozent der Investitionen in den Kommunen entschieden werden können.

(Beifall bei der LINKEN)

Um all diese Missstände bei der Infrastruktur, aber auch gerade im sozialen Bereich auf Bund-, Länder- und Gemeindeebene anzugehen, plädieren wir dafür, ein umfassendes nationales Zukunftsprogramm aufzulegen. Wir wollen ein Zukunftsprogramm in einer Größenordnung von 100 Milliarden Euro jährlich für Bund, Länder und Kommunen. Das muss man abstimmen.

Wir sind für dieses sozial-ökologisches Zukunftsprogramm, um die öffentlichen Investitionen in Bildung, Bauten, Verkehr und vor allem auch in die Energiewende zu erhöhen. Es müssen mehr staatliche Gelder in die Energiewende fließen. Alleine dafür sollte ungefähr die Hälfte der Mittel, also 50 Milliarden Euro, aufgewendet werden. Die übrigen 50 Milliarden Euro müssten in Bildung, Erziehung und die Pflege älterer Menschen fließen.

Wenn man das machen würde, dann hätte man die Chance ‑ Sie halten sich ja immer die Erfolge am Arbeitsmarkt zugute; diese „Erfolge“ bestehen im Regelfall nur in der Ausweitung der Prekarisierung ‑, mit einem solchen Zukunftsprogramm 2 Millionen Arbeitsplätze zu schaffen, und zwar anständige Arbeitsplätze: tariflich abgesicherte Vollzeitarbeitsplätze, von denen man leben kann, statt Arbeitsplätze in Hunger- und Niedriglohnbereichen, die in den letzten Jahren so schrecklich grassieren.

Wenn man von staatlicher Seite den Hungerkurs der letzten zehn Jahre zurücknimmt ‑ auf das daneben bestehende Lohnproblem kann ich jetzt nicht weiter eingehen ‑ und ein Zukunftsprogramm auflegt, dann wäre das ein wichtiger Schritt, um den verhängnisvollen Außenhandelsüberschuss Deutschlands abzubauen. Wir würden die Binnennachfrage stärken und die Möglichkeit schaffen, dass andere Länder, die heute unter der Übermacht Deutschlands leiden, verstärkt nach Deutschland exportieren. Wir hätten auch die Möglichkeit, dass Arbeitsleistung, die heute dem Exportsektor zugutekommt, für die Binnenwirtschaft eingesetzt wird.

Insoweit wäre das auch ein Beitrag, um die Euro-Krise an den Wurzeln zu packen, indem der Außenhandelsüberschuss verringert und am besten auf null gebracht wird.