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Ein anderer Handel ist möglich - solidarische Abkommen mit den lateinamerikanischen Staaten entwickeln

Rede von Heike Hänsel,

Unmittelbar nach der Verabschiedung der Verhandlungsmandate der EU-Kommission durch den Rat für Außenbeziehungen der EU brachte die Fraktion DIE LINKE. mit einem eigenen Antrag (16/5045) die bevorstehenden Assoziierungsverhandlungen der EU mit den Staaten Zentralamerikas und der Andengemeinschaft auf die Tagesordnung des Bundestags. Die entwicklungspolitische Sprecherin Heike Hänsel begründete für die Fraktion den Antrag (Rede zu Protokoll):

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen,

Außenminister Steinmeier zeigte sich nach seiner jüngsten Lateinamerikareise enttäuscht über die eigensinnige Haltung der lateinamerikanischen Regierungen: Die Freihandelsabkommen, die die EU mit mehreren lateinamerikanischen Staatengruppen abschließen will, kämen nicht von der Stelle, klagte er, Regierungen wie die Venezuelas oder Boliviens störten das Vorankommen. Steinmeiers Problem: Die lateinamerikanischen Regierungen beginnen - gestützt auf die sozialen Bewegungen in ihren Ländern - eigene politische Vorstellungen zu formulieren, auch in ihren Außenwirtschaftsbeziehungen. Das waren unsere Regierungen bislang nicht von ihnen gewohnt.

Die bolivianische Regierung beispielsweise hat bereits im Juli 2006 ihre Vorstellungen von Handelsbeziehungen mit der EU in einem 17-Punkte-Papier zusammengefasst. Wenn ich mir jetzt die Verhandlungsmandate anschaue, mit denen der Rat für Außenbeziehungen der EU am vergangenen Montag die EU-Kommission für die anstehenden Assoziierungsverhandlungen ausgestattet hat, muss ich feststellen: Eine Rücksichtnahme auf die Haltung der bolivianischen Partner ist nicht zu erkennen. Die EU geht mit einer klaren neoliberalen Agenda in die Verhandlungen mit den Anden- und den zentralamerikanischen Staaten. Sie will - wie auch in Verhandlungen mit anderen Staatengruppen des Südens - das durchsetzen, womit sie in der Welthandelsorganisation bislang nicht durchkam: Harmonisierung des Wettbewerbsrechts, Investitionsschutzabkommen, Öffnung der Beschaffungsmärkte der öffentlichen Hand - die berühmten „Singapur-Themen“, deren Aufnahme auf die Verhandlungsagenda der Welthandelsorganisation durch die Entwicklungs- und Schwellenländer verhindert werden konnte.

Wenn sich die EU an diesen Punkten durchsetzt, würden die politischen Handlungsspielräume der lateinamerikanischen Regierungen massiv eingeschränkt, staatliche Strukturpolitik würde erschwert, demokratische Entscheidungen zur Ausgestaltung der Daseinsvorsorge und der Versorgungsmärkte würden zugunsten des uneingeschränkten Marktzugangs für europäische Konzerne untergraben.

Ich frage deshalb: Wer zeigt mangelhaften Kooperationswillen - diejenigen, die in Lateinamerika solidarische, gleichberechtigte und entwicklungsförderliche Beziehungen zu Europa einfordern, oder diejenigen in der EU, die an neoliberalen Freihandelsdiktaten festhalten? Steinmeier und EU-Außenkommissarin Ferrero-Waldner hatten im Vorfeld der Ratsentscheidung heftig in Lateinamerika für die Freihandelsabkommen geworben. Dort mussten sie feststellen, dass die Europäische Union in Lateinamerika längst nicht mehr als die freundliche Alternative zum Hegemonialstreben der USA wahrgenommen wird. Die Menschen in Lateinamerika haben genug von den neoliberalen Wirtschafts- und Handelsrezepten aus dem Norden, die vor allem den Konzernen des Nordens helfen und in Lateinamerika soziale und wirtschaftliche Flurschäden hinterlassen.

Neue, alternative und vor allem solidarische Wege wirtschaftlicher Kooperation werden in Lateinamerika nicht nur ohne die USA, sondern auch ohne die EU ausprobiert bzw. müssen gegen die USA und leider auch gegen die EU verteidigt werden. Interessant ist, wie Außenminister Steinmeier und die Regierungsfraktionen diese regionalen Integrationsbestrebungen bewerten, nämlich in erster Linie als Störfaktor für die EU-Politik. Wir fordern dagegen, die regionale Integration nicht als Störung, sondern als Chance für Lateinamerika zu begreifen und unsere Politik gegenüber Lateinamerika so zu gestalten, dass sie diese Bestrebungen unterstützt und nicht behindert.

Handel muss nicht auf Wettbewerb und Verdrängung basieren. Im Abkommen ALBA - der „Bolivarischen Alternative für Amerika“ - wird vielmehr versucht, einen komplementären, am Bedarf der Partner orientierten Austausch und konkrete Maßnahmen solidarischer Hilfe zu organisieren. Davon profitieren viele Menschen bereits jetzt sehr konkret. Und immer mehr Länder schließen sich der Initiative an. Das zeigt: Ein anderer Handel ist möglich! Deshalb fordern wir von der EU, Maßstäbe für solidarische Handelsabkommen zu entwickeln!

Wir haben dazu in unserem Antrag ganz konkrete Vorschläge gemacht und dabei Forderungen sozialer Bewegungen und linker Regierungen aufgegriffen: Die Verhandlungen zwischen der EU und der Andengemeinschaft bzw. den zentralamerikanischen Staaten müssen auf gleicher Augenhöhe und mit dem Ziel einer verstärkten Entwicklungspartnerschaft geführt werden. Sie müssen für die Beteiligung der Zivilgesellschaft und der Parlamente geöffnet werden. Sie müssen das Wohlstandsgefälle zwischen Europa und Lateinamerika berücksichtigen und sollten deshalb heterogen ausgestaltet werden. Die so genannten Singapur-Themen müssen von der Verhandlungsagenda genommen werden. Wir bestehen darauf: Soziale, ökologische und arbeitsrechtliche Standards müssen Vorrang vor Konzerninteressen haben.