Die Kritik am Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz reißt nicht ab. Kritik an der Umsetzung der EU-Richtlinie kommt auch von der EU-Kommission. Sie hat sogar ein erneutes Vertragsverletzungsverfahren gegen die Bundesrepublik eingeleitet. Dabei hat sie die Bundesregierung zur Stellungnahme eben auch zu jenen Punkten aufgefordert, die wir im damaligen Gesetzgebungsverfahren problematisiert haben.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren!Bereits im Juni 2006 hatte die Fraktion DIE LINKE. zur zweiten und dritten Beratung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung einen Entschließungsantrag zur Umsetzung europäischer Richtlinien zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung mit der Drucksachennummer 16/ 2034 eingebracht. Neben Ausgestaltungsmängeln im Einzelnen litt der damalige Gesetzentwurf der Bundesregierung vor allem darunter, dass er nicht alltagstauglich war. Für die vorrangig von Diskriminierung Betroffenen war er ein schwaches Instrument zur Durchsetzung ihrer unantastbaren Menschenwürde und des Diskriminierungsverbots. Die Umsetzungsgesetzgebung zielte ganz eindeutig auf ein möglichst niedriges Schutzniveau gegen Diskriminierung. Wir wollten europarechtswidrige Vorschriften jedenfalls nicht unterstützen. Unsere damalige Forderung, den durch die Bundesregierung eingebrachten Gesetzesentwurf grundlegend zu novellieren, wurde aber mehrheitlich abgelehnt. Selbst die Grünen, die ja stetig Anträge einbringen, haben sich auf den faulen Kompromiss damals eingelassen und dem Gesetzentwurf ihre Zustimmung nicht verweigert.
Ein Jahr nach dem Inkrafttreten des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes - AGG - zeigt sich, wie berechtigt unsere damalige Kritik und Forderungen waren. Auch der Antidiskriminierungsverband Deutschland äußerte seine wesentliche Kritik an dem Gesetz. In seiner Stellungnahme begründete er diese anhand von konkreten Beispielsfällen. Kritik an der Umsetzung der EU-Richtlinie kommt aber auch von der EU-Kommission. Sie hat sogar ein erneutes Vertragsverletzungsverfahren gegen die Bundesrepublik eingeleitet. Dabei hat sie die Bundesregierung zur Stellungnahme eben auch zu jenen Punkten aufgefordert, die wir im damaligen Gesetzgebungsverfahren problematisiert haben.
Durch die Kritik der EU-Kommission bestätigt, haben nun diesen vorliegenden Antrag eingebracht, der unsere damals vorgebrachte Kritik nochmals aufgreift. Das ist um so notwendiger, da die Bundesregierung nach wie vor an ihrer europarechtswidrigen Umsetzung der EU-Antidiskriminierungsrichtlinie festhalten will. Ja, sie will sogar verhindern, dass die EU-Kommission einen erweiterten Schutz für alle Diskriminierungsmerkmale auch für das gesamte Zivilrecht durch Richtlinien festlegt.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren!
Unser Antrag will speziell noch einmal das Ineinandergreifen von Rechten und deren Durchsetzbarkeit anmahnen. Aufgegriffen wird deshalb neben der bereits erwähnten Kritik der EU-Kommission, auf die ich noch zurückkommen werde, vor allem die Kritik des Antidiskriminierungsverbandes Deutschland. Dessen Stellungnahme zum einjährigen Bestehen des AGG verdeutlicht einmal mehr an typischen Praxisfällen, welche Probleme bei dessen Anwendung entstehen. Hinsichtlich niedrigschwelliger Anlaufstellen für Betroffene liest sich die Kritik wie folgt: „Ohne unabhängige, regionale Antidiskriminierungsbüros oder -stellen und ohne wirksame Instrumente zur Rechtsdurchsetzung bleiben Antidiskriminierungsgesetze nur Lippenbekenntnisse.“ Dass bisher sowenig Fälle zum AGG anhängig seien, liege nicht daran, dass Diskriminierung wenig verbreitet sei.
Diese Förderung der regionalen Beratungsstellen ist keine Bundesangelegenheit. Dennoch ist es wichtig, wenn der Bundestag hier ein Signal an die Länder sendet. Ein weiteres Signal ist für den Bereich der Bildung erforderlich, wo die Länder die Verantwortung tragen, die europäischen Richtlinien umzusetzen.
Anders sieht es bei den nachfolgenden Kritikpunkten aus, hier wird die Regierung gesetzliche Vorschläge vorlegen müssen. So kann sich betreffend des von uns vehement eingeforderten Verbandsklagerechts für die Antidiskriminierungsverbände die Bundesregierung nicht rausreden. Hier ist es eindeutig, dass die Bundesregierung die Möglichkeit erschweren will, sich gegen Diskriminierung zu wehren. Für viele Betroffenen ist gerade das Verbandsklagerecht von immenser Bedeutung. Ihnen fehlt es an Zeit, Energie und Geld, sich selbst gerichtlich zu wehren. Viele Diskriminierungen setzen sich damit letztlich schon an dieser Stelle gegen das eigentlich bestehende Recht nach dem AGG faktisch durch.
Auch bezogen auf die Beweislasterleichterung ist die Bundesregierung in der Verantwortung. Wir wollen, dass es zu einer Beweislastumkehr kommt. Darüber hinaus ist der Vorschlag aus der Praxis, ein Auskunftsrecht gegenüber den Unternehmen einzuführen, zu debattieren. Ganz zu schweigen von den absurden Rechtfertigungsgründen und Ausnahmen hinsichtlich des Diskriminierungsschutzes. Beispielsweise die diesbezügliche Ausnahme vom Massengeschäft bei der Wohnungsvermietung.
Schutzlücken gibt es unter anderem auch bei der unterschiedlichen Behandlung aufgrund des Geschlechts im Arbeitsrecht. Darüber hinaus ist die Ausnahmeregelung für unterschiedliche Behandlung durch Religionsgemeinschaften nicht angemessen geregelt. Aber die Bundesregierung schafft es ja nicht einmal diskriminierungsfrei gegenüber ihren eigenen Beamtinnen und Beamten zu agieren. Im Zusammenhang mit der Anhörung zur Lebenspartnerschaft der Fraktion DIE LINKE. haben wir diesen Skandal bereits thematisiert. So diskriminiert die Bundesregierung im Bereich der Beamtenversorgung Personen in eingetragenen Lebenspartnerschaften wegen ihrer „sexuellen Ausrichtung“ hinsichtlich Beihilfe, Familienzuschlag und Witwen- und Witwergeld. Auch die anderen, wie beispielsweise die steuerlichen Unterschiede in der Behandlung von Ehen und eingetragenen Lebenspartnerschaften müssen sofort abgeschafft werden. Der Staat spielt hier eine Vorreiterrolle der ganz üblen Art.
Aber in noch einer anderen Art! Die neoliberale Logik und Politik der Bundesregierung - also die zunehmende Durchdringung aller Lebensbereiche wie Gesundheit, Bildung, öffentliche Dienste und andere durch das Marktprinzip à la „Standortpolitik bzw. -logik“ zieht sich komplett durch ihre (Anti)Diskriminierungspolitik. Diskriminierungsschutz ja, aber nur, wenn es nichts kostet bzw. den Unternehmen und der Wirtschaft nicht schadet. Trotzdem ist es verwunderlich, dass die Leiterin der Antidiskriminierungsstelle des Bundes, Frau Dr. Köppen, in einem Artikel in der FAZ vor einer Erweiterung des Diskriminierungsschutzes gewarnt hat. Nach ihrer Ansicht braucht der Schutz nicht hinsichtlich aller Diskriminierungsmerkmale auch im Zivilrecht auf ein höheres Niveau gestellt werden. Frau Köppen sollte vielleicht lieber bei der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände anheuern. Dort steht Demokratie ohnehin immer unter Finanzierungsvorbehalt.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren!
Zu guter letzt möchte ich auf einen Punkt eingehen, der mir besonders am Herzen liegt. Die vorhandenen Diskriminierungsmerkmale sind nicht umfassend. Ein entscheidender Ansatzpunkt millionenfacher Erniedrigung und Benachteiligung taucht beim Diskriminierungsschutz nicht auf: die soziale Herkunft und sozialen Lebensumstände.
Soziokulturelle Herkunft und sozialer Status haben in der kapitalistischen Gesellschaft eine sehr große Auswirkung auf die Behandlung der Einzelnen und ziehen eine daran anknüpfende Diskriminierung nach sich. Das Merkmal bietet in vielfältiger Weise Anknüpfungspunkte für sozial verwerfliche und rechtsstaatlich unerträgliche Benachteiligungen. Sozial ausgegrenzt werden nicht nur Millionen Erwerbslose, sondern zum Beispiel auch Menschen aus bestimmten Stadtteilen und Regionen, denen Leistungen des „vertragsfreien Markts“ wie Funktelefon etc. nie zuteil werden.
Eine der Auswirkungen der digitalen Erfassung kann beispielsweise schon dazu führen, dass man keinen Kredit bekommt, wenn man eine Wohnung im „falschen“ Stadtteil hat. Beschwerden aus den unterschiedlichen Lebensbereichen von Millionen Bürgerinnen und Bürgern stapeln sich schon bei den Verbraucherschützern. Meist geht es um das sogenannte Verfahren „Scoring“ oder "Redlining". Diese Verfahren helfen zum Beispiel Unternehmen, aus käuflichen Informationen und Daten über die Bevölkerung so etwas wie eine Matrix des Makels zu erstellen, bei der Kunden aus bestimmten Regionen schon aufgrund ihres Wohnortes zu potentiellen Problemfällen werden. Anwohner von sogenannten "Sperrbezirken" werden diskriminiert, etwa wenn sie in Callcentern anrufen und allein wegen der Herkunft ihrer Festnetznummer in der Warteschlange nach hinten durchgereicht werden.
Die soziale Diskriminierung betrifft somit auch Bereiche, die sich eklatant auf die Betroffenen auswirken - nämlich auf dem Wohnungs- und Arbeitsmarkt. Benachteiligungsverbote sind in diesen Bereichen durch Einschränkungen sogleich wieder abgeschwächt worden. So ist „eine unterschiedliche Behandlung im Hinblick auf die Schaffung und Erhaltung sozialer stabiler Wohnstrukturen und ausgewogener Siedlungsstrukturen sowie ausgeglichner wirtschaftlicher, sozialer und kultureller Verhältnisse“ zulässig. Derart offen und allgemein gehaltene Formulierungen lehnt DIE LINKE. ab, denn sie öffnen Diskriminierung im Wohnbereich Tür und Tor und führen das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz im Grunde ad absurdum.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren!
Wir wollen einen effektiven Diskriminierungsschutz verwirklichen. Das Gesetz soll grundsätzlich auf alle Rechtsgebiete Anwendung finden, es sei denn, spezialgesetzlicher Schutz ist weitergehend. Damit würde das Gesetz wirksamen Schutz bieten und eine Gleichbehandlung fördern, wie sie auch durch die Artikel 1, 3 und 20 des Grundgesetzes (GG) vorgegeben ist. Nur durch eine solche generelle Anwendbarkeit des Gesetzes ist Rechtssicherheit gewährleistet, so dass allen Bürgerinnen und Bürgern und allen staatlichen Stellen ersichtlich ist, welches Verhalten rechtswidrig ist. Darüber hinaus ist uns ein zentrales Anliegen, dass die „soziale Herkunft oder sozialen Lebensumstände“ als Diskriminierungstatbestand in den Katalog des AGG aufgenommen wird.
Danke!