Rede zur Agrardebatte am 13. Juni 2007 im Plenum des Deutschen Bundestag zum TOP 4:Planungssicherheit für Landwirte und Milchwirtschaft durch definitiven Beschluss zum Auslaufen der Milchquotenregelung schaffen
Hüseyin-Kenan Aydin (DIE LINKE):Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Es gibt zwei Kriterien, an denen sich die Agrarpolitik in Deutschland messen lassen muss. Es geht um soziale Gerechtigkeit und um ökologische Nachhaltigkeit.
Es kann nicht angehen, dass ein Milchbauer mit 50 Hektar Land seine Familie nicht mehr ernähren kann, weil die Preispolitik des Einzelhandels ihn an die Wand drückt. Es ist diese Marktmacht der großen Konzerne, die der Landjugend die Perspektive raubt und die Abwanderung aus den Randregionen in die Städte fördert. Der Staat muss hier handeln; der Staat muss hier gegensteuern. Agrarpolitik bedeutet deshalb mehr als nur die Rahmensetzung für einen Wirtschaftssektor. Agrarpolitik muss zu einer Politik für den ländlichen Raum werden.
(Beifall bei der LINKEN)
Familien mit bäuerlichen Betrieben benötigen ebenso wie die Arbeitskräfte in den landwirtschaftlichen Betrieben funktionierende Schulen, ein ausreichendes Angebot im medizinischen Sektor und eine funktionierende Verkehrsinfrastruktur.
Richtig ist, dass der globale Zugang in der Agrarpolitik zunehmend in den Vordergrund der Debatte rückt. Es ist schon erstaunlich, wie sehr die Regierung hier hinter den Erfordernissen zurückbleibt. Das angekündigte Programm von Minister Tiefensee für eine Politik gegen die Abwanderung junger Frauen aus den ländlichen Regionen, insbesondere aus dem Osten, ist nicht mehr als ein Tropfen auf den heißen Stein. Seit Jahren werden die Fördermittel für den ländlichen Raum gekürzt: auf EU-Ebene durch die Reduzierung der Mittel für den ELER-Fonds, auf Bundesebene durch die permanente Reduzierung der Mittel für die Gemeinschaftsaufgaben im Rahmen der Förderung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes und auf Länderebene durch die fehlenden Möglichkeiten der Kofinanzierung von Agrarumweltprogrammen. Am Sonntag spricht die Regierung über die Bedeutung der Politik für den ländlichen Raum. Doch am Montag gibt es nur heiße Luft.
Meine Damen und Herren, der Agrarbericht wurde im Bundestag bereits in einer Aktuellen Stunde mit Minister Seehofer debattiert. Blickt man auf die Ergebnisse der größeren Betriebe in Ostdeutschland, wird auch hier der politische Einfluss auf die landwirtschaftlichen Betriebsergebnisse deutlich. Der Einbruch der Gewinne von über 20 Prozent bei ostdeutschen Betrieben, der im Agrarbericht ausgewiesen wird, erklärt sich unter anderem durch die geringeren Direktzahlungen, die mit der Entkoppelung verbunden sind, sowie durch die gerade für diese Betriebe deutlich wirksame Reduzierung der Agrardieselerstattung. Diese beiden Faktoren, die zum Gewinneinbruch beitrugen, sind auf politische Beschlüsse auf EU- wie auf Bundesebene zurückzuführen.
Die Agrarberichterstattung in der vorliegenden Form hat sich unserer Meinung nach bewährt. Da es einen sehr großen Einfluss der Politik auf diesen Wirtschafts- und Lebenssektor gibt, ist es notwendig, die Berichterstattung beizubehalten. Die Vergleichbarkeit und die Evaluierung der in diesem Hause getroffenen politischen Entscheidungen müssen erhalten bleiben. Es ist ein eingespieltes System, das funktioniert und die Vergleichbarkeit in der Rückschau bewahrt. Die von der CDU/CSU vorgeschlagenen aktuelleren Darbietungen von Daten und Analysen über die neuen Medien, via Internet zum Beispiel, können hinzukommen, widersprechen aber nicht der Beibehaltung des Bewährten.
Einer der wichtigsten Bereiche der deutschen Agrarwirtschaft ist die Milchproduktion. Gut 20 Prozent des landwirtschaftlichen Produktionswertes Deutschlands wird über die Milch erwirtschaftet. Bezogen auf die landwirtschaftliche Flächennutzung bietet die Milcherzeugung nach wie vor die im Durchschnitt höchste Wertschöpfung pro Hektar, verbunden mit einer hohen Arbeitsplatzbindung. Deutschland liegt zudem im EU-Vergleich an der Spitze der Milcherzeugung.
Der von der FDP vorgelegte Antrag zum Ausstieg aus der Milchquote im Jahre 2015 wird von den Linken abgelehnt,
(Beifall bei der LINKEN)
unter anderem deswegen, weil die regionale Differenzierung in diesem Antrag gar keine Rolle spielt. Eine völlige Freigabe des Milchmarktes würde sehr schnell zu einer sehr starken Konzentration der gesamten Milcherzeugung führen. Viele kleine Erzeuger in schwierigen Regionen wie etwa den Mittelgebirgen fielen unter den Tisch. Der Marktradikalismus, den die FDP hier vorhat, richtet sich gegen die Existenz Zehntausender Familien. Er richtet sich gegen ganze Regionen.
Dabei hat eine industrialisierte Milchproduktion mit der Fixierung auf den Weltmarkt über die Erzeuger in Deutschland und Europa weit hinausführende Konsequenzen. Das hat kürzlich eine Studie des Evangelischen Entwicklungsdienstes über den Weltmarkt für Geflügelproduktion gezeigt.
(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Das ist etwas anderes als Milch, Herr Kollege! Das können Sie überhaupt nicht vergleichen!)
Innerhalb einiger weniger Jahre sind Hunderttausende afrikanische Existenzen durch die Exporte von Billiggeflügelfleisch aus Europa und Südamerika vernichtet worden. Die europäischen Exportsubventionen verschlimmern dieses Problem.
(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Deswegen schaffen wir sie ja ab!)
Sie sollen 2013 zwar auslaufen. Zugleich wird aber den AKP-Staaten die Pistole auf die Brust gesetzt und ein Freihandelsabkommen bis Ende dieses Jahres verlangt. Hier zeigt sich: Die aktuelle Agrarförderpolitik geht nicht nur an den Bedürfnissen der bäuerlichen Familienbetriebe hierzulande vorbei. Sie ist obendrein auf die Zerstörung der Existenzgrundlagen der Kleinbauern in den Entwicklungsländern ausgelegt. Wer profitiert davon? Einzig die großen transnationalen Nahrungsmittelkonzerne.
(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Sie wissen doch, dass das nicht stimmt!)
Nein, das ist keine Politik für den ländlichen Raum. Das ist eine Politik für die Profite der Agrar- und Lebensmittelkonzerne.
Wir, die Linke, wollen eine sozial gerechte Politik auch für den ländlichen Raum. Deshalb unterstützen wir den von den Grünen vorgelegten Antrag zu einer weiteren Beteiligung der landwirtschaftlichen Krankenversicherung an den Bundesmitteln für versicherungsfremde Leistungen. Außerdem ist es notwendig, die Mittel und Möglichkeiten der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes“ zu erhöhen. Wir brauchen mehr soziale Gerechtigkeit, mehr Infrastruktur in den ländlichen Gebieten. Das Europaparlament hat in einer Entschließung Ende März festgestellt, dass die gegenwärtigen Ansätze zur Förderung des ländlichen Raumes nicht ausreichen. Die Linksfraktion kann sich dieser Erkenntnis nur anschließen.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
(Beifall bei der LINKEN - Hans-Michael Goldmann [FDP]: Kommen Sie einmal in den Ausschuss! - Gegenruf des Abg. Hüseyin-Kenan Aydin [DIE LINKE]: Das werde ich auch noch tun! - Gegenruf des Abg. Hans-Michael Goldmann [FDP]: Noch nicht einmal da gewesen in eineinhalb Jahren!)