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Der Rettungsschirm geht alle an - auch im Parlament

Rede von Steffen Bockhahn,

Rede von Steffen Bockhahn, Fraktion DIE LINKE im Bundestag und Mitglied des Haushaltausschusses zum "Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Stabilisierungsmechanismusgesetzes" (Drucksache 17/9145) in der abschließenden 2./ 3. Lesung.

Vielen Dank. - Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren!

Worum geht es heute? Wir müssen klären, wie der Deutsche Bundestag künftig bei den Maßnahmen, die im Zusammenhang mit dem europäischen Rettungsschirm notwendig sind, mitentscheiden soll. Momentan geht es noch um den temporären Rettungsschirm, also um die EFSF. De facto reden wir aber auch schon über das, was künftig mit dem ESM passieren soll. Dabei geht es dann um 700 Milliarden Euro. 22 Milliarden Euro sind von Deutschland bar einzulegen, und 168 Milliarden Euro muss Deutschland jederzeit als abrufbares Kapital zur Verfügung stellen. Wir reden also über Summen, die mehr als die Hälfte des gesamten Bundeshaushalts eines Jahres ausmachen.

Nun geht es um die Frage: Bei welchen Maßnahmen wird sich das Parlament wie einbringen? Ja, es ist gut, dass geklärt ist, dass der Bundestag im Grundsatz im Plenum in Gänze zu entscheiden hat. Es gibt aber eine Ausnahme, nämlich die sogenannten Sekundärmarktkäufe. Das heißt, über den Ankauf von Staatsanleihen, die schon im Umlauf sind, die also eine Bank hat und die von anderen gekauft werden sollen, nämlich vom ESM, hat das sogenannte Neunergremium zu entscheiden. Es heißt, solche Fälle bedürften einer besonderen Vertraulichkeit, und deshalb könne man darüber nicht offen im Plenum entscheiden. In solchen Fällen soll das sogenannte Neunergremium, über das wir hier reden, aktiv werden.

Es geht um Transparenz und Beteiligung. Ich gebe zu: Ich bin ein wenig irritiert ob einiger Sätze, die ich heute gehört habe. Es heißt, wenn der Deutsche Bundestag seine Rechte zu sehr in Anspruch nähme, würde er letztlich den Europäischen Stabilitätsmechanismus gefährden.

(Otto Fricke (FDP): Nein!)

Das ist für mich unter demokratietheoretischen Aspekten eine sehr problematische Auslegung.

(Beifall bei der LINKEN)

Ich sage Ihnen auch, warum: weil es suggeriert, dass es keine Möglichkeit gebe, dass der Deutsche Bundestag Dinge vertraulich behandelt. Nehmen Sie das Grundgesetz: Art. 42 Abs. 1, Satz 2 des Grundgesetzes sieht vor, dass der Deutsche Bundestag im Plenum in geschlossener Sitzung tagen darf. Es liegt an uns, diese Rechte in Anspruch zu nehmen oder nicht. Ich finde, angesichts der Summen, über die wir hier reden, sind wir nicht nur aufgerufen, sondern sogar verpflichtet, diese Verantwortung wahrzunehmen. Wir reden wahrscheinlich über mehrere Milliarden Euro. Ich finde, diese Verantwortung kann man nicht Einzelnen überlassen. Dafür sind wir alle zusammen zuständig.

(Beifall bei der LINKEN)

Schauen wir uns einmal an, was in den vergangenen Wochen und Monaten noch so alles passiert ist. Bei der Abstimmung über das zweite Griechenland-Rettungspaket war keine Kanzlermehrheit vorhanden.

(Otto Fricke (FDP): War sie nötig?)

Angesichts dessen verstehe ich nicht, warum SPD und Grüne diesem Gesetzentwurf jetzt zustimmen. Damit entlasten Sie die Koalition, die offensichtlich nicht mehr in der Lage ist, bei Entscheidungen, bei denen es um die europäische Stabilität geht, eine eigene Mehrheit herzustellen.

(Christian Freiherr von Stetten (CDU/CSU): Es gibt ja wohl einen Unterschied zwischen eigener Mehrheit und Kanzlermehrheit!)

Durch Ihre Zustimmung ermöglichen Sie es, dass die Koalition treue Kolleginnen und Kollegen in das Neunergremium entsendet. Dort hat die Koalition dann eine eigene Mehrheit und ist auf Sie gar nicht mehr angewiesen. Im Plenum sähe die Sache anders aus. Dort müsste unter Umständen auch anders verhandelt werden, weil die Mehrheitsverhältnisse im Plenum offensichtlich nicht so sind, wie sie im Neunergremium schnell herzustellen sind. In das Neunergremium kann ich zwei, drei Leute schicken, auf die ich mich verlassen kann. Im Plenum habe ich es mit der Gesamtheit des Parlaments und damit mit der Gesamtheit der politischen Ansichten zu tun. Das ist zwar komplizierter, aber es ist ehrlicher, und es ist auch verantwortungsvoller gegenüber dem Haushalt.

(Beifall bei der LINKEN)

Sie mögen das jetzt so interpretieren, dass wir eigentlich nur wieder einen Grund gesucht haben, um Nein zu sagen. Aber es ist ausdrücklich nicht so. Uns geht es darum, dass wir über Beträge reden, die sich niemand mehr vorstellen kann. Wir sprechen bei diesem Thema über Zahlen mit neun Nullen. Diese Zahlen sind jenseits von Gut und Böse, niemand versteht sie. Allein die 22 Milliarden Euro Bareinlage, die wir im ESM zu zahlen haben, über die ich persönlich sage: „Ja, wir haben hier eine Verantwortung“, sind mehr als das Doppelte der Haushaltsmittel, die das Bundesinnenministerium und das Bundesfamilienministerium im ganzen Jahr haben. Ich finde, über diese Mittel müssen wir alle zusammen transparent entscheiden. Niemand von Ihnen würde akzeptieren, dass über einen Einzelplan des Haushalts nicht im Plenum, sondern in einem Neunergremium entschieden wird.
Danke.

(Beifall bei der LINKEN)