Zum Hauptinhalt springen

Der Muslimtest ist eine institutionelle Diskriminierung

Rede von Sevim Dagdelen,

Sevim Dagdelen (DIE LINKE.) zum Antrag von Bündnis 90/Die Grünen:

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen
und Kollegen! Zwar ist das neue Jahr noch sehr jung,
dennoch habe ich für das Unwort des Jahres 2006 bereits
einen Favoriten: Muslimtest.
(Beifall bei der LINKEN)
Bekanntlich werden diejenigen Begriffe zum Unwort des Jahres gekürt, die die Menschen in ihrer Würde verletzen. Die zu Jahresbeginn in Baden-Württemberg eingeführte Einbürgerungspraxis, der Muslimtest, hat beste Chancen, dieses Kriterium zu erfüllen. Dieser Muslimtest stellt nämlich eine institutionelle Diskriminierung, eine öffentliche Demütigung und eine Stigmatisierung von Menschen muslimischen Glaubens dar.
(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Migrantinnen und Migranten in Deutschland fühlen sich durch diesen Test herabgesetzt und entwürdigt. Mit dem Test wird allen Migrantinnen und Migranten aus muslimischen Ländern ein kriminelles Potenzial und mangelnde Integrationsbereitschaft respektive -fähigkeit unterstellt.
In dem Gesprächsleitfaden spiegelt sich zudem die Vorstellung einer deutschen Leitkultur wider. Hinter den Fragen verbirgt sich nämlich das Bild einer kulturellen Rückständigkeit von Muslimen. Für diejenigen, die den ersten notwendigen Schritt in Richtung Integration machen und die deutsche Staatsbürgerschaft beantragen, ist dies ein Schlag ins Gesicht, liebe Kolleginnen und Kollegen der CDU und der CSU.
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Die Fraktion Die Linke hält die bislang einmalige Prozedur in Baden-Württemberg im Hinblick auf das geltende Gleichheitsgebot und das Persönlichkeitsrecht für besonders bedenklich. Es ist nicht einzusehen, warum Menschen eines bestimmten Glaubens intensiver geprüft werden sollen als zum Beispiel einbürgerungswillige Christen oder Hindus. Ferner ist nicht einzusehen, warum man überhaupt auf Fragen nach der Arztwahl oder dem Schwimmunterricht der Tochter eingehen
soll. Die Fragen bedienen lediglich die vorherrschenden Ressentiments gegenüber Migrantinnen und Migranten und sind mit unserem demokratischen Verständnis und Selbstverständnis überhaupt nicht vereinbar.
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Auch wenn das Ländle Baden-Württemberg nun die Streichung einiger Fragen vornehmen und die Anwendung dieser Vorschrift auf alle Einbürgerungskandidaten wie angekündigt ausdehnen sollte, ist ein solcher Gesinnungstest nicht akzeptabel. Wir können nicht von Menschen, die sich einbürgern wollen, erwarten, das zu sein, was wir nicht sind. Wir Deutsche sind leider nicht frei von Sexismus, Antisemitismus und Rassismus. Wir sind nicht vorurteilsfrei gegenüber dem Geschlecht, sexueller Orientierung und Ethnien. Wir wollen das gerne sein, sind es aber nicht. Die gesellschaftliche Realität zeigt militanten Rechtsextremismus, Antisemitismus, Gewalt gegenüber Schwulen und Frauen, Homophobie und Islamphobie.
Im Hinblick auf die bevorstehenden Landtagswahlen bieten dieser Fragebogen und der Ruf nach Verschärfung des Zuwanderungsrechts Anlass zur Sorge. Es ist wohl kein Zufall, dass die gegenwärtige Debatte mitten in den Wahlkampf fällt und dass Baden-Württemberg dabei auch noch eine Vorreiterrolle übernommen hat.
Ich möchte Sie hier ausdrücklich warnen: Wenn Parteien, Politikerinnen und Politiker bei Wählerinnen und Wählern weit verbreitete Vorurteile und ablehnende Haltungen bewusst bedienen - das tut man hier -, um Wahlerfolge zu erzielen, fügen sie der Demokratie und dem friedlichen Zusammenleben in der Bundesrepublik schweren Schaden zu.
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Was wir brauchen, ist eine integrationsfördernde Politik, die auf den Rückgang der Einbürgerungszahlen, besonders in Baden-Württemberg - dieser ist nämlich deutlich stärker als im Bundesdurchschnitt -, reagiert. Das heißt für mich: Wir brauchen ein liberales Staatsbürgerschaftsrecht, damit über 7 Millionen Menschen in unserem Land gleiche Rechte und gleiche Chancen bekommen.
Herr Minister Rech wie auch die Regierungskoalition sollten sich die Frage stellen, wie sie diesen Rückgang - Sie könnten dabei ruhig zuhören, Herr Rech -
(Beifall bei der LINKEN)
der Einbürgerungszahlen stoppen können, anstatt neue Hürden aufzubauen. Wer die Einbürgerung nicht erleichtert, sondern weiter erschwert, fördert die Integration nicht.
Kolleginnen und Kollegen von CDU/CSU und SPD, in Ihrer Koalitionsvereinbarung halten Sie fest, dass Sie die Vorschriften über das Staatsangehörigkeitsrecht präzisieren und eine einheitliche Verwaltungspraxis in allen Ländern sicherstellen wollen. Jetzt haben Sie die Gelegenheit, mit einer einheitlichen Verwaltungspraxis diese Diskriminierung zu stoppen und auf eine rechtmäßige Praxis hinzuwirken.
(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Die Fraktion Die Linke wird deshalb dem Antrag von Bündnis 90/Die Grünen zustimmen.
Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit.
(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)