Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Es gibt zwei Begriffe, die oft in einen Zusammenhang gebracht werden: der demografische Wandel auf der einen Seite und die Generationengerechtigkeit auf der anderen Seite. Der demografische Wandel wird immer als Ursache beschrieben. Dabei ist auch dieser nicht einfach so über uns gekommen. Er hat Ursachen, die auch politisch gemacht sind.
(Michaela Noll (CDU/CSU): Der demografische Wandel politisch gemacht?)
Generationengerechtigkeit wird als moralisches Ziel bei der Bearbeitung der Folgen des demografischen Wandels beschrieben. Das Problem, das ich damit habe, sind die Instrumente, die von der Politik in den letzten Jahren und Jahrzehnten daraus abgeleitet worden sind. Denn diese Instrumente heißen: Privatisierung, Kürzung von Leistungen und nicht zuletzt Schuldenbremse. Diese führen aber aus meiner Sicht zu einer weiteren Verschärfung der Polarisierung innerhalb unserer Gesellschaft. Ich möchte Ihnen das an einigen Beispielen verdeutlichen.
(Beifall bei der LINKEN)
Mein erstes Beispiel ist die Rente. Die Namen Rürup und Riester stehen für die Privatisierung der Rente. Die Namen Müntefering und von der Leyen stehen für die Kürzung der Rente durch die Anhebung des Renteneintrittsalters. Beide Maßnahmen Privatisierung und Kürzung führen aber gerade nicht zu einer dauerhaften Entlastung der Rentenkassen und zu mehr Gerechtigkeit, sondern sie verlagern das Armutsrisiko auf die Menschen, die sich private Vorsorge aufgrund ihrer geringen Löhne nicht leisten können, und auf diejenigen, die aus Erwerbslosigkeit in Rente gehen und deshalb mit Abschlägen leben müssen. Beides ist für mich kein Weg zu mehr Generationengerechtigkeit.
(Beifall bei der LINKEN)
Die Linke hat hier heute Vormittag ihr Konzept für eine solidarische Rentenversicherung vorgestellt, in die alle einzahlen und bei der im Alter niemand von weniger als 900 Euro pro Monat leben soll. Ich bin auf Ihre Vorschläge gespannt.
Zweites Beispiel: die Gesundheitspolitik. Womit haben wir es hier zu tun? Mit Kürzungen im Leistungskatalog der Krankenkassen, Zuzahlungen zu medizinisch notwendigen Untersuchungen und Medikamenten, Eintrittsgebühren für die Praxen der Ärzte, Aushöhlung der paritätischen Finanzierung durch Arbeitnehmer und Arbeitgeber, weil nun die Versicherten einseitig Zusatzbeiträge leisten müssen. Auch hier öffnet sich also die Schere nicht zwischen Alt und Jung, sondern zwischen Arm und Reich. Das ist eine weitere Polarisierung innerhalb unserer Gesellschaft, der wir nicht zuschauen dürfen, die aber politisch gemacht ist.
(Beifall bei der LINKEN)
Die Linke hat auch hierzu ein Konzept vorgelegt. Wir fordern eine solidarische Bürgerinnen- und Bürgerversicherung, in die mehr Menschen als jetzt einzahlen, zum Beispiel auch Bundestagsabgeordnete, und die eine Zweiklassenmedizin verhindern soll. Auch hier bin ich auf Ihre Vorschläge gespannt.
(Beifall bei der LINKEN)
Drittes Beispiel: das Elterngeld. Auch das ist schon angesprochen worden, ein breites Thema in der Großen Anfrage. Ja, meine Fraktion hat den Grundgedanken des Elterngeldes unterstützt. Junge Familien sollen gefördert werden, und wir wollen sicherstellen, dass beide Elternteile sich der Betreuung ihrer Kinder widmen können, ohne allzu große Einkommensverluste hinnehmen zu müssen. Aber das Elterngeld für besserverdienende Mütter und Väter wird durch die Streichung der Leistungen für einkommensschwache Eltern gegenfinanziert. Das Mindestelterngeld von 300 Euro wurde nur noch für zwölf, maximal 14 Monate eingeführt. Das Erziehungsgeld vorher wurde für zwei Jahre gezahlt. Nun aber wird das Mindestelterngeld vollständig auf das Arbeitslosengeld II angerechnet. Das heißt, erwerbslose Eltern bekommen nicht einen einzigen Cent als Anerkennung der Erziehungsleistung. Auch hier kommt es zu einer Polarisierung zwischen Arm und Reich und nicht zwischen Alt und Jung. Auch hierzu hat die Linke eigene Vorschläge vorgelegt.
Ich möchte noch ein viertes, kurzes Beispiel anführen: die Einkommen. Eine Studie der Bertelsmann-Stiftung, die der Linken nicht gerade nahesteht, kommt zu der Einschätzung, dass die Ungleichverteilung der Einkommen in Deutschland innerhalb der letzten rund zwei Jahrzehnte so stark zugenommen hat wie in kaum einem anderen OECD-Mitgliedsland. Sie kommentiert dieses Ergebnis, dass mit Blick auf den Zusammenhalt einer Gesellschaft eine solche Polarisierungstendenz bedenklich sei.
Ich glaube nicht, dass es das ist, was Sie, Herr Staatssekretär, unter Modernisierung verstehen. Ich hoffe zumindest, dass es nicht das ist, was Sie unter Modernisierung der gesellschaftlichen Strukturen verstehen, um den demografischen Wandel in den Griff zu bekommen. Das würde uns nämlich in den Abgrund führen.
(Beifall bei der LINKEN)
In wenigen Tagen, am 8. März, feiern wir den Internationalen Frauentag. Im vergangenen Jahr wurde er zum 100. Mal begangen. Es gibt einen Verein der in der DDR geschiedenen Frauen, der vor allem in Ostdeutschland aktiv ist. Diese Frauen gehen jedes Jahr auf die Straße, um für ihre Rechte zu demonstrieren. Sie sagen, dass sie bei der Rente ungerecht behandelt werden. Wir haben dieses Thema hier im Bundestag schon mehrfach behandelt und dazu Vorschläge gemacht. Die Vorsitzende dieses Vereins hat im Rahmen der letztjährigen Demonstration gesagt: Wir sind zwar alt, aber wir verstecken uns nicht. Wir bitten nicht. Wir wollen auch keine Armutslösung. Wir wollen Gerechtigkeit. Darum geht es. Es geht um die Herstellung von Generationengerechtigkeit, und darum muss es auch gehen, wenn wir den demografischen Wandel gestalten wollen.
(Beifall bei der LINKEN)
Ich bin in einem Dreiweiberhaushalt groß geworden. Er bestand aus meiner Oma, meiner Mutter und mir. Meine Oma ist am Montag dieser Woche 92 Jahre alt geworden.
(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN sowie des Abg. Sönke Rix (SPD))
Genauso wie ich nicht möchte, dass es Menschen und sogar Abgeordnete in diesem Haus gibt, die ihr das Hüftgelenk nicht gönnen,
(Michaela Noll (CDU/CSU): Das ist absolut deplatziert!)
genauso möchte meine Oma nicht, dass meine Kinder sich nicht das Studium leisten können. Es muss also darum gehen, mehr Verteilung und Gerechtigkeit zwischen den Generationen zu erreichen. Aber es muss auch darum gehen, mehr Verteilung und mehr Gerechtigkeit innerhalb der Generationen zu erreichen. Wir dürfen die eine Generation nicht gegen die andere ausspielen, sondern wir müssen für mehr Gerechtigkeit auch innerhalb der Generationen kämpfen.
(Beifall bei der LINKEN)
Am 20. Februar war der Welttag der sozialen Gerechtigkeit. Das ist einigen von Ihnen vielleicht gar nicht aufgefallen. Ich möchte in diesem Zusammenhang ein Zitat von Stefan Heym bringen. Er hat zur Eröffnung des 13. Deutschen Bundestags im Jahr 1994 gesagt:
Benutzen wir die Macht, die wir haben, vor allem die finanzielle, weise und mit sensibler Hand.
Diese Weisheit und Sensibilität habe ich auch an dem diesjährigen Welttag der sozialen Gerechtigkeit vermisst. Ich hoffe, dass sich dies bald ändert.
Vielen Dank.
(Beifall bei der LINKEN)