Sehr geehrte Frau Präsidentin,
Sehr geehrte Damen und Herren,
wir sprechen heute über den Entwurf eines Gesetzes zur Reform des Versicherungsvertragsrechts. Dies ist schon deshalb erfreulich, weil das bisher bestehende auf seinen 100. Geburtstag zusteuert und sich schon längst nicht mehr auf der Höhe der Zeit befindet.
Noch erfreulicher ist, dass die Reformbestrebungen - anders als in vielen anderen Bereichen der Justizpolitik - in die richtige Richtung gehen: Hat es die große Koalition bisher nahezu ausnahmslos geschafft, das Wort Reform als Synonym für Rechtsverkürzungen zu gebrauchen, erfährt der Verbraucherschutz hier tatsächlich einige grundlegende Verbesserungen. Zu nennen ist beispielsweise die überfällige Aufgabe des „Alles-oder-Nichts-Prinzips“.
Die Neufassung des Versicherungsvertragsgesetzes war durch europarechtliche Vorgaben und ein Urteil der Ihnen gut bekannten Damen und Herren aus Karlsruhe entscheidend bedingt. Hinsichtlich des Knackpunktes der Reform, der Beteiligung der Kunden an den angehäuften stillen Reserven der Versicherungen, war sie sogar erzwungen:
Die Hüter unserer Verfassung prangerten nämlich an, dass die an den Inhaber einer Lebensversicherung ausgezahlte Gewinnbeteiligung zu gering sei, da eine Berücksichtigung der stillen Reserven der Versicherungen nicht erfolge. Dies verstoße gegen die Grundrechte der Versicherten aus Art. 2 Abs.1 und Art. 14 Abs. 1 GG. Eine angemessene Beteiligung der Verbraucher sei durch den Gesetzgeber bis zum Ende des Jahres 2007 zu gewährleisten, so das Bundesverfassungsgericht weiter.
Nur am Rande sei bemerkt: Im Umkehrschluss ergibt sich daraus, dass bislang eine verfassungswidrige und damit ungerechtfertigte Bereicherung der Versicherungsunternehmen auf Kosten der Verbraucher erfolgte. Dafür trägt der Gesetzgeber die Verantwortung. Es ist seine originäre Aufgabe, eine Wirtschafts- und Rechtsordnung zu schaffen, die den Grundrechten der Bürgerinnen und Bürger gerecht wird. Davon sind wir weit entfernt. Aber wenigstens hier, wo der Bürger als Verbraucher auftritt, erscheint er der Bundesregierung schützenswert. Zumindest für ihn wird jetzt der Versuch unternommen, ein Mehr an Verteilungsgerechtigkeit herzustellen.
Nach dem Gesetzentwurf sollen die Inhaber von Lebensversicherungen nunmehr immerhin zur Hälfte an den stillen Reserven beteiligt werden.
Dies begrüßen wir ausdrücklich.
Wir halten auch die gesetzliche Vorgabe einer festen Auszahlungsquote für richtig. Diese schafft Rechtssicherheit, wohingegen die ursprünglich im Referentenentwurf vorgesehene „angemessene“ Beteiligung die Definitionshoheit über die Angemessenheit bei den Versicherungsunternehmen beließ. Der Verbraucher sollte in den vorprogrammierten Zweifelsfällen auf den langen und mühsamen Rechtsweg verwiesen werden.
Meine sehr geehrten Damen und Herren,
die Frage der Überschussbeteiligung ist untrennbar mit einem anderen zentralen Punkt der Reform verbunden. Denn nur wer weiß, wie groß der ganze Kuchen ist, kann erkennen, ob sein Stück angemessen ist oder ob er mit Krümeln abgespeist wird.
Von entscheidender Bedeutung für die Überschussbeteiligung, aber auch für das gesamte Versicherungsvertragsrecht ist also Transparenz in allen Bereichen. Nur durch sie ist sichergestellt, dass der Verbraucher nicht das Opfer einer Mogelpackung wird.
Unter wirklicher Transparenz im Versicherungsvertragsrecht verstehen wir, dass die derzeit vermengten Vorgänge Versicherung, Sparen und Dienstleistungen und die dafür aufgebrachten und aufzubringenden Gelder der Versicherten vom Angebot des Versicherungsvertrags bis in die Bilanzen getrennt und identifizierbar gemacht werden. Nur so kann verhindert werden, dass - wie bisher - Gewinne aus Überschüssen der Versicherungs- und Sparvorgänge den Unternehmen statt den Versicherten zu Gute kommen.
Im vorliegenden Entwurf sind in diesem Bereich entscheidende Fortschritte erzielt worden. Zu erwähnen sind die verbesserte Beratung und Information der Versicherungsnehmer im Vorfeld des Vertragsabschlusses und der Abschied vom Policenmodell.
Allerdings besteht hier unter anderem an einem entscheidenden Punkt Nachbesserungsbedarf:
Nach dem Entwurf sollen Ministerien durch Verordnung festlegen, welche Informationen der Versicherer vor dem Abschluss einer Lebensversicherung über zu erwartende Leistungen und Kosten mitteilen muss.
Es ist sogar in das Belieben der Verwaltung gestellt, ob sie Transparenz bei anderen Versicherungsverträgen, die entscheidende Elemente der Lebensversicherung enthalten, überhaupt vorschreibt oder nicht.
Diese Regelung lehnen wir aus zwei Gründen ab.
Zum Einen sind die Informationspflichten für Lebensversicherungen zwingend auch auf Unfall- und Berufsunfähigkeitsversicherungen mit Beitragsrückgewähr und andere kapitalbildende Versicherungen auszuweiten.
Zum Anderen betrifft die Entscheidung über Informationspflichten die Hauptleistungspflichten des Vertrages. Mit Ihr steht und fällt ein guter Teil des intendierten Verbraucherschutzes. Sie hat der Gesetzgeber daher selbst zu treffen.
Um zu diesem Schluss zu gelangen, muss man gar nicht die vielfältigen Medienberichte über den guten Kontakt zwischen Lobbyisten und Ministerien bemühen.
Denn schon das Prinzip der Gewaltenteilung legt nahe: Der Bundestag darf sich in dieser wesentlichen Frage nicht aus der Verantwortung stehlen. Er schuldet dem Verbraucher wie dem Bürger Transparenz, keinem von beiden darf die Katze im Sack verkauft werden.
Danke!

Das ist keine Reform des Versicherungsvertragsrechts
Rede
von
Sevim Dagdelen,