Zur Debatte über den Antrag von Bündnis 90/Die Grünen "Sahel-Region stabilisieren – Humanitäre Katastrophe eindämmen" erklärt die menschenrechtspolitische Sprecherin der Fraktion DIE LINKE, Annette Groth, zu Protokoll:
Zum dritten Mal innerhalb von sieben Jahren werden die Menschen in der Sahelregion von akutem Hunger bedroht. Durch die unregelmäßigen Regenfälle, ausfallende Ernten und sterbende Tiere geraten immer mehr Menschen in eine akute Notlage. Durch die viel zu kurzen Zeiträume zwischen den Trockenperioden haben die Gemeinden überhaupt keine Chancen mehr, Vorräte anzulegen, um die Dürreperioden überstehen zu können. Während sich die Dürren in den Jahren 2005 und 2010 noch hauptsächlich auf Niger und Teile des Tschad beschränkten, betrifft die diesjährige Hungerkrise die gesamte Sahelzone.
Die Getreideproduktion liegt in vielen Ländern der Region weit unter dem Durchschnitt der letzten fünf Jahre. Die Erträge in Mauretanien sind dieses Jahr um 46 Prozent, im Tschad um 37 Prozent, im Niger um 23 Prozent und in Burkina Faso um 14 Prozent geringer als prognostiziert. Im Niger sind 20 Prozent aller Kinder zwischen 6 und 23 Monaten mangelernährt, in Burkina Faso leiden 1,7 Millionen Menschen unter Hunger, in Mali sind über 4,6 Millionen Menschen vom Hunger betroffen. Nach Angaben des UN-Kinderhilfswerks UNICEF leiden in der Sahelregion mehr als 1 Million Kinder unter schwerer Mangelernährung.
Die Staaten des globalen Nordens tragen direkte Mitverantwortung für die Not der Menschen in der Sahelregion: Klimaforscher weisen seit vielen Jahren darauf hin, dass diese deutliche Zunahme der Dürreperioden auf die Folgen des Klimawandels zurückzuführen ist. Spekulationen mit Nahrungsmitteln haben dazu beigetragen, dass sich Nahrungsmittel in der Sahelregion im letzten Jahr extrem verteuert haben. Die Getreidepreise in der Region sind überdurchschnittlich angestiegen, die Versorgung mit Grundnahrungsmitteln wie Hirse ist teilweise nicht mehr gesichert. Viele Familien können sich die Lebensmittel nicht mehr leisten. Aufoktroyierte Freihandelsabkommen haben lokale Märkte durch subventionierten Export von landwirtschaftlichen Gütern aus der EU zerstört und viele Kleinbauern in existenzielle Not gebracht. Der nicht zu verantwortende Angriff der NATO auf Libyen hat die Sicherheitslage in der Region maßgeblich verschlechtert. Viele der mit NATO-Waffen oder erbeuteten Waffen ausgerüsteten Söldnertruppen aus Libyen sind nach dem Sturz des Regimes in die Sahelregion eingesickert und haben zum Umsturz im Norden von Mali beigetragen. Durch die prekäre Sicherheitslage in einigen Gebieten der Region ist der Zugang zu den hilfsbedürftigen Menschen deutlich erschwert.
Die Destabilisierung Nordafrikas durch die Militärinterventionen der NATO-Staaten hat den radikalen Strömungen in Afrika deutlichen Zulauf gebracht. Die Folge sind große Flüchtlingsströme, für die eine schnelle Hilfe organisiert werden muss. Nach Angaben der UNHCR sind alleine aus dem Norden Malis 435 000 Menschen als Binnenflüchtlinge unterwegs oder in die Nachbarstaaten geflohen. Die aufnehmenden Nachbarstaaten müssen von der internationalen Gemeinschaft unterstützt werden.
Die Ausführungen in dem Antrag von Bündnis 90/Die Grünen zu Aktivitäten der Gruppe al-Qaida sind einseitig, da sie die Ursachen für das Erstarken dieser GrupQaida wurden durch die NATO-Interventionen radikalisiert.
Viele der Waffen, die diese Gruppen heute einsetzen können, stammen aus den Waffenlieferungen der NATO-Staaten an die Opposition in Libyen. Wieder einmal zeigt sich deutlich, dass die imperiale Politik eine negative Rolle für die Entwicklung ganzer Regionen spielt. Auch aus diesen Gründen halten wir die Forderung nach Ausbau der Krisenreaktionskräfte für problematisch.
Nicht nachvollziehbar ist die in dem Antrag aufgestellte Forderung nach Aufbau eines Asylsystems in den betroffenen Ländern. Das hat mit der Realität der Flüchtlingsbewegungen in dieser Region wenig zu tun.
Die Grenzen in dieser Region sind willkürliche Grenzen aus der Zeit des Kolonialismus und spielen für die realen Bewegungen der Menschen und die Wirtschaft keine zentrale Rolle.
Wir brauchen in der Region kein Asylsystem wie in der EU, das nicht zum Flüchtlingsschutz, sondern zur Flüchtlingsabwehr aufgebaut wurde, sondern eine Lösung zur Überwindung der bestehenden Grenzkonflikte und eine Ausrichtung der Politik der Bundesregierung auf wirtschaftliche Hilfe für die Region, die eigene Entwicklungschancen ermöglicht.
Die Fraktion Die Linke erwartet von der Bundesregierung schnelle und umfassende Hilfe für die Menschen. Wir erwarten, dass sie sich nicht auf einen Verhandlungsmarathon zwischen den Geberländern einlässt, um angeblich „faire Anteile“, wie dies im Antrag von Bündnis 90/Die Grünen benannt wird, auszuhandeln, sondern durch schnelle und umfassende Maßnahmen den Menschen hilft. Die Betroffenen in der Sahelregion haben keine Zeit, auf das Ergebnis von internationalen Verhandlungen zu warten, sondern brauchen sofort Hilfe.
Mehr als 18 Millionen Menschen sind von akuter Unterernährung betroffen, 8 Millionen Menschen brauchen dringend Nothilfe. Die Fraktion Die Linke unterstützt ausdrücklich die Forderung im Antrag von Bündnis 90/Die Grünen, dass die Mittel für humanitäre Hilfe und die entwicklungsfördernde und strukturbildende Übergangshilfe für die Sahelzone sofort auf 82,5 Millionen Euro angehoben werden müssen. Dass die Bundesregierung sich seit Jahren weigert, die entsprechenden Titel angemessen aufzustocken, ist skandalös angesichts der Häufung lebensbedrohender Krisen in den Ländern des Südens. Jetzt sind auf dem Verschiebebahnhof zwischen AA und BMZ unterm Strich auch noch Gelder gekürzt worden. Wir werden die Haushaltsberatungen 2013 nutzen, um hier energisch mehr Mittel einzufordern.