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Beratung der Unterrichtung durch die deutsche Delegation in der Euromediterranen Parlamentarischen Versammlung

Rede von Alexander Ulrich,

Beratung der Unterrichtung durch die deutsche Delegation in der Euromediterranen Parlamentarischen Versammlung

Zweite Plenartagung am 26. und 27. März 2006 in Brüssel (Belgien)

> Drucksache 16/9207 Drucksache 16/8490 Drucksache 16/9183

Alexander Ulrich (DIE LINKE):

Die Euromediterrane Parlamentarische Versammlung erhält nicht immer die Aufmerksamkeit, die sie verdient. Dabei ist sie etwas Besonderes: Sie ist die einzige Möglichkeit der Begegnung für israelische und palästinensische Parlamentarier.

Seit die europäischen Kernmächte, Deutschland und Frankreich, über die Union für das Mittelmeer streiten, richten sich unsere Blicke wieder stärker nach Süden.
Wir feiern diese Tage den 60. Geburtstag Israels. Die Gründung des israelischen Staates bedeutet uns Freude, Trauer, Verantwortung und Hoffnung: Wir freuen uns über eine Heimat für alle Bürger des israelischen Staates, die ihnen Schutz vor Ermordung und Verfolgung bot. Wir trauern darum, dass unser Land Millionen seiner jüdischen Töchter und Söhne durch die Schoa verlor. Wir tragen die historische Verantwortung, dass die Gründung des Staates Israels mit neuem Leid einherging und Palästinenser und Israelis bis zum heutigen Tage nicht in Sicherheit leben. Wir hoffen, dass beide Seiten den Mut zu einem gerechten Frieden finden.

Israel befindet sich heute in einer Position der Stärke. Wir vertrauen daher auf den Mut, weil dies, seit "David gegen Goliath" die stärkste Waffe Israels war. Deutschland trägt eine besondere Verantwortung, im Rahmen der EU sowohl die Existenz Israels als auch einen lebensfähigen palästinensischen Staat zu fördern, um einen Frieden zu ermöglichen. Die historische und doppelte Verantwortung Deutschlands gegenüber Israeli und Palästinensern ist auch eine Chance, denn sie verpflichtet zu besonderer Neutralität.

Wir begrüßen daher die politischen Entwicklungen seit der Plenartagung der Parlamentarischen Versammlung in Athen. Dort war es noch zu sehr hitzigen Wortgefechten zwischen Angehörigen der Hamas, Syrien und der israelischen Delegation gekommen. Wir begrüßen daher die Bereitschaft Israels zu Gesprächen mit Syrien, wir begrüßen die Initiative des ehemaligen US-Präsidenten Jimmy Carter für den Dialog mit allen relevanten Kräften der Region, und wir appellieren an die Konfliktparteien, ihr gegenseitiges Misstrauen bei der Blockade des Gazastreifens durch internationale Unterstützung bei der Überwachung von Waffenlieferungen und Waffenstillstand zu überwinden. Denn die Blockade Gazas schadet den Menschen und nutzt nur den falschen Kräften in diesem Konflikt. Den Empfehlungen der deutschen Delegation im Abschlussbericht von Athen schließen wir uns uneingeschränkt an.

Mit großer Sorge betrachten wir die Entwicklungen im Rahmen des Barcelona-Prozesses bzw. der Union für das Mittelmeer. Wir meinen, dass sowohl die deutschen als auch die französischen Diven zu lange Europa als Bühne eines großen Theaters missbraucht haben. Frau Merkel und Herr Sarkozy erinnern in ihren Gebietsansprüchen auf Osteuropa bzw. das Mittelmeer manchmal an Bismarck und Napoleon. Es ist schon bemerkenswert, dass sich hierzu im Bericht der deutschen Delegation wenig findet bzw. sich im Rahmen der Parlamentarischen Versammlung auch nicht viel ereignet hat.

Die im Rahmen der zweiten Plenartagung der Parlamentarischen Versammlung in Brüssel diskutierte Freihandelszone mit den euromediterranen Ländern erscheint uns ungeeignet für eine erfolgreiche Partnerschaft. Freihandel führt nur zu mehr Wohlstand unter Gleichen, unter Ungleichen schadet er oftmals der ökonomischen Entwicklung. Wir sollten die Integration daher bei den Arbeitsmärkten, im Bildungs- und Hochschulsektor sowie bei der technologischen Kooperation beginnen, nicht bei Waren und Dienstleistungen.

Wir hätten uns auch ein eindeutigeres Signal in punkto Flüchtlingsschutz gewünscht. Wir können nicht die Staaten Nordafrikas mit Waren überschwemmen, aber die Menschen im Mittelmeer ertrinken lassen. Der Sonderberichterstatter der Vereinten Nationen für das Recht auf Nahrung nennt diese humanitäre Katastrophe ein "Imperium der Schande". Diese Schande soll vor den Europäern verborgen werden; daher soll die Flüchtlingsabwehr bereits in der Sahara stattfinden. Die Menschen werden dann nicht mehr ertrinken, sondern verdursten. Soziale Mindeststandards in Europa würden die Angst der Menschen vor Migration - wir benötigen dringend Migration - verringern. Die Geschichte lehrt uns: Mauern haben keine Chance. Herr Sarkozy, Frau Merkel, "tear down that wall!"

Die Atom-Diplomatie von Herrn Sarkozy im Rahmen der Mittelmeerunion ist nicht hinnehmbar. Die Verteuerung der Energie hat auch zum Anstieg der Lebensmittelpreise geführt und wird den Migrationsdruck zukünftig erheblich erhöhen. Wir müssen weg von den fossilen Energieträgern und dem Sicherheitsrisiko Nuklearenergie. Es wäre daher vernünftiger, wenn wir uns im Rahmen der Mittelmeerpartnerschaft um die großen Potenziale bei der Solar, Wasser- und Windenergie in Nordafrika bemühen würden. Dies entspricht auch den Empfehlungen zur Diversifizierung der Energieversorgung im Bericht von Athen.

Die Privatisierung hoheitlicher Aufgaben wie der Flüchtlingspolitik im Rahmen von Public-Private-Partnerships zur Befriedigung der kommerziellen Interessen von Investoren lehnen wir ab. Es fehlt wie auf allen Ebenen der Europapolitik an vernünftiger parlamentarischer Kontrolle. Der Konflikt um das Präsidium der Mittelmeerunion belegt zudem, dass der Konflikt um die außenpolitischen Kompetenzen mit dem Vertrag von Lissabon nicht gelöst, sondern institutionalisiert wurde. Diese beiden Aspekte fehlen uns im Bericht der deutschen Delegation.

Die Parlamentarische Versammlung sollte daher in Zukunft stärker genutzt werden, Rechenschaft von den Regierungen der beteiligten Staaten zu verlangen. Wir werden den Prozess der angedeuteten Umwidmung des Gremiums vor dem Hintergrund der Union für das Mittelmeer zukünftig aufmerksam verfolgen.
Der Deutsche Bundestag sollte sich dem anschließen. Dies erfordert, die Berichte der deutschen Delegation zukünftig nicht erst mit zwei Jahren Verspätung abzunicken.