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Benachteiligung von Migrantinnen und Migranten auf Arbeitsmarkt beenden

Rede von Sevim Dagdelen,

Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Arbeit und Soziales (11. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Josip Juratovic, Anette Kramme, Hubertus Heil (Peine), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Neue Chancen für Menschen Migrationshintergrund am Arbeitsmarkt (BT-Drs. 17/9974, 17/13927)

 

Wer keine Erwerbsarbeit und kein ausreichendes Einkommen hat, ist in der heutigen Gesellschaft von sozialer Ausgrenzung bedroht. Wer erwerbslos ist, bekommt meist längstens 12 Monate Arbeitslosengeld I und stürzt dann in das Hartz-IV-System ab. Viele erlangen erst gar keine Ansprüche auf Arbeitslosengeld I und bekommen gleich Hartz IV. Das bedeutet Armut und Ausgrenzung per Gesetz. Mit Sanktionen und Leistungskürzungen wird versucht, die Erwerbslosen in meist unsinnige Maßnahmen oder schlechte Jobs abzudrängen. Gefördert werden sie dagegen kaum. Besonders darunter leiden Migrantinnen und Migranten. Sie sind von einer Gesetzgebung im Niedriglohnbereich überproportional betroffen, die Leiharbeit im heutigen Ausmaß erst möglich gemacht hat. Ihre Arbeitslosenquote ist doppelt so hoch. Jeder Zehnte Minijobbeschäftigte hat Migrationshintergrund. Mehr als ein Drittel der Beschäftigten, 36,4 Prozent, haben einen Verdienst unterhalb der Niedriglohnschwelle. Die Folge ist, dass Menschen mit Migrationshintergrund mit 28,2 Prozent deutlich stärker als Deutsche von Armut betroffen sind.

Das ist weder Schicksal noch liegt es an den Migranten. Es liegt an der unsozialen und ausgrenzenden Politik der bisherigen Bundesregierungen. Es ist nicht vordergründig eine Frage der Sprachbeherrschung, wie die Bundesregierung immer wieder gebetsmühlenartig versucht, den Menschen weiß zu machen. Aus der Praxis wissen wir, dass Kenntnisse der deutschen Sprache wichtig, aber nicht ausreichend sind für eine gleichberechtigte Teilhabe in der Gesellschaft. Viele Migrantinnen und Migranten beherrschen die deutsche Sprache. Trotzdem ändert das nichts bzw. kaum etwas an ihrer Situation auf dem Arbeitsmarkt, auch wegen Diskriminierungen und Benachteiligungen aufgrund ihrer Herkunft. Und schon gar nicht ändert das vom Kollegen Lange angesprochene Fachkräftekonzept irgendetwas. Im Gegenteil: Deutschland gehört zu den OECD-Ländern mit den rechtlich geringsten Hürden bezüglich der Fachkräftemigration. Trotzdem werden die in Deutschland lebenden Fachkräfte einer weiter verschärften Konkurrenzsituation auf dem Arbeitsmarkt durch die letztes Jahr beschlossene Blue-Card-Regelung ausgesetzt. Diese ist ein weiterer Schritt in Richtung Lohndumping. Das Einstiegsgehalt von Fachkräften in Deutschland liegt bei rund 48.000 Euro. Da die Zuwanderungsgrenze bei 42.000 Euro liegt, ist sie deutlich unter dem Durchschnittsverdienst einer Fachkraft von 65.000 Euro und auch unter dem jetzigen Einstiegsgehalt. Bei Ingenieuren oder Ärzten liegt die Hürde nun gerade bei 35.000 Euro. Zu den teilweise negativen Auswirkungen auf die Herkunftsländer werde ich hier jetzt nicht weiter eingehen; der Bundesregierung sind diese aber ohnehin egal. Hier werden lange in Deutschland lebende Migrantinnen und Migranten gegen Neuzuwandernde ausgespielt werden.

Der Skandal ist, dass einerseits Menschen als Lohndrücker instrumentalisiert werden und man andererseits die Benachteiligungen von Migrantinnen und Migranten insbesondere auf dem Arbeitsmarkt, im Umgang mit Behörden und in Bildungsinstitutionen nicht wirklich bekämpfen will. Das betrifft auch die vollkommen unzureichende Regelung hinsichtlich der Anerkennung von ausländischen Abschlüssen. In der Debatte zu diesem Antrag erklärte Johannes Vogel von der FDP, dass es sich bei der Anerkennung von Berufsabschlüssen um „die zentrale Herausforderung“ im Bereich der Integration handele. Wenn dem so ist, stimmt es um so bedenklicher, dass das mit jahrelanger Verspätung verabschiedete Anerkennungsgesetz so eklatante Lücken und Schwächen aufweist wie: fehlende Gesetze in den Bundesländern, keine einheitlichen Ansprech- und Beratungsstellen, hohe Kosten, fehlender Anspruch auf Weiterqualifizierung usw.

DIE LINKE hatte bereits im Jahr 2007 die Erarbeitung eines Anerkennungsverfahrens gefordert (Bundestagsdrucksache 16/7109) - da war noch kaum jemandem dieses komplexe Problem überhaupt bewusst. Aber dieser Antrag der LINKEN wurde, wie so häufig, von allen anderen Fraktionen, inklusive der SPD, abgelehnt. Die Grünen hatten sich enthalten. Das Problem wurde also zu Lasten der Migrantinnen und Migranten erst einmal auf die lange Bank geschoben. In diesem Antrag hatten wir auch schon unter Bezug auf OECD-Daten darauf hingewiesen, dass es gerade bei der Beschäftigung von hoch qualifizierten Ausländerinnen und Ausländern Probleme gibt, während die Beschäftigungsquote der gering qualifizierten MigrantInnen sogar über der von gering qualifizierten Deutschen ohne Einwanderungsgeschichte liegt. Und auch 2007 schon lagen Erkenntnisse über die schlechteren Vermittlungschancen von Migrantinnen und Migranten bei gleicher Qualifikation vor. Seitdem hat sich leider kaum etwas zum Besseren gewandelt.

Zutreffend werden im Antrag bestehende strukturelle Diskriminierungen von MigrantInnen am Arbeitsmarkt und Benachteiligungen in den Bereichen Arbeitsvermittlung, Beschäftigung, Qualifizierung usw. beschrieben. Allerdings gehört für DIE LINKE das Ziel gleicher Rechte, die individuelle Perspektive der Betroffenen und ihr Anspruch auf freie Entfaltung ihrer Persönlichkeit in den Vordergrund - und nicht, dass „wir“ es uns „angesichts des demographisch bedingten Rückgangs des Erwerbspersonenpotentials nicht leisten“ können, „dass Talente unentdeckt bleiben“, wie es im Antrag eingangs formuliert wird. Es ist schon bemerkenswert, dass bei allen Fraktion immer wieder erst der vermeintliche oder erhoffte Nutzen  kommt, bevor dann quasi als Anhängsel das Ziel von „Teilhabe“ nachgeschoben wird. Wir finden nicht, dass politische und soziale Rechte unter irgendeinem wie auch immer definiertem Nutzenvorbehalt stehen sollten. 

Fast alle konkreten Einzelforderungen in dem Antrag können wir unterstützen. Sie sind auf eine Beseitigung vorhandener Diskriminierungen und Defizite und auf die individuelle Förderung der Beschäftigung von MigrantInnen gerichtet – leider nur im bestehenden System. Auch wir fordern z.B. die Aufhebung von rechtlichen Einschränkungen für den Zugang zum Arbeitsmarkt, eine wirksame Anerkennung der im Herkunftsland erworbenen Qualifikationen und Weiterqualifizierungsmaßnahmen, eine Anhebung des Beschäftigtenanteils von Migrantinnen und Migranten, individuelle Förderung bei der Arbeitsvermittlung, die Gewährung eines gleichberechtigten Zugangs zu betrieblichen und außerbetrieblichen Ausbildungsplätzen sowie zu berufsvorbereitenden Maßnahmen, eine berufsbezogene Sprachförderung und die besondere Berücksichtigung und Förderung der Zwei- und Mehrsprachigkeit. Doch im Gegensatz zu den anderen Fraktion stellen wir das gegebene Instrumentarium der Arbeitsmarktförderung und das Sanktionsregime des SGB II grundlegend in Frage. Kein Wunder also, wenn in dem Antrag jede Kritik in Bezug auf die von der SPD zu verantwortende Politik der Agenda 2010 fehlt. Und das, obwohl diese sich auf die Beschäftigungslage von Migrantinnen und Migranten besonders negativ ausgewirkt hat. Migrantinnen und Migranten sind in besonderer Weise betroffen von der Gesetzgebung zum Niedriglohnbereich, zu Leiharbeit, von einem fehlenden gesetzlichen Mindestlohn, prekärer Beschäftigung und vom Armuts- und Sanktionsregime „Hartz IV“. Hierzu findet sich in dem Antrag leider nichts. Deshalb können wir uns im Ergebnis nur enthalten.