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Aussprache zum Jahresbericht des Petitionsausschusses

Rede von Kersten Steinke,

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Werte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Ausschussdienstes! Der Petitionsausschuss war auch im Jahr 2011 wieder Anlaufpunkt für viele Menschen, die sich Hilfe erhofften. Zwei Zahlen prägten die Arbeit des Petitionsausschusses im Jahr 2011: 15 191 Petitionen wurden im vergangenen Jahr eingereicht, und 1,1 Millionen Bürgerinnen und Bürger haben sich auf der Internetseite des Petitionsausschusses angemeldet, um Petitionen auf elektronischem Weg einzureichen oder öffentliche Petitionen mitzuzeichnen oder zu diskutieren.
Ein Drittel aller Eingaben, also circa 5 000, wurden per E-Mail eingereicht. Knapp ein Viertel der Gesamteingaben, nämlich 3 364 Vorgänge, fielen auf das Ressort Arbeit und Soziales. Damit belegt es, wie auch in den Vorjahren, den Spitzenplatz unter den betroffenen Bundesministerien.
Allein zum ALG II gab es 937 Petitionen. Hier ging es zum Beispiel um Fehler bei der Berechnung, um die Aussetzung von Leistungen, um Sanktionen oder Sonderregelungen für unter 25-Jährige, um die Verrechnung mit anderen Einkommen wie Ferienjobs oder Aufwandsentschädigungen für ehrenamtliche Tätigkeit.
Zahlreiche Beschwerden gingen beim Petitionsausschuss ein, weil bei der Anrechnung einer Verletztenrente aus einer gesetzlichen Unfallversicherung auf eine Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung für Ost und West unterschiedliche Freibeträge galten. Die Petenten forderten die Abschaffung dieser Ungleichbehandlung. Dieser Forderung schloss sich der Petitionsausschuss einstimmig an, blieb aber im ersten Anlauf erfolglos. Doch es wäre nicht unser Petitionsausschuss, wenn er die Erfolglosigkeit einfach so akzeptieren würde. Es wurde ein weiteres Gespräch mit Regierungsvertretern geführt und um eine Lösung gerungen. Das Ergebnis: Seit dem 1. Juli des vergangenen Jahres gelten für Ost und West einheitliche Freibeträge.
(Beifall bei der LINKEN und der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Das Bundesministerium der Justiz mit 1 885 Eingaben bzw. 12 Prozent der Gesamteingaben lag auch im vergangenen Jahr auf dem zweiten Rang der Eingabenstatistik. Adoptionsrecht, Unterhaltsrecht, Mietrecht und Verbraucherschutz sind nur einige Themen aus diesem Bereich, mit denen sich die Bürgerinnen und Bürger an uns wenden.
Neben seinen 22 regulären Sitzungen hat der Ausschuss 32 Berichterstattergespräche mit einzelnen Ministerien geführt, um Lösungen für schwierige Fälle zu finden. Hier wurden beispielsweise das Verbot von Action-Computerspielen, der Lärmschutz im Luftverkehr und an Schienenwegen, die Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts und die wohnortnahe Versorgung mit Hebammenhilfe thematisiert.
Hervorzuheben sind vier öffentliche Sitzungen, in denen zehn Petitionen zur Einzelberatung aufgerufen wurden. Themen waren unter anderem: die Verankerung des Klimaschutzes als Staatsziel im Grundgesetz, das Verbot des Anbaus gentechnisch veränderter Pflanzen, die nukleare Ver- und Entsorgung, die Ambulante Kodierrichtlinie, die Finanztransaktionsteuer und die Kopfpauschale zur Finanzierung der GKV.
In drei Fällen führte der Ausschuss Ortstermine durch. Besprochen wurden gemeinsam mit den Petenten und den Vertretern der zuständigen Verwaltungen die Trassenführung der S-Bahn bei Fürth, die Nutzung der Ferienanlage Prora auf Rügen sowie der Bau einer Ortsumgehung bei Ratzeburg.
Anmerken möchte ich an dieser Stelle, dass sich die Mitglieder des Petitionsausschusses mit großem Engagement darum bemühen, die bestmögliche Lösung für jede Petentin und jeden Petenten zu erreichen und dabei in vielen Fällen eine über die Fraktionsgrenzen hinausgehende konstruktive Zusammenarbeit praktizieren. Selbstverständlich ist aber auch, dass es zu manchen Themen sehr unterschiedliche Sichten gibt und somit unterschiedlich von den Fraktionen votiert wird.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, insbesondere mithilfe des Internets eröffnen sich den Bürgerinnen und Bürgern seit 2005 völlig neue Arten der Beteiligung. Die Möglichkeit, Petitionen im Internet zu veröffentlichen und online zu unterstützen, erlaubt es den interessierten Menschen, sich zusammenzutun und sich gemeinsam für ein Anliegen starkzumachen. Ziel der öffentlichen Petition ist es, der Öffentlichkeit Themen von allgemeinem Interesse vorzustellen und zu diskutieren. Auf diese Weise wird die Informationsbasis des Ausschusses, die die Grundlage seiner Empfehlungen an das Plenum des Deutschen Bundestages bildet, erheblich erweitert.
Seit 2005 besteht die Möglichkeit, Petitionen per Internet einzureichen, öffentlich zu stellen und mitzudiskutieren. Und die Zahlen beweisen: Die Entscheidung für das Internet war richtig, und wir tun gut daran, das Angebot immer weiter zu verbessern.
(Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)
Neben den bereits erwähnten 1,1 Millionen registrierten Nutzern auf der Internetseite wurden auch die 650 im Berichtsjahr veröffentlichten Petitionen insgesamt 1 Million Mal mitgezeichnet und 66 000-mal kommentiert.
Eine weitere Zahl ist imposant: 4 bis 5 Millionen Seitenaufrufe pro Monat zeigen das rege Interesse der Bevölkerung an diesem Angebot des Petitionsausschusses. Unser Internetportal ist damit klarer Spitzenreiter unter den Internetangeboten des Deutschen Bundestages.
Die am häufigsten über das Internetportal mitgezeichneten öffentlichen Petitionen im Berichtsjahr waren die Petition zum Verbot der Vorratsdatenspeicherung mit über 64 000 Unterzeichnerinnen und Unterzeichnern und zum Verbot des Anbaus von gentechnisch veränderten Pflanzen mit über 43 000 elektronischen Mitzeichnungen.
Ich bin der festen Überzeugung: Insbesondere das Instrument der öffentlichen Petitionen kann helfen, die Demokratie zu stärken und Mitwirkung auf eine breitere Basis zu stellen. Doch bei all den Möglichkeiten, die das Petitionsrecht in Verbindung mit dem Internet bringt, dürfen wir eines nicht vergessen: die sehr persönlichen Sorgen und Nöte des einzelnen Bürgers, die quasi das Kerngeschäft des Petitionsausschusses sind und auch den Kernanteil unserer Arbeit ausmachen. Bei all den persönlichen Bitten und Beschwerden, etwa wegen falscher Berechnung der Rente, Nichtfinanzierung eines Rollstuhls oder Ablehnung eines Besuchervisums, geht es für den Einzelnen, der sich an uns wendet, um existenzielle Probleme. Diese Eingaben eignen sich aber nicht für Diskussionsforen und öffentliche Beratungen. Doch auch diese Beschwerden zeigen, wo in der Politik etwas nicht funktioniert.
Der Petitionsausschuss wird täglich mit diesen Einzelschicksalen konfrontiert, bei denen Bürgerinnen und Bürger in die Mühlen der Bürokratie geraten sind und nicht mehr ohne fremde Hilfe herauskommen. Hier ein Beispiel: Eine Petentin, die an einer degenerativen Erkrankung des Nervensystems leidet, wandte sich an uns, damit die Deutsche Rentenversicherung Bund die Kosten der Wartung der Rollstuhlladehilfe an ihrem Pkw übernehme; denn trotz ihrer Erkrankung war es der Dame mit dem entsprechend ausgestatteten Pkw möglich, am Berufsleben teilzunehmen. Durch eine verzögerte Bearbeitung durch die Deutsche Rentenversicherung Bund war sie jedoch gezwungen, die Wartungskosten selbst zu übernehmen, wenn sie weiter dem Beruf nachgehen wollte. Durch die vom Petitionsausschuss eingeleitete Ermittlung konnte der Frau dann doch geholfen werden. Der Petentin wurden die Wartungskosten erstattet und die Finanzierung eines Kraftverstärkers am Rollstuhl bewilligt, um ihr auch weiterhin die Teilnahme am aktiven Leben zu ermöglichen. Ja, die Lösung solcher Probleme ist zeitaufwändig und in aller Regel auch wenig öffentlichkeitswirksam. Aber diese Anfragen sind genauso wichtig wie die Petitionen mit Hunderttausenden Unterschriften.
(Beifall im ganzen Hause)
Ein Wermutstropfen bleibt jedoch: Der Bericht des Büros für Technikfolgen-Abschätzung, der heute auch auf der Tagesordnung steht, kommt zu der Einschätzung:
Der Petitionsausschuss ist für die Bürger relativ einfach erreichbar, gleichzeitig aber in der Durchsetzung von Bürgerinteressen schwach.
So weit, so gut bzw. so schlecht. Ich frage mich allerdings, wie wir diese Einschätzung ins Gegenteil kehren wollen, wenn wir nicht einmal die Anerkennung des Parlaments, geschweige denn ausreichend Gehör zur Durchsetzung im Parlament finden.
(Klaus Hagemann (SPD): Genau!)
Wie sonst soll ich es bewerten, dass der Tagesordnungspunkt so aufgesetzt wurde, dass unsere Debatte erst zu dieser späten Uhrzeit stattfindet? Die Obleute aller Fraktionen haben sich gemeinsam dafür stark gemacht, diesen Tagesordnungspunkt zu einer früheren Tageszeit im Plenum aufzurufen, und sind den Kompromiss eingegangen, den Jahresbericht nicht im Juni, sondern im September zu debattieren. Das Ergebnis der Bemühungen und damit die mangelnde Akzeptanz und Würdigung unserer Arbeit wurde heute wieder sichtbar.
(Beifall bei der LINKEN und der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Doch seien Sie sicher: Wir werden uns nicht entmutigen lassen und immer wieder anmahnen, unsere Arbeit und ihre Ergebnisse zu achten, aber vor allem ernst zu nehmen. Denn bei unserer Arbeit geht es um die Menschen in unserem Land, um ihre Rechte, ihre Fragen, ihre Sorgen, ihre Nöte, ihre Vorschläge und Anregungen. Es geht also um die Ausübung und Achtung eines demokratischen Rechts, des Petitionsrechts.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich möchte die heutige Debatte auch dazu nutzen, mich bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Petitionsausschussdienstes ganz herzlich zu bedanken. Sie sorgen trotz stetigen Wechsels und dünner Personaldecke für einen kontinuierlichen Zustrom an beratungsreifen Petitionen, arbeiten konstruktiv mit den Abgeordneten zusammen und stehen uns Abgeordneten stets unterstützend zur Seite. Dafür ganz herzlichen Dank!
(Beifall)
Darüber hinaus möchte ich mich natürlich bei den Ausschussmitgliedern aller Fraktionen ganz herzlich für ihr Engagement und für die gute Zusammenarbeit bedanken.
(Beifall)
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, für das kommende Jahr wünsche ich mir von den Mitgliedern unseres Parlaments, des Petitionsausschusses und den Mitarbeitern des Petitionsausschussdienstes eine weiterhin konstruktive und respektvolle Zusammenarbeit, um unsere Bemühungen für die Bürgerinnen und Bürger noch effektiver zu gestalten.
Georg Christoph Lichtenberg sagte einmal:
Es ist unmöglich, die Fackel der Wahrheit durch ein Gedränge zu tragen, ohne jemandem den Bart zu versengen.
Ich sehe unseren Petitionsausschuss als Fackelträger. Wenn bei unserer Tätigkeit der eine oder andere Bart versengt wird, können Sie gesichert davon ausgehen, dass dies immer im Sinne der Petentinnen und Petenten geschieht.
Herzlichen Dank.
(Beifall im ganzen Hause Iris Gleicke (SPD): Also mit Absicht!)