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Asylpakete der Ampel sind Riesenenttäuschung

Rede von Clara Bünger,

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir stimmen heute über die ersten beiden Asylpakete der Ampelkoalition ab. Beide sind aus meiner Sicht eine Riesenenttäuschung. Der Gesetzentwurf zum Chancen-Aufenthaltsrecht schafft nicht wirklich Chancen für die, die sie bräuchten, und das Asylverfahrensbeschleunigungsgesetz keine Beschleunigung. Ich weiß auch, dass Sie sich in der Koalition nicht immer einig waren und dass die FDP teilweise blockiert hat. Ich sage es Ihnen ganz ehrlich: Mit uns hätte es das nicht gegeben.

(Beifall bei der LINKEN)

Aber nun zurück zum Thema. Der Gesetzentwurf zum Chancen-Aufenthaltsrecht beinhaltet immer noch viel zu hohe Hürden, um Kettenduldungen, wie eigentlich versprochen, wirksam zu beenden. Sogar nach Ihren eigenen Berechnungen werden nur rund 34 000 Personen die Anforderungen erfüllen. Gegenüber den 240 000 geduldeten Menschen, die in Deutschland leben, ist das nur ein Tropfen auf den heißen Stein.

(Beifall bei der LINKEN)

Die wesentlichen Kritikpunkte von Verbänden und NGOs hat die Koalition vollkommen ignoriert. So wurde die Identitätsklärung per eidesstattlicher Versicherung nicht mit geregelt, wodurch weiterhin Menschen ausgeschlossen werden, die schlicht keine Pässe besorgen können. Frau Lindholz, es gibt Menschen, die können diese Pässe einfach nicht besorgen; Sie kennen die Realität einfach nicht.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Andrea Lindholz [CDU/CSU]: Doch! Ich kenne die!)

– Nein. – Auch der Stichtag wurde lediglich um ein Dreivierteljahr verschoben, statt gänzlich abgeschafft. Da hätten wir uns mehr gewünscht. Das ist aus unserer Sicht Ausdruck einer Politik, die nur Zwischenlösungen schafft.

Helge Lindh hat gesagt, das Chancen-Aufenthaltsrecht sei Ausdruck von Vernunft und Pragmatismus. Wenn Sie wirklich vernünftig und pragmatisch gewesen wären, hätte die Koalition unserem Gesetzentwurf für ein Bleiberecht vor der Sommerpause zugestimmt.

(Beifall bei der LINKEN)

Dann hätte es die vielen Abschiebungen bis jetzt nicht gegeben.

Zum Gesetzentwurf zum Asylgerichtsverfahren sage ich Ihnen als Juristin ganz ehrlich: Das ist eine richtige Katastrophe. Im Koalitionsvertrag wurden faire, zügige und rechtssichere Asylverfahren versprochen. Stattdessen liefert die Ampel jetzt eine Ausweitung und Manifestation des Sonderrechts im Asylbereich. Viele wissen gar nicht, dass die Rechte von Geflüchteten in Deutschland schon maximal eingeschränkt sind. Und das setzt die Bundesregierung jetzt fort; Frau Polat hat das auch eingesehen. Ich wünsche mir, dass Sie da wirklich noch einmal nacharbeiten.

Ich möchte dazu ein Beispiel nennen, das auch Herr Rechtsanwalt Münch, der als Sachverständiger für den Deutschen Anwaltverein am Montag in der Anhörung war, genannt hat: Wird beispielsweise ein Auto abgeschleppt, steht den Besitzern, bzw. Besitzerinnen der komplette Instanzenzug offen. Im Asylverfahren, wo es um Leben und Tod geht, sind die Rechtsmittel dagegen eingeschränkt und Klagefristen verkürzt. Herr Münch nannte Ihren Gesetzentwurf einen experimentellen Ausbau dieses Sonderrechts gegenüber Geflüchteten. Ich möchte an dieser Stelle ergänzen: Diese Ungleichbehandlung per Gesetz ist das Gegenteil von einem Paradigmenwechsel.

(Beifall bei der LINKEN)

Dabei wäre doch die Abschaffung dieses Sonderrechts gegenüber Geflüchteten der erste und ein wichtiger Schritt für eine Gleichberechtigung. Das haben auch viele Sachverständige bestätigt.

Ein regelrechter Tabubruch hingegen ist die Ermöglichung von Anhörungen im Asylverfahren mit Videotechnik. Die Anhörung ist das Kernstück des Asylverfahrens. Dort müssen Geflüchtete von ihrem Schicksal und häufig traumatisierenden Erlebnissen und Gewalterfahrungen berichten. Das ist über eine Kamera einfach nicht möglich, weil es keine vertrauensvolle Atmosphäre gibt.

(Beifall bei der LINKEN)

Außerdem sehe ich die Gefahr, dass Sie hier eine Technik einführen, die am Ende in Schnellverfahren in Haftzentren an den EU-Außengrenzen zum Einsatz kommt, womit das Leid dort noch vergrößert wird. Diese Verschärfung lehnen wir natürlich ab. Und beim Chancen-Aufenthaltsrecht müssen wir uns aus den genannten Gründen enthalten.

Vielen Dank.

(Beifall bei der LINKEN)