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Amira Mohamed Ali: Verpatzter Impfstart: »Wann hört es endlich auf zu ruckeln, Herr Spahn?«

Rede von Amira Mohamed Ali,

Sehr geehrter Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Herr Gesundheitsminister, Sie sagten: Es wird ruckeln am Anfang der Impfaktion. – Ich frage Sie: Wann hört es auf, zu ruckeln? Mir hat kürzlich ein älterer Mann, etwa Mitte 60, der schwer lungenkrank ist, gesagt, dass er von einer Impfhotline die Auskunft bekommen hat, dass er mit seiner Impfung nicht vor Oktober rechnen kann. Was sagen Sie diesem Mann? Nach wie vor herrscht bei der Vergabe der Impftermine an vielen Stellen Chaos. Und, Herr Minister, Sie können die Verantwortung dafür nicht einfach auf die Länder abschieben. Ich erwarte von der Bundesregierung, dass sie es hinbekommt, diese wichtige Sache vernünftig mit den Ländern zu koordinieren.

(Beifall bei der LINKEN)

Statt Vertrauen schaffen Sie vor allem Verdruss. Und das Problem ist eben nicht nur, dass es teilweise chaotisch und kompliziert ist; das Problem ist vor allem, dass es an Impfstoff fehlt. Andere Länder zeigen, dass es schneller gehen kann: Die USA und Großbritannien haben bereits jetzt einen fünfmal so großen Anteil ihrer Bevölkerung geimpft, Israel sogar einen 33-mal so großen Anteil. Mit den Impfdosen, die nach Ihren Angaben, Herr Spahn, bis Ende März nach Deutschland geliefert werden sollen, können wir gerade einmal 7 Prozent der Bevölkerung impfen.

Sie haben gesagt, dass Sie bis Sommer jedem ein Impfangebot machen wollen. Ja, wie soll denn das konkret gehen?

(Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]: Ja!)

Erklären Sie das doch mal vernünftig! Auch deswegen hat meine Fraktion darauf bestanden, dass Sie hier heute eine Regierungserklärung abgeben. Aber Sie bleiben im Vagen. Sie nennen nur Lieferungen, die im Laufe des Jahres kommen sollen. Was ist konkret vereinbart für das zweite Quartal?

(Beifall bei der LINKEN)

Bei aller Unterstützung dafür, dass man bei der Impfstoffbestellung eine europäische Lösung gewählt hat – das war ja richtig –, muss man aber doch feststellen: Das ist nicht gut gelaufen. Während zum Beispiel die USA die Bestellung bei BioNTec bereits im Juli fix hatten, hat die EU erst im letzten November verbindlich bestellt. Zu diesem Zeitpunkt waren große Kontingente der ersten Produktionschargen aber schon abverkauft, und das, obwohl BioNtec mit dreistelligen Millionenbeträgen sowohl von der EU als auch separat von Deutschland bei der Impfstoffentwicklung unterstützt worden ist. Das können Sie doch niemandem erklären.

(Beifall bei der LINKEN)

Inzwischen haben wir gehört, dass es bei den Bestellungen der EU eben nicht nur um Gesundheitsschutz ging, sondern auch darum, dass bei den Pharmaunternehmen aller großen EU-Mitgliedstaaten bestellt werden musste. Es standen also Wirtschaftsinteressen dahinter. Ich muss wirklich sagen, dass in dieser für die ganze Welt bedrohlichen Lage, bei der so viele Menschenleben auf dem Spiel stehen, offenbar Profitinteressen von Konzernen eine entscheidende Rolle gespielt haben, ist doch wirklich ein Skandal!

(Beifall bei der LINKEN)

Dazu passt, Herr Spahn, dass Sie unseren Vorschlag, die Lizenzen für die Impfstoffproduktion freizugeben, um so die Produktionskapazitäten zu erhöhen, sofort abgeschmettert haben. Dabei sieht Ihr Infektionsschutzgesetz genau diese Möglichkeit vor. Und – das möchte ich Ihnen auch als Juristin sagen – auch unser deutsches Patentrecht kennt eine solche Regelung; auch auf EU-Ebene wäre das möglich.

Herr Spahn, es muss wirklich endlich entschlossen gehandelt werden.

(Beifall bei der LINKEN)

Denn wenn das nicht geschieht, dann bleibt die rettende Herdenimmunität, die die Aufhebung der Infektionsschutzmaßnahmen garantiert, in weiter Ferne. Und das ist wirklich eine Hiobsbotschaft für die meisten, besonders für diejenigen, die schon seit Monaten unter der Situation sehr stark leiden.

Es ist ja so, dass die Bundesregierung es nicht schafft, die Auswirkungen der Infektionsschutzmaßnahmen vernünftig abzufedern und überall da zu helfen, wo es nötig ist. Was ist zum Beispiel mit den versprochenen Hilfen für die krisengeschüttelten Unternehmen und die Soloselbstständigen, Herr Finanzminister Scholz, Herr Wirtschaftsminister Altmaier? Die November- und Dezemberhilfen sind nach wie vor nur zu einem ganz kleinen Bruchteil überhaupt geflossen. Schon jetzt stehen sechs von zehn Einzelhändlern vor dem Aus. Kulturschaffende stehen vor den Scherben ihrer Existenz.

Und noch mal, Herr Spahn: Was ist mit den Pflegekräften, die Sie so beklatscht haben? Noch immer haben nicht alle den versprochenen Pandemiezuschlag erhalten, von besseren Arbeitsbedingungen ganz zu schweigen. Das geht doch nicht!

(Beifall bei der LINKEN)

Was ist mit den Angestellten im Lebensmitteleinzelhandel? Nach wie vor haben viele von ihnen nicht einmal einen Tarifvertrag. Was ist mit den vielen Paketzustellern, die für Armutslöhne arbeiten müssen und in den Zustellzentren auch noch ihre Gesundheit riskieren, weil dort die Infektionsschutzmaßnahmen nicht eingehalten werden? Wieso gibt es da immer noch keine ausreichenden Kontrollen? Das ist doch wohl das Allermindeste!

(Beifall bei der LINKEN)

Aber nein, die Lobbyinteressen von Amazon und Co scheinen wichtiger als Arbeitnehmerrechte und Gesundheitsschutz zu sein. Aber damit muss doch jetzt endlich Schluss sein!

(Beifall bei der LINKEN)

Und es geht auch nicht, dass die Verschärfungen der Infektionsschutzmaßnahmen ausschließlich den privaten Bereich betreffen und eben nicht den Arbeitsplatz. Wir brauchen aber ein Recht auf Homeoffice, überall da, wo es geht. Und überall da, wo Homeoffice nicht geht, brauchen wir verbindliche Vorgaben für den Arbeitsplatz, und die müssen auch kontrolliert werden.

(Beifall bei der LINKEN)

Das wäre wirklich nötig, um Infektionszahlen abzusenken. Und genau das muss dringend geschehen. Es kann so nicht weitergehen, auch nicht an den Schulen. Es geht nicht, dass Eltern sich jetzt wochen- und monatelang weiterhin sowohl um Homeoffice als auch um Homeschooling ihrer Kinder kümmern müssen. Das kann so nicht weitergehen.

(Beifall bei der LINKEN)

Die allermeisten Menschen warten sehnsüchtig auf die Impfung. Sie ist der Lichtblick nach all diesen trüben Monaten. Aber Sie, Herr Spahn, Sie verstolpern den Anfang, und Sie geben kein Vertrauen, dass es besser wird. Das ist vollkommen inakzeptabel.

Danke schön.

(Beifall bei der LINKEN)