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Amira Mohamed Ali: »Schluss mit Chaos und leeren Versprechungen!«

Rede von Amira Mohamed Ali,

Sehr geehrter Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin! Ja, seit über einem Jahr leben wir in der Pandemie. Schon viel zu lange herrschen Chaos und leere Versprechungen in Kabinett und Kanzleramt. Ausbaden müssen das millionenfach die Menschen in diesem Land, auch jetzt wieder direkt vor den Osterferien. Frau Bundeskanzlerin, ich muss es leider so klar sagen: Wenn Ihre Bundesregierung bei der Impfstoffbeschaffung und bei der Teststrategie nicht so kläglich versagt hätte, dann hätte diese dritte Welle entscheidend abgemildert, wenn nicht sogar vermieden werden können. An diesem Versagen ändert auch Ihr Zurückrudern bei der Osterruhe nichts.

(Beifall bei der LINKEN)

Nehmen wir die Schnelltests. Im September letzten Jahres sagte Gesundheitsminister Spahn, ich zitiere:

"Ich möchte, dass wir für bestimmte Situationen, zum Beispiel für den Besuch im Pflegeheim, den Schnelltest deutlich häufiger – damit meine ich millionenfach – einsetzen …"

Was ist daraus geworden? Heute, Monate später, gibt es immer noch nicht genügend Tests, wo sie gebraucht werden, allen voran an den Schulen. Der Präsident des Deutschen Lehrerverbandes sagt: Neun von zehn Schulen sind meilenweit von einer ausreichenden Ausstattung mit Tests entfernt. – Sie wären aber nötig, um sicheren Präsenzunterricht zu gewährleisten. Die Lehrergewerkschaft Bildung und Erziehung attestiert Ihnen deshalb Totalversagen – zu Recht.

Ihr Coronamanagement ist inzwischen – man kann es nicht anders sagen – ein Trümmerhaufen, und das nicht nur, weil die Maßnahmenpakete immer verwirrender und chaotischer werden, sondern weil effektive und von renommierten Wissenschaftlern nahegelegte Maßnahmen einfach nicht getroffen werden, zum Beispiel die Verpflichtung zum Homeoffice überall dort, wo das möglich ist. Noch immer müssen viele Menschen in Großraumbüros sitzen, weil die Arbeitgeber das Homeoffice einfach nicht erlauben. Sie werden gezwungen, sich einem unnötigen Infektionsrisiko auszusetzen, und das Risiko ist ganz erheblich. Die TU Berlin hat in einer Studie ermittelt, dass eine mit Corona infizierte Person in einem Großraumbüro im Schnitt acht weitere Menschen ansteckt, und das, wenn das Büro nur zur Hälfte besetzt ist. Diesen Pandemietreiber, den muss man doch abstellen. Aber wieder einmal knicken Sie vor der Arbeitgeberlobby ein. Das ist unverantwortlich.

(Beifall bei der LINKEN)

In einer der größten Krisen, die unser Land erlebt hat, gleicht das Regierungshandeln mehr und mehr einer Realsatire; und das nicht nur, weil Sie allen Ernstes die Versager Andreas Scheuer und Jens Spahn die Taskforce für die Coronatests leiten lassen. Jetzt müssen Sie außerdem zum x-ten Mal bei den Coronahilfen für Unternehmen nachjustieren. Im Beschluss dieser Woche steht dazu, dass Sie für die besonders schwer betroffenen Unternehmen – Zitat – „ein ergänzendes Hilfsinstrument im Rahmen der europarechtlichen Vorgaben“ entwickeln wollen. Wie muss das klingen in den Ohren all der Unternehmerinnen und Unternehmer, der Soloselbstständigen, der Künstlerinnen und Künstler, die meterlange Formulare für die November- und Dezemberhilfen ausgefüllt haben und bis heute auf deren Auszahlung warten? Wie oft wollen Sie denen, denen das Wasser bis zum Hals steht, den Rettungsring eigentlich noch ankündigen? Werfen Sie ihn endlich!

(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Erhard Grundl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Frau Bundeskanzlerin, Sie haben es nicht geschafft, dass wir alle endlich Licht am Ende des Tunnels sehen. Sie haben es nicht geschafft, Hoffnung und Perspektive zu geben. Das Ergebnis ist, dass bei immer mehr Menschen das Vertrauen in Politik verloren geht, und das gilt nicht nur für Deutschland, das gilt auch für die Europäische Union.

Um es noch mal klar zu sagen: Natürlich war es richtig, auf eine gemeinsame Lösung bei der Impfstoffbeschaffung zu setzen, aber das Ergebnis war nun mal katastrophal. Dabei hatte Jens Spahn im Oktober noch großspurig erklärt – Zitat –: „Wir sichern uns deutlich mehr Impfstoff, als wir brauchen werden.“ Und er sagte sogar, wenn etwas übrig bliebe, könne man es an andere Länder weiterverkaufen oder armen Nationen spenden. Das ist ein guter Plan, aber leider ist es wieder nur bei den Ankündigungen geblieben. Bis heute haben nicht einmal 8 Prozent der Menschen in der EU die Zweifachimpfung bekommen. Das ist doch ein Armutszeugnis.

(Beifall bei der LINKEN)

Nicht nur, dass wir damit meilenweit entfernt sind von der rettenden Herdenimmunität, das bedeutet auch, dass nach inzwischen drei Monaten seit dem Impfstart es immer noch nicht gelungen ist, die verwundbarsten Menschen in unserer Gesellschaft zu schützen. Meiner Mutter zum Beispiel geht es wie vielen älteren Menschen. Sie ist 78 Jahre alt, hat sogar multiple Vorerkrankungen, aber bis heute keinen Impftermin in Aussicht, und damit ist sie kein Einzelfall, sondern der Regelfall. Und das geht doch so nicht!

Es geht dabei ja nicht nur um die betroffenen Menschen selbst, es betrifft viel mehr Menschen. Ich bin mir sicher, dass es vielen so geht wie mir, nämlich dass ihnen ein riesiger Stein vom Herzen fallen würde, wenn sie wüssten, dass die Eltern, die Großeltern, dass andere geliebte Menschen, bei denen ein schwerer Krankheitsverlauf zu erwarten ist, endlich geschützt wären. Das wäre so wichtig!

(Beifall bei der LINKEN)

Es muss alles darangesetzt werden, dass mehr Impfstoff produziert wird. Die Produktionskapazitäten müssen ausgebaut werden – ohne Wenn und Aber. Und ja, die Patente müssen freigegeben werden, Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall bei der LINKEN – Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Endlich!)

Das letzte Mal, als ich das hier gefordert habe, da gab es herbe Kritik vonseiten der Union. Es hieß, man würde damit angeblich den Innovationsstandort Deutschland zerstören. Das war damals der Kollege Nüßlein. Na ja, er ist ja jetzt nicht mehr bei der Union dabei. Vielleicht sind Sie ja jetzt offener für diese Idee.

(Beifall bei der LINKEN)

Aus Brüssel kommen derweil wieder falsche Signale. So behauptete der Binnenmarktkommissar Thierry Breton gerade erst steif und fest, es gebe „absolut keinen Bedarf“ am russischen Impfstoff. Gleichzeitig diskutiert man wegen der Impfstoffknappheit einen Exportstopp für Impfstoffe aus der EU. Das passt doch nicht zusammen! Natürlich muss der russische Impfstoff wie jeder andere auch eingehend geprüft werden, bevor er eine Zulassung erhält, und das muss zügig geschehen. Thierry Breton ist übrigens auch zuständig für die Resorts Verteidigung und Raumfahrt. Möglicherweise hat der Name „Sputnik V“ da einen Schock ausgelöst.

(Heiterkeit bei der LINKEN)

Nein, hier darf es keine ideologischen Scheuklappen geben!

(Beifall bei der LINKEN)

Wie falsch die Richtung ist, in die diese Bundesregierung unser Land steuert, das zeigt eine Zahl: Während der Coronakrise ging die Zahl der Pflegekräfte in Deutschland um 9 000 zurück. Eine ehemalige Krankenpflegerin sagte dazu gestern im ZDF – Zitat –: Das Klatschen, die Plätzchen und ein Pandemiebonus, den nicht mal alle bekommen haben, dieser Umgang mit uns hat mir den letzten Glauben an eine bessere Perspektive genommen.

Meine Damen und Herren, so kann es doch nicht weitergehen. Wir brauchen einen grundlegenden Politikwechsel, aber nicht irgendeinen. Wir brauchen einen sozialen Aufbruch, eine Politik, die sich konsequent am Gemeinwohl ausrichtet und nicht am Profit für die mächtigsten Lobbyisten.

Vielen Dank.

(Beifall bei der LINKEN)