Keine Aufstockung des ISAF - Mandats!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich war letzte Woche in Afghanistan. Ich muss sagen, diese Reise hat mich erschüttert. Wir haben mit afghanischen Politikern und Wissenschaftlern geredet, mit deutschen Aufbauhelfern, mit vielen Soldaten.
Wir haben auch Opfer und Hinterbliebene von Opfern des Bombenangriffs von Kunduz getroffen. Eine Frau, die mehrere Angehörige verloren hatte, hat etwas gesagt, was mir seitdem nicht mehr aus dem Kopf geht: Wären wir nicht arm, hätten wir kein Benzin gebraucht. Weil sie so arm sind, sind ihre Kinder und Enkelkinder losgezogen, um Benzin zu holen. Das erklärt vielleicht, was sich viele von uns gefragt haben: Warum waren nachts um 2 Uhr auf einer Sandbank mitten im Kunduz-Fluss so viele Zivilisten, die dann getötet worden sind? 26 Schüler mussten sterben, der jüngste von ihnen war gerade einmal zehn Jahre alt.
Ich begrüße ausdrücklich, dass die Bundesregierung den Hinterbliebenen Soforthilfe Essen, Decken, Heizmaterial gegeben hat. Ich würde mir aber auch wünschen, dass wir hier im Bundestag über alle Parteigrenzen hinweg, jenseits der Frage, wer zum Krieg wie steht der Opfer von Kunduz gedenken könnten.
Eine Botschaft, die uns die Hinterbliebenen mit auf den Weg gegeben haben, lautet, dass es ihnen sehr viel bedeuten würde, wenn es hier in Deutschland eine Gedenkveranstaltung geben würde.
In Afghanistan habe ich gemerkt, dass die Diskussion dort eine völlig andere ist als hier im Raumschiff Berlin. Ein Beispiel ist die Frage der Versöhnung und der Wiedereingliederung. Sie, Herr Westerwelle, reden ausschließlich über die Frage der Wiedereingliederung der Taliban. Das ist im Prinzip richtig. Aber wo bleibt die Versöhnung? Wo bleiben die Verhandlungen? In Afghanistan ist es genau umgekehrt: Dort redet man ausschließlich über die laufenden Verhandlungen mit den Taliban; das ist auch gut so. Herr Westerwelle, wenn Sie diesen Krieg beenden wollen ich glaube, Sie wollen ihn beenden , dann tun Sie alles, was in Ihrer Macht steht, um diese Verhandlungen zu unterstützen, damit es endlich zu einem Frieden in Afghanistan kommt.
Ein zweites Beispiel, wo Ihr Wunschdenken und die Realität in Afghanistan völlig auseinandergehen, ist der zivile Wiederaufbau. Sie haben im Prinzip zwei Optionen. Die eine Option ist der reine zivile Wiederaufbau, die klassische Entwicklungshilfe. Ich habe in Kabul mit einem deutschen Entwicklungshelfer gesprochen. Er hat eine interessante Geschichte erzählt.
Vor einigen Jahren ist er gebeten worden, in einer schwer umkämpften Provinz im Süden Afghanistans ein Aufbauprojekt durchzuführen. Von allen Seiten ist er gewarnt worden, dort hinzugehen, sie würden sonst „sofort vom Acker geschossen“. Der Aufbauhelfer ist den mühsamen Weg gegangen. Er hat sich mit afghanischen Experten auf den Weg gemacht und analysiert: Wer schießt in dieser Provinz auf wen? Wer hat in dieser Provinz, im Distrikt, im Dorf das Sagen? Mit diesem Wissen konnten sie mit den richtigen Leuten reden und mit ihnen das Projekt anfangen. Weil alle Seiten dabei waren und die Bedürfnisse von allen Seiten berücksichtigt worden sind, ist am Ende niemand vom Acker geschossen worden. Eine Bedingung für diesen Erfolg war auch, dass kein Militär mit auf den Acker gegangen ist. Das ist der zivile Aufbau.
Das andere Modell ist Ihre zivil-militärische Zusammenarbeit. Ich konnte im Kunduz mit eigenen Augen sehen, wie sie funktioniert. Da fährt eine Panzerkolonne mit mehreren Dutzend schwer bewaffneten Soldaten los, um einen oder zwei Aufbauhelfer ins nächste Dorf zu bringen. Sie fahren in die Provinz, werden beschossen, und dann gibt es Feuergefechte. Wenn die Taliban geflohen sind, dann kann man vielleicht mit den Dorfältesten sprechen. So befrieden Sie doch keinen einzigen Distrikt. So schaffen Sie keinen Frieden in der Fläche.
Hören Sie endlich auf, den zivilen Aufbau mit den militärischen Einsätzen zu verknüpfen. Gehen Sie endlich den intelligenten und mutigen Weg des rein zivilen Aufbaus. Lassen Sie das Militär außen vor.
Wir kommen damit zur entscheidenden Frage. Sie haben hier eben gesagt: Die zusätzlichen 850 Soldaten seien Teil einer Aufbau- und Schutztruppe. Das hört sich harmlos an, ist aber eine infame Täuschung. Sie wollen Kampftruppen in Form von 850 Soldaten dorthin schicken.
Ich habe mit eigenen Augen gesehen, wie diese „Schutztruppen“ aussehen: Das sind bis an die Zähne bewaffnete Soldaten. Das ist überhaupt kein Vorwurf an die Soldaten; denn sie werden natürlich beschossen und müssen kämpfen, wenn sie nach draußen gehen. Aber das sind keine Schutztruppen.
Herr Westerwelle, hören Sie endlich auf, die Öffentlichkeit in Deutschland über den Krieg in Afghanistan zu täuschen. Solange Sie uns hier täuschen, wird es weder in Afghanistan und noch hier in Deutschland Frieden geben.
Ich sage den Abgeordneten der SPD ganz bewusst: Lassen Sie sich von der Rhetorik des Herrn Westerwelle nicht täuschen. Stimmen Sie keinem Mandat zu, mit dem 850 zusätzliche Soldaten in den Krieg geschickt werden.
Dieser Meinung ist im Übrigen auch der stellvertretende Vizepräsident des afghanischen Parlamentes, Amanullah Paiman. Er hat uns die Botschaft mit auf den Weg gegeben: Wir wollen Frieden, und mehr Soldaten helfen dabei nicht. Je mehr Soldaten, desto mehr Probleme. Ich stimme Herrn Paiman zu. Deshalb wird die Linke heute Ihrem Antrag nicht zustimmen.
Im Übrigen bin ich der Meinung, dass Deutschland keine Waffen mehr exportieren sollte. Wir wollen Frieden überall in der Welt. Mehr Waffen helfen dabei nicht, mehr Soldaten auch nicht.
Ich danke Ihnen.