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Soziale Menschenrechte als zentrales Ziel und Mittel einer sozialen Politik

Positionspapier von Azize Tank,

Menschenwürdige Lebensbedingungen, Zugang zur medizinischen Versorgung, eine angemessene Unterkunft oder der Zugang zur Bildung zielen nicht nur auf materielle Versorgungsleistungen ab, sondern vorrangig auf die Überwindung einseitiger gesellschaftlicher Abhängigkeitsverhältnisse. Der Kampf für soziale Gerechtigkeit ist eine politische Auseinandersetzung um eine gerechte Gesellschaftsordnung. Die Einforderung gerechter gesellschaftlicher Verhältnisse kann auch mit einem rechtebasierten Ansatz gestärkt werden. 

Arbeitskreis I

Soziales, Gesundheit und Rente

verantwortlich: Azize Tank, Sprecherin für soziale Menschenrechte

12. Januar 2016

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Einleitung – Was sind Soziale Menschenrechte?

Menschenwürdige Lebensbedingungen, Zugang zur medizinischen Versorgung, eine angemessene Unterkunft oder der Zugang zur Bildung zielen nicht nur auf materielle Versorgungsleistungen ab, sondern vorrangig auf die Überwindung einseitiger gesellschaftlicher Abhängigkeitsverhältnisse. Der Kampf für soziale Gerechtigkeit ist eine politische Auseinandersetzung um eine gerechte Gesellschaftsordnung. Die Einforderung gerechter gesellschaftlicher Verhältnisse kann auch mit einem rechtebasierten Ansatz gestärkt werden. Denn überall dort, wo Regierungen sich der Verantwortung für soziale Gerechtigkeit entledigen und den Zugang zu sozialen Rechten verweigern, rücken die Rechtsansprüche einzelner Menschen und die rechtlichen Verpflichtungen von Staaten in den Blickpunkt. Armutsbekämpfung und Menschenrechtsschutz sind eng miteinander verbunden und bedingen sich gegenseitig. Sie zielen auf die autonome Selbstverwirklichung der Freiheit des Menschen vor und von gesellschaftlichen Zwängen ab. Konsequente Armutsbekämpfung hebt nicht nur auf die Beseitigung wirtschaftlicher Mängelzustände ab, sondern bezieht die Menschen als handelnde Akteure und individuelle Rechtsträger ein. Zu den wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Menschenrechten (kurz wsk-Rechte bzw. Soziale Menschenrechte, insbesondere aus dem UN-Sozialpakt) zählen jene Rechte, die schwerpunktmäßig den wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Lebensbereichen zugeordnet werden können, darunter u.a. wirtschaftliche Menschenrechte wie das Recht auf Arbeit, Recht auf Bildung von Gewerkschaften; soziale Menschenrechte wie das Recht auf Gesundheit, Recht auf soziale Sicherung, Recht auf Nahrung, Recht auf Wasser; sowie kulturelle Menschenrechte wie das Recht auf Bildung, Recht auf Teilnahme am kulturellen Leben, Recht auf Teilhabe an den Errungenschaften des wissenschaftlichen Fortschritts und seiner Anwendung.

Die bisherige Austeritätspolitik in Europa birgt die Gefahr, dass Soziale Menschenrechts-Standards und der erreichte Besitzstand zurückgedrängt werden.[1]

 

UN-Sozialpakt und Europäische Sozialcharta

Die Generalversammlung der Vereinten Nationen hat 1966 sowohl den Internationalen Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (UN-Sozialpakt) als auch den Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte (UN-Zivilpakt) als gleichrangige normative Dokumente verabschiedet. Im UN-Zivilpakt sind u.a. das Verbot von Folter, das Recht auf persönliche Freiheit sowie die Religionsfreiheit und das Recht auf freie Meinungsäußerung verankert. Im UN-Sozialpakt sind dagegen ähnlich wie in der ebenfalls verbindlichen Europäischen Sozialcharta des Europarats von 1961, u.a. das Recht auf Arbeit, das Recht auf Soziale Sicherheit, das Recht auf Gesundheit und das Recht auf Bildung verbrieft.

Während jedoch für den UN-Zivilpakt bereits von Anfang an ein Fakultativprotokoll ausgehandelt wurde, mussten die Menschen bis zum Jahre 2008 auf die Verabschiedung des Fakultativprotokolls zum UN-Sozialpakt warten. Bei Verletzung der im UN-Sozialpakt garantierten Rechte sieht dieser, nach Ausschöpfung des innerstaatlichen Rechtswegs, eine Individualbeschwerde an den zuständigen UN-Ausschuss vor. Dieser kann die entsprechenden Staaten zum Handeln auffordern oder bei schweren oder systematischen Verletzungen der wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte ein Untersuchungsverfahren vor Ort einleiten.

Der Ausschuss für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (kurz: Sozialausschuss), der durch den Wirtschafts- und Sozialausschuss der UN im Jahre 1985 als Überwachungsorgan für den UN-Sozialpakt eingesetzt wurde, prüft die nach Art. 16 ff. des Paktes periodisch vorzulegenden Berichte der Vertragsstaaten und fasst das Ergebnis dieser Prüfungen in sog. abschließenden Bemerkungen (Concluding Observations) zusammen. Darüber hinaus veröffentlicht der Sozialausschuss sog. Allgemeine Bemerkungen (General Comments), in denen er einzelne Artikel oder Teilbestimmungen des Paktes auf der Grundlage seiner Spruchpraxis kommentiert.[2]

Die Allgemeinen Bemerkungen beschreiben in autorisierter Form die Standards in der Praxis des Sozialausschusses und dienen damit als Interpretationshilfe für die Auslegung des Paktes. Diese General Comments sind zwar völkerrechtlich nicht verbindlich, geben jedoch Hinweise auf die allgemeine Staatenpraxis. Der Sozialausschuss hat bislang mehr als 20 General Comments zum UN-Sozialpakt verabschiedet und damit die im Sozialpakt aufgeführten Sozialen Menschenrechte konkretisiert. Die Normen können direkt zur Anwendung kommen. Jeder Staat muss zumindest den Kerngehalt jedes dieser Rechte unmittelbar umsetzen. In mehreren Sonderverfahren wurde vom Hohen Kommissar der Vereinten Nationen für Menschenrechte (OHCHR) auch die Umsetzung Sozialer Menschenrechte vorangetrieben wobei hier beispielhaft das Recht auf angemessenes Wohnen[3] und das Recht auf öffentliche Gesundheitsfürsorge[4] genannt werden können.

Die Bundesrepublik hat sich auf UN-Ebene auch für das Fakultativprotokoll zum UN-Sozialpakt eingesetzt, es jedoch bislang weder unterzeichnet noch ratifiziert. Bei der Verweigerung der Ratifikation des Fakultativprotokolls stellt sich die Bundesrepublik auf den Standpunkt, dass die Spruchpraxis des UN-Sozialausschusses „nur eingeschränkt einzuschätzen“ sei und zum Teil „Allgemeine Bemerkungen zu einigen Artikeln des UN-Sozialpakts [fehlen]“[5]. Diese seien jedoch grundlegend für die rechtliche Prüfung der Wirkung möglicher Individualbeschwerden, die im Fakultativprotokoll vorgesehen sind. Zweifel bezüglich der unmittelbaren Wirkung sind jedoch durch die Einführung eines Individualbeschwerdeverfahrens durch das Fakultativprotokoll zum UN-Sozialpakt endgültig ausgeräumt. Die in Deutschland früher oft vertretene Auffassung, der UN-Sozialpakt beinhalte ausschließlich Programmsätze, ist auf der internationalen Ebene schon lange überwunden.

Einen Meilenstein in der Fortentwicklung der sozialen Menschenrechte bildete die Wiener Menschenrechtskonferenz von 1993, welche die Unteilbarkeit, das heißt die Zusammengehörigkeit der unterschiedlichen Dimensionen, und die weltweite Gültigkeit (Universalität) der Menschenrechte nachdrücklich anerkannte.[6] Soziale Menschenrechte wurden durch neuere völkerrechtliche Bemühungen fortentwickelt. Bedeutsam waren hierbei in jüngerer Zeit die Einführung von Individualbeschwerdeverfahren zur UN-Frauenrechts- (CEDAW), UN-Kinderrechts-(CRC), sowie UN-Behindertenrechts-Konvention (CRPD), die auch von Deutschland ratifiziert worden sind. Mit der Ratifizierung dieser Fakultativprotokolle wurden -nicht etwa neue Soziale Menschenrechte- sondern vielmehr bestehende Soziale Menschrechte des UN-Sozialpaktes aus der Perspektive der speziellen Lebenslagen der Betroffenen und deren individuelle Beschwerdemöglichkeit rechtsverbindlich anerkannt. Die gleichberechtigte Aufnahme politischer und sozialer Menschenrechte in diesen neueren UN-Konventionen manifestiert zugleich die Gleichwertigkeit Sozialer Menschenrechte mit traditionellen politischen Menschenrechten. Diese UN-Konventionen enthalten dabei keinerlei normative Abstufungen und betrachten beide Dimensionen der Menschenrechte als Freiheitsrechte, denn es gibt z.B. kein soziales Recht auf Gesundheit oder Pflege ohne das politische Recht auf körperliche Unversehrtheit. Umgekehrt gibt es z.B. kein soziales Recht auf die Bildung von Gewerkschaften ohne politisches Recht auf Versammlungsfreiheit. Auch das Inkrafttreten der revidierten Europäischen Sozialcharta am 1. Juli 1999 und die Einführung des Kollektivbeschwerdeverfahrens entfaltet in diesem Zusammenhang enorme Bedeutung.[7] Der Europarat hat die ursprünglichen Rechte der Europäischen Sozialcharta durch das Turiner Protokoll von 1991 gestärkt und den seit 1961 in Europa eingetretenen grundlegenden sozialen Veränderungen in der revidierten Europäischen Sozialcharta Rechnung getragen. Diese Entwicklung wurde begleitet von einer sehr vielfältigen Rechtsprechung zu den Sozialen Menschenrechten auf internationaler, nationaler und regionaler Ebene, welche die Gleichwertigkeit und Interdependenz dieser Rechte mit anderen politischen Menschenrechten belegt.[8] Die Bundesrepublik hat es jedoch bislang versäumt diese Fortentwicklung der Europäischen Sozialcharta zu unterstützen und verweigert seit fast zehn Jahren die Ratifizierung der bereits 2007 unterzeichneten revidierten Europäischen Sozialcharta.

Einklagbarkeit wirtschaftlicher, sozialer und kultureller Rechte

Die dargestellte Entwicklung zeigt, dass die Sozialen Menschenrechte nicht mehr das Stiefkind des internationalen Menschenrechtssystems darstellen. Eine gerechte Globalisierung erfordert Maßnahmen zur Stärkung dieser Entwicklung. Die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte aller Menschen müssen sowohl innerstaatlich als auch völkerrechtlich nachhaltig gesichert und fortentwickelt werden.

Die Sozialen Menschenrechte aus dem UN-Sozialpakt und der Europäischen Sozialcharta spielen eine zentrale Rolle. Beide Abkommen sind nach ihrer Ratifizierung verbindlicher Bestandteil der deutschen Rechtsordnung und können vor deutschen Gerichten geltend gemacht werden. Sowohl der UN-Sozialpakt als auch die Europäische Sozialcharta sind jedoch nicht über eine Verfassungsbeschwerde einklagbar, da ihnen kein Verfassungsrang, sondern nur der Rang einfachen Bundesrecht eingeräumt wurde. Deshalb ist die Aufnahme sozialer Grundrechte in das Grundgesetz dringend geboten. In jüngster Zeit wurden die Sozialen Menschenrechte aus bestehenden UN-Menschenrechtsverträgen durch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts gestärkt. Dabei sollte insbesondere die „Hartz IV“-Entscheidung (BVerfG, 1 BvL 1/09) vom 9.02.2010 sowie die Entscheidung zum Asylbewerberleistungsgesetz (BVerfG, 1 BvL 10/10, 1 BvL 2/11) vom 18.07.2012 hervorgehoben werden.

Die „Hartz IV“-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts

In seiner Entscheidung vom 9.02.2010 (BvL 1/09) hat das Bundesverfassungsgericht seine Rechtsprechung zum Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums für alle in Deutschland lebenden Menschen zu einem neuen eigenständigen Menschenrecht weiterentwickelt. Dieses eigenständige Recht gründet sich auf Art. 1 Abs. 1 GG (Menschenwürde) in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 GG (Sozialstaatsprinzip). Es besteht damit grundsätzlich unabhängig von der Staatsangehörigkeit oder dem Aufenthaltsstatus einer Person. Aus diesem Grundrecht leitet sich eine objektiv-rechtliche Verpflichtung des Staates verbunden mit einem subjektiv-rechtlichen Leistungsanspruchs des betroffenen Grundrechtsträgers ab.

Die Entscheidung zum Asylbewerberleistungsgesetz des Bundesverfassungsgerichts

Das soziale Recht auf menschenwürdiges Existenzminimum wurde durch die Entscheidung vom 18. Juli 2012 zum Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) bekräftigt. In diesem Urteil wies das Bundesverfassungsgericht den Gesetzgeber explizit darauf hin, dass bei der Anpassung des Gesetzes an das Urteil auch die völkerrechtlichen Vorgaben beachtet werden müssen: „Zu den Regeln über das Existenzminimum, die in Deutschland gelten, gehören auch der Internationale Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte vom 19. Dezember 1966 […]. Der Pakt statuiert in Art. 9 ein Recht auf Soziale Sicherheit und in Art. 15 Abs. 1 Buchstabe a das Menschenrecht auf Teilhabe am kulturellen Leben.“ Das Bundessozialgerichts hat jüngst das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums konkretisiert und Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II) beziehungsweise des Sozialhilferechts (SGB XII) auch gegenüber Unionsbürgern bestätigt.[9] Dies zeigt, dass auch eine direkte Argumentation mit Normen aus geltenden Menschenrechtsverträgen dazu geeignet ist, die Rechtspositionen von sozial Benachteiligten zu stärken. Danach sind auch die UN-Menschenrechtsverträge zur Auslegung der verfassungsmäßig garantierten Menschenrechte heranzuziehen.

Das Sozialstaatsprinzip und die sozialen Grundrechte in der Bundesrepublik

Die Gewährleistung Sozialer Grund- und Menschenrechte ist eine unabdingbare Voraussetzung für ein würdiges Leben und Teilhabe in einer sozial gerechten Gesellschaft. Aufgrund der verehrenden Erfahrungen des Zweiten Weltkrieges folgte das Grundgesetz einem eng an freiheitsrechtlichen Grundrechten ausgerichteten Ansatz und konkretisierte explizit keine sozialen, sondern vielmehr politische Grundrechte. Als Ausnahmen von dieser Regel lassen sich das kulturelle Recht der Freiheit von Kunst und Wissenschaft aus Art. 5 Abs. 3 GG; die sozialen Rechte des Schutzes von Ehe, Familie und Kindern aus Art. 6 GG sowie die wirtschaftlichen Rechte wie das Recht auf Bildung von Gewerkschaften aus Art. 9 Abs. 3 GG und das Recht auf freie Berufswahl aus Art. 12 Abs. 1 S. 1 GG anführen, die gleichzeitig auch im UN-Sozialpakt verbrieft sind.

Neben dem Grundgesetz enthält das einfache Gesetzesrecht eine Reihe weiterer sozialer Ansprüche und Gewährleistungen. So finden sich im Sozialgesetzbuch (SGB) u.a. Rechte auf Bildungs- und Arbeitsförderung, auf Zugang zur Sozialversicherung (Kranken-, Unfall-, Pflege- und Rentenversicherung), auf Zuschuss für eine angemessene Wohnung oder auf Sozialhilfe und das Recht von Menschen mit Behinderung auf Teilhabe. Weitere elementare soziale Grundrechte wurden im Zuge der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) aus den Bestimmungen des Grundgesetzes abgeleitet.[10] Der Schutz der Menschenwürde in Art. 1 GG und das elementare, unabänderliche Sozialstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 1 i.V.m. Art. 79 Absatz 3 GG) verpflichten die Bundesrepublik soziale Sicherheit (Grundstandards: Schutz im Krankheitsfall, Altersvorsorge, menschenwürdiges Existenzminimum) und soziale Gerechtigkeit (u.a. Arbeitsrecht)) zu gewährleisten.

Das Sozialstaatsgebot ist jedoch bislang unzureichend verfassungsrechtlich konkretisiert und richtet sich lediglich an den Gesetzgeber.[11] Diese unzureichende Inhaltsbestimmung des Sozialstaatsgebots mindert seine verfassungsrechtliche Durchsetzungskraft. Eine Verfassungsbeschwerde kann sich nicht auf gesetzgeberisches Unterlassen des Sozialstaates richten, sondern vielmehr nur gegen die Unterlassung von Handlungen der verwaltenden oder rechtsprechenden Instanzen. So konnte das Sozialstaatsgebot bislang nicht verhindern, dass Sozialabbau und die gesellschaftliche Umverteilung von Unten nach Oben forciert wird. Auch deshalb muss das Sozialstaatsprinzip im Grundgesetz konkretisiert werden. Diese Staatszielbestimmung gewährt dabei nicht unmittelbar gerichtlich durchsetzbare subjektive Rechte im Sinne von Leistungsansprüchen. Zugleich stellt das Sozialstaatsprinzip mehr als eine bloße Programmvorschrift dar. Der Staat wird objektiv im Rahmen des Möglichen auf die Verwirklichung verpflichtet.

Schlussfolgerungen - Handlungsfelder für DIE LINKE.

Das Grundgesetz hat kein Monopol auf Menschenrechte. Wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte wurden in der Vergangenheit in der völkerrechtlichen Praxis stetig weiterentwickelt. Sie finden sich im UN-Sozialpakt und der Europäischen Sozialcharta wieder und sind durch Ratifizierung verbindlicher Teil der innerstaatlichen Rechtsordnung der Bundesrepublik geworden. Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zeigt sich gegenüber völkerrechtlichen Menschenrechtsnormen aus dem UN-Sozialpakt deutlich aufgeschlossener als noch vor einigen Jahren. Dieser Trend ist zu unterstützen, bietet er doch die Chance, um auf innerstaatlicher politischer Ebene und zur Unterstützung sozialer Kämpfe mit völkerrechtlichen Argumenten zu intervenieren.

Soziale Menschenrechte stellen ein breites Querschnittsthema einer linken Politik dar, die in viele unterschiedliche Politik-Bereiche hineinfallen. Genau dadurch können Soziale Menschenrechte ihren Mehrwert in den politischen Auseinandersetzungen entfalten. Durch ihre charakteristische Interdependenz ermöglicht die Bezugnahme auf Soziale Menschenrechte einen breiteren Zugang zu verschiedenen Politik-Bereichen von Beschäftigungspolitik über das Asylbewerberleistungsgesetz und Gesundheits- und Pflegepolitik bis hin zur kommunalen Wohnungspolitik und das Recht auf Bildung. Eine kohärente soziale Politik kann durch Bezugnahme Sozialer Menschrechte im Inland gestärkt werden. Durch eine gezielte Verknüpfung traditioneller Politik-Bereiche mit Sozialen Menschenrechten können Synergie-Effekte erzielt und eine Mobilisierung der Zivilgesellschaft und der Öffentlichkeit für soziale Gerechtigkeit, Teilhabe und Inklusion unterstützt werden. Vor diesem Hintergrund ist es umso wichtiger, die auf internationaler Ebene vorhandenen Instrumente sozialer Normen ins Zentrum der Kämpfe um eine gerechte Gesellschaftsordnung zu rücken, ihren Mehrwert für die politische Arbeit zu erkennen, gesamtgesellschaftlich zur Geltung zu verhelfen und fortzuentwickeln. Diese können sowohl in der parlamentarischen Arbeit als auch in sozialen Kämpfen eine wichtige Rolle entfalten.

DIE LINKE. steht für ein klares Bekenntnis zur Unteilbarkeit, Gleichwertigkeit und Universalität aller Grund- und Menschenrechte. Die Förderung der Justiziabilität Sozialer Menschenrechte muss als Kern einer sozialen Politik stärker in den Mittelpunkt der politischen Arbeit der LINKEN. gerückt werden und nicht nur als eine komplementäre Querschnittsaufgabe für die deutsche Politik begriffen werden.

Obwohl das Ziel emanzipativer Politik im Kampf gegen die bestehenden Produktionsverhältnisse nicht als ein Kampf, um die Ersetzung sozialistischer Ideen durch nüchterne Rechtsbegriffe missverstanden werden darf, spielt der Kampf um die rechtliche Anerkennung und Durchsetzbarkeit sozialer Grund- und Menschenrechte, unter den herrschenden Bedingungen, in der Praxis eine immer größere Rolle. So verwundert es nicht, dass oftmals der Weg zum Sozial- bzw. Arbeitsgericht als letztes Mittel betrachtet wird, um z.B. berechtigte soziale Forderungen auf Existenzsicherung einzuklagen. Gerade deshalb sind Individualbeschwerdeverfahren zum UN-Sozialpakt bzw. Kollektivbeschwerdeverfahren der Europäischen Sozialcharta ein wichtiges Instrument des Kampfes um soziale Gerechtigkeit und zugleich Korrektiv bei innerstaatlichen Fehlentwicklungen. Armut, Diskriminierung und soziale Verwerfungen können dadurch auch als Rechtsbruch für den sich ein Staat oder eine bestimmte Politik gerichtlich zu verantworten hat, stärker ins Blickfeld gerückt werden. DIE LINKE. will die zunehmende Selbstorganisation der Zivilgesellschaft stärken, namentlich von Erwerbslosen-Initiativen, MigrantenInnen und WanderarbeiterInnen sowie Menschen mit Behinderung. Soziale Menschenrechte müssen gestärkt werden indem ihre Durchsetzung zum Ziel einer sozialen Politik erhoben wird.

Deshalb fordern wir zur Stärkung der Sozialen Menschenrechts-Politik:
  • Aufnahme Sozialer Grundrechte in das Grundgesetz;
  • Konkretisierung des Sozialstaatsprinzips des Grundgesetzes;
  • Unterzeichnung und Ratifizierung ausstehender Konventionen und Fakultativprotokolle sowie die Rücknahme von Vorbehalten;
  • Soziale Menschenrechte müssen als Kern einer sozialen Politik verstanden werden;
  • gemeinsam mit anderen Mitgliedern des Europarates die institutionelle Stärkung des Sozial-Ausschusses zur Überwachung der Europäischen Sozialcharta voranbringen;
  • Verantwortung von transnationalen Unternehmen für die Verletzung sozialer Menschenrechte durch rechtverbindliche Normen stärken.

 

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[1] Vgl. Empfehlung 1884 (2012)1 „Austeritätsmaßnahmen – eine Gefahr für Demokratie und soziale Rechte“ der Parlamentarischen Versammlung des Europarates (PACE) vom 26.06.2012.

[2] So hatten sich in den Jahren 2007 und 2008 einige Verwaltungsgerichte mit der Vereinbarkeit von Studiengebühren mit dem UN-Sozialpakt auseinandergesetzt. Gegenstand der Erwägungen war dabei auch die Auslegung des Paktes, insbesondere durch General Comment No. 13 (Das Recht jedes einzelnen auf Bildung). Was die unmittelbare Anwendbarkeit der Rechte aus dem UN-Sozialpakt angeht, so stellte etwa das VG Freiburg klar, dass die Verpflichtungen aus dem Pakt keinen unverbindlichen Programmsatz im Sinne einer „Bemühensverpflichtung“ darstellten, sondern den Landesgesetzgeber unmittelbar binden würden, zumindest insoweit, als er kein Gesetz zur Einführung von Studiengebühren erlassen dürfe, das dieser Verpflichtung zuwider läuft. Die Bestimmungen des Paktes, von deren rechtlicher Verbindlichkeit das Gericht ausgeht, seien klar und eindeutig als Normbefehl formuliert. Vgl. VG Hamburg 15. Kammer, Urteil vom 22. Dezember 2008 - 15 K 656/07; VG Karlsruhe 7. Kammer, Urteil vom 11. Juli 2007 - 7 K 444/07 und 7 K 2966/06; VG Freiburg (Breisgau) 1. Kammer, Urteil vom 20. Juni 2007 - 1 K 121/07 und 1 K 2324/06; VG Hannover 6. Kammer, Beschluss vom 08. Juni 2007 - 6 B 8296/06.

[3] Vgl. http://www.ohchr.org/EN/Issues/Housing/Pages/HousingIndex.aspx

[4] Vgl. http://www.ohchr.org/EN/Issues/Health/Pages/SRRightHealthIndex.aspx

[5] Vgl. Antwort der BReg auf die mündliche Frage von Azize Tank (BT-Drs. 18/814).

[6] Vgl. Wiener Erklärung und Aktionsprogramm, angenommen durch die World Conference on Human Rights am 25.06.1993, abrufbar unter: http://www.ohchr.org/EN/ProfessionalInterest/Pages/Vienna.aspx

[7] So reichte auf Grundlage des Zusatzprotokoll über Kollektivbeschwerden zur Europäischen Sozialcharta die griechische Bauern-Rentner-Vereinigung eine Beschwerde gegen die Kürzung der Renten im öffentlichen Sektor wegen Verletzung der Artikel 12§3 (Recht auf soziale Sicherheit) der Europäischen Sozialcharta (vgl. http://conventions.coe.int/Treaty/GER/Trea-ties/Html/035.htm)

[8] Auf der Website des internationalen Netzwerkes für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (ESCR-Net) www.escr-net.org/caselaw werden beispielhafte Gerichtsurteile zu Sozialen Menschenrechte aufgeführt. So urteilte ein Kanadisches Gericht u.a. mit Verweis auf das Recht auf angemessenes Wohnen aus dem UN-Sozialpakt, dass ein kommunales Grünanlagengesetz insofern diesen verletzt, als es die Errichtung eines Camps einer Gruppe von Obdachlosen verbot bei gelichzeitigem Mangel an alternativen Unterbringungsmöglichkeiten in der Stadt (Vgl. Urteil im Verfahren Victoria (City) v. Adams, 2009 BCCA 563; 2008 BCSC 1363 http://www.escr-net.org/docs/i/1186570).

[9] BSG B 4 AS 59/13 R, B 4 AS 44/15 R und B 4 AS 43/15 R vom 03.12.2015.

[10] Zu den Leitentscheidungen des Bundesverfassungsgerichts zählen vor allem BVerfGE 33, 303 (Recht auf Zulassung zum Hochschulstudium); BVerfGE 1, 97 (Recht auf Leben/Anspruch auf staatliche Fürsorge), BVerfGE 9, 124 (Armenrecht); BVerfGE 87, 153 (Existenzminimum bei der Besteuerung); BVerfGE 65, 182 (Sozialplan); BVerfGE 68, 193 (Gesetzliche Krankenversicherung); BVerfGE 115, 25 (Außenseitermethoden) und BVerfGE v. 9. Februar 2009 (Verfassungswidrigkeit der Berechnung der Hartz-IV-Regelsätze für Kinder und Erwachsene).

[11] Das Sozialstaatsprinzip des Grundgesetzes enthält infolge seiner Weite und Unbestimmtheit regelmäßig keine unmittelbaren Handlungsanweisungen, die durch die Gerichte ohne gesetzliche Grundlage in einfaches Recht umgesetzt werden könnten. Es zu verwirklichen ist in erster Linie Aufgabe des Gesetzgebers (vgl. BVerfGE 1, 97 [105]).

 

linksfraktion.de, 30. Juni 2015