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Sieben Schritte zum unverzüglichen und unumkehrbaren Atomausstieg

Positionspapier,

Beschluss der Fraktion zum unverzüglichen und unumkehrbaren Atomausstieg.

Beschluss der Fraktion DIE LINKE. im Bundestag vom 10. Mai 2011

1. Sofortige Stilllegung von elf Atomkraftwerken

Der Kraftwerkspark in Deutschland ist derart überdimensioniert, dass elf der 17 Atomkraftwerke in Deutschland sofort stillgelegt werden können – ohne die Versorgungs­sicherheit zu gefährden. Der Beitrag dieser Kraftwerke zur gesicherten Nettoleistung der Stromerzeugung in Deutschland betrug in den letzten Jahren unter neun Gigawatt (GW) und kann durch überschüssige Erzeugungskapazitäten im Kraftwerks­park problemlos ersetzt werden (vgl. Tabelle). Dass damit keinerlei Einschnitte bei der Versorgungssicherheit verbunden sind, zeigt auch die aktuelle Situation. Denn seit 5. Mai 2011 sind aufgrund des „Atom“-Moratoriums und wegen laufender Revisionen elf AKWs nicht am Netz.

 

 

Tabelle: Kraftwerkskapazitäten in Deutschland (in GW)

 

2008

2009

2010*

Netto-Kraftwerksleistung

147,1

152,7

135,0

Gesicherte Nettoleistung

90,5

92,8

89,9

+ Kaltreserve**

1,6

1,6

1,6

- Jahreshöchstlast

76,8

73,0

76,7

- Langfristreserve**

6,6

6,6

6,6

Überschusskapazitäten des bestehenden Kraftwerkparks

8,7

14,8

8,2

Quelle: Bundesamt für Strahlenschutz (2011); Bundesnetzagentur (2009, 2010); *Bundeswirtschaftsministerium (2011), **Öko-Institut (2011).

 

  • Die sieben ältesten AKWs – Biblis A, Neckarwestheim 1, Biblis B, Brunsbüttel, Isar 1, Unterweser und Philippsburg 1 – und das Pannen-AKW Krümmel sind sofort und auf Dauer stillzulegen. Gleiches gilt für das wegen seiner Lage in einem Erdbebengebiet gefährdete AKW Neckarwestheim 2  sowie die AKWs Grundremmingen B und C.

2.        Vollständiger Atomausstieg bis zum Ende des Jahres 2014

Die verbleibenden sechs Atomkraftwerke mit einer gesicherten Erzeugungsleistung von etwa sieben GW können schrittweise bis Ende des Jahres 2014 abgeschaltet werden. Denn schon heute sind Gas- und Kohlekraftwerke mit einer Leistung von mindestens elf GW in Bau (ohne KKW Datteln) und gehen in den kommenden drei Jahren ans Netz. Bleiben einige fossile Kraftwerke wenige Jahre länger als geplant am Netz, bedeutet dies einen erheblichen Netto-Zuwachs an Kraftwerkskapazitäten.

Durch ein aktives Lastenmanagement kann zudem die Jahreshöchstlast kurzfristig deutlich verringert werden. Eine Verlagerung des Stromverbrauchs aus den fünfzig lasthöchsten Stunden nur um eine oder wenige Stunden kann laut Öko-Institut den Spitzenlastbedarf um 2 bis 5 GW reduzieren. Entsprechend müssen weniger gesicherte Kraftwerkskapazitäten vorgehalten werden. Laut einer Studie Prof. Olav Hohmeyer, Mitglied des Sachverständigenrats für Umweltfragen der Bundesregierung, bleibt bei einem Atomausstieg bis Ende 2014 die Versorgung Süddeutschlands trotz bislang besonders hohem Atomstromanteil gesichert. Sollte während der wenigen Stunden der Jahreshöchstlast aufgrund einer unerwarteten Steigerung der Stromnachfrage die gesicherte Kraftwerksleistung nicht ausreichen, bliebe als weitere Möglichkeit der Rückgriff auf einen Teil der sog. Langfristreserve von über sechs GW.

Die übrigen Atomkraftwerke werden bis zum Ende des Jahres 2014 stillgelegt:
2012: AKW Brokdorf und AKW Philippsburg 2.       
2013: AKW Grohnde und AKW Grafenrheinfeld:
2014: AKW Isar 2 und AKW Emsland.

  • Die Bundesregierung muss umgehend ein Atomausstiegsgesetz gemäß Punkt 1 und 2 vorlegen.

3.            Atomausstieg ins Grundgesetz

Damit der Atomausstieg unumkehrbar wird, muss er in der Verfassung verankert werden. DIE LINKE. im Bundestag hat daher im April 2011 einen Gesetzesentwurf in den Bundestag eingebracht, der ein Verbot der Nutzung von Atomenergie und Atomwaffen im Grundgesetz vorsieht (BT-Drs. 17/5474).

  • Verankerung des Verbots der Nutzung von Atomenergie und Atomwaffen im Grundgesetz.

4.            Klimaschutz und Atomausstieg: Kein Widerspruch

Ein frühzeitiger Atomausstieg führt in diesem Jahrzehnt zu einer vorübergehenden Erhöhung der jährlichen CO2-Emissionen im Stromsektor. Durch einen beschleunigten Ausbau erneuerbarer Energien kann dieser Anstieg aber in den Jahren nach 2020 mehr als kompensiert werden. Ein Sofortprogramm für die erneuerbare Energiewende muss u.a. umfassen:

  • Beibehaltung des Einspeisevorrangs und wirkungsvoller Vergütungssätze für Strom aus erneuerbaren Energien, Erstellung eines Bundesfachplans Netzumbau sowie Förderung der Entwicklung und Etablierung effizienter Speichertechnologien.
  • Energieeffizienz-Offensive: ambitionierte, verbindliche Standards für den Energieverbrauch stromverbrauchender Geräte und industrieller Prozesse; Einführung eines Energiesparfonds (2,5 Mrd. Euro/a) mit speziellen Förderprogrammen für einkommensschwache Haushalte.
  • Klimagerechter Umbau des Kraftwerksparks durch ein Kohleausstiegsgesetz.

5.            Strompreise sozial abfedern, Marktaufsicht wahrnehmen

Ein unverzüglicher Atomausstieg verändert die Kosten der Stromerzeugung. Die langfristig anfallenden, von der Gesellschaft insgesamt zu tragenden Kosten werden umso geringer, je schneller der Ausstieg erfolgt. Denn Atomstrom ist – wenn  man die enormen Aufwendungen für Sicherheit und Entsorgung berücksichtigt – extrem  teuer. Kurzfristig und mittelfristig sind jedoch geringfügige Preissteigerungen zu erwarten. Der schnelle Atomausstieg ist daher ein Grund mehr, eine wirksame Strommarktaufsicht durchzusetzen, die Marktmacht der der „Großen Vier“ RWE, E.ON, Vattenfall und EnBW einzudämmen sowie Preissteigerungen für einkommensschwache Haushalte abzufedern.

  • Einführung einer wirksamen und handlungsfähigen staatlichen Strompreisaufsicht; Wieder­einführung der Börsenaufsicht für den Spothandel im deutschen Strommarkt bzw. über alle Spotmärkte auf EU-Ebene; schärfere Ahndung des Insiderhandels an Strombörsen (Straftatbestand).
  • Erhöhung der Brennelementesteuer zur Abschöpfung der Extraprofite aus dem Emissions­handel und Überführung der AKW-Rückstellungen in einen öffentlich-rechtlichen Fonds.
  • Verbot von Stromsperren, verbindliche Einführung von Stromsozialtarifen und Unterstützung von niedrigen Einkommen beim Kauf stromsparender Geräte.

6.            Atomausstieg schafft Arbeitsplätze

Die Energiewende und ein unverzüglicher Atomausstieg werden positive Beschäftigungseffekte haben. Während bei den vier großen Energiekonzernen in den letzten Jahren zigtausende Arbeitsplätze abgebaut wurden, arbeiten heute rund 340.000 Menschen in der Erneuerbaren-Energie-Branche. Eine regionalisierte Energieversorgung infolge des Atomausstiegs wird zu einem  Beschäftigungsmotor im kommunalen Bereich. Nichtsdestotrotz stellt sich die Frage, was mit den Beschäftigten in den Atomkraftwerken nach einer Stilllegung geschieht. Mit Hilfe regionaler Wirtschaftspolitik müssen über die durch den Abbau von Atomkraftwerken benötigten Arbeitskräfte hinaus Ersatzarbeitsplätze an den Atomkraftwerksstandorten geschaffen werden.

  • Initiativen für die Schaffung von Ersatzarbeitsplätzen an den Atomkraftwerksstandorten durch regionale Wirtschaftspolitik.
  • Wende in der Beschäftigungspolitik der Erneuerbaren-Branche hin zu tariflicher Entlohnung, Sicherstellung gewerkschaftlicher Rechte und Guter Arbeit.

7.            Energiekonzerne entmachten – Energiewende demokratisieren

Der Atomausstieg muss gleichzeitig ein Einstieg in eine andere Energiepolitik sein, konsequent orientiert am Ziel einer erneuerbaren, aber auch demokratisierten Stromversorgung. Es wird keine sozial-ökologische Energiewende geben, solange es nicht gelingt, die vier großen Energiekonzerne zu entmachten. Der Wille der Bürgerinnen und Bürgern und nicht der „shareholder value“ der Aktienbesitzer von E.ON und RWE muss bei der Entscheidung über die zukünftige Energieversorgung im Vordergrund stehen. Bei Planungsverfahren für den Bau von Netzen, Speichern oder Erzeugungsanlagen müssen die Mitbestimmungsmöglichkeiten der Bevölkerung ausgeweitet werden. Schon vor Beginn der Planungsverfahren sind die Bürgerinnen und Bürger zu informieren und einzubeziehen.

  • Überführung der Energienetze in die öffentliche Hand, Rekommunalisierung der Energie-versorgung und Förderung von Energiegenossenschaften.
  • Beiräte aus Umwelt- und Verbraucherverbänden, Gewerkschaften und Mandatsträger/innen u.a. begleiten mit verbindlichen Mitbestimmungsrechten den Energiewendeprozess auf allen Ebenen (Bund, Länder, Kommunen).