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Kooperation fördern: Für ausfinanzierte Hochschulen, gute Studien- und Arbeitsbedingungen, eine starke und unabhängige Forschung

Positionspapier,

Positionspapier des Arbeitskreises Demokratie, Kultur, Wissen und Bildung

Positionspapier des Arbeitskreises Demokratie, Kultur, Wissen und Bildung
Federführung: Nicole Gohlke, Sprecherin für Hochschulpolitik, und Petra Sitte, Sprecherin für Forschungs- und Technologiepolitik

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Das deutsche Hochschul- und Wissenschaftssystem erlebte in den vergangenen zehn Jahren im Zuge des neoliberalen Umbaus der Gesellschaft eine rasante Umgestaltung – in seinen Organisations- und Finanzierungsstrukturen wie auch in seinen inneren Funktions- und Steuerungsmechanismen. Leidtragende dieser Situation sind die Studierenden, die Wissenschaftler_innen – aber auch die Wissenschaft selbst. Statt ein vom Erkenntnisgewinn getriebenes wissenschaftliches Arbeiten in einem finanziell verlässlichen Rahmen und kooperativen Arbeitsumfeld zu gewährleisten, wurde der  Wettbewerb um die Finanzierung zum Leitmotiv der Wissenschaftspolitik erhoben. Der Anteil frei verfügbarer Grundmittel geht immer weiter zurück und wird zunehmend durch projektbezogen eingeworbene Drittmittel und leistungsbezogen finanzierte Mittelanteile ersetzt. Der Wettbewerb um diese Mittel dominiert heute die Finanzierungs- und Verwaltungsstrukturen von Hochschulen und Forschungsinstituten und überlagert vielfach die intrinsische Motivation der Wissenschaft.

Statt die Aufgabe zur Gestaltung anzunehmen, zog sich der Bund im Rahmen der Föderalismusreform auf die Rolle als Motor des Wettbewerbs zurück. Begründet wurde dieser Paradigmenwechsel mit dem bis heute gängigen Argument, durch eine wettbewerbliche Bestenauslese werde das Gesamtsystem in der Breite gestärkt. Folglich forcierte der Bund Steuerungs- und Finanzierungsinstrumente wie die Exzellenzinitiative, einen Ausbau der DFG-Drittmittelförderung, die wettbewerbliche Finanzierung der Forschungsbauten und die internen Wettbewerbssysteme der außeruniversitären Forschung, ebenso wie Gebühren- und Begabtenmodelle statt der Weiterentwicklung von Breitenförderungsinstrumenten in der Studienfinanzierung. Diese „Verflüssigung“ der Wissenschaftsfinanzierung hat das Verhältnis von eigeninitiierter freier Grundlagenforschung und extern induzierter Drittmittelforschung aus dem Gleichgewicht gebracht.  Drittmittel für die Forschung machten im Jahr 2010 bereits 5,5 Milliarden Euro der  19,9 Milliarden Gesamtausgaben der Universitäten und damit einen relevanten Teil aus. Besonders Fächer der Natur-, Technik und Lebenswissenschaften haben von diesem Trend profitiert. In ihnen wird inzwischen häufig fast ausschließlich auf Drittmittelbasis geforscht. Viele Wissenschaftler_innen beklagen seither einen Verlust an Zeit- und Themensouveränität und einen starken Anstieg an Bürokratie. Ganze Hochschulen und Institute strukturieren sich nach den Bedarfen der Drittmitteleinwerbung. Drittmittel sind ein entscheidendes Kriterium in der Personalauswahl geworden. Perspektiven innovativer und kritischer wissenschaftlicher Ansätze werden durch die starke Orientierung an Kriterien öffentlicher und privater Forschungsförderer beeinträchtigt, die sich zumeist am disziplinären Mainstream ausrichten.

Der in vielen Fächern starke Einfluss privatwirtschaftlicher Drittmittel wird häufig als Einschränkung der Wissenschaftsfreiheit im Sinne einer wissenschaftlichen Unabhängigkeit wahrgenommen. Die Gesellschaft kann jedoch zu Recht erwarten, dass überwiegend öffentlich finanzierte Hochschulen und Institute im Gemeininteresse forschen und ihre Strukturentscheidungen nach wissenschaftsimmanenten Kriterien treffen.
Parallel zu diesen Entwicklungen gewährten die unterfinanzierten Bundesländer ihren Hochschulen kaum Aufwüchse in der Grundfinanzierung, obwohl in den vergangenen zehn Jahren die Zahl der Studierenden an deutschen Hochschulen erfreulicherweise stark gestiegen ist. Allein im Jahr 2012 waren insgesamt 2,5 Mio. Studierende an Hochschulen eingeschrieben – das sind fast 30 % mehr als vor zehn Jahren. Die Betreuungsverhältnisse hingegen haben sich in den vergangenen Jahren dramatisch verschlechtert: betreute im Jahr 2000 ein_e Hochschullehrer_in durchschnittlich 56 Studierende, lag dieser Wert 2011 bei 63 Studierenden. Die laufenden Grundmittel je Studierenden sanken zwischen 2000 und 2010 nominal von 7280 Euro auf 7210 Euro.  Diese Entwicklung fand am stärksten in den Stadtstaaten sowie in den neuen Bundesländern seinen Niederschlag. Inflationsbereinigt kann von einem deutlichen Einbruch bei der Finanzierung der Hochschulen gesprochen werden, der durch den Drittmittelboom in keiner Weise ausgeglichen wurde.

Die Kosten des zu Recht begrüßten Aufschwungs in der akademischen Bildung sind einseitig verteilt. Trotz des Hochschulpakts wird die Lehre zu 87% von den Ländern finanziert, der Länderanteil bei den Forschungsausgaben der Hochschulen beträgt hingegen 52%. Die Hoffnung der Regierung auf den demographischen Faktor und künftig wieder sinkende Studierendenzahlen ist auf Sand gebaut: die Verwissenschaftlichung von Produktion und Verwaltung, die Akademisierung vieler Arbeitsfelder ist seit Jahrzehnten ungebremst, der Wunsch immer größerer Teile der Gesellschaft nach akademischer Bildung  nimmt stetig zu. Politik hat die Aufgabe, die diskriminierungsfreie Beteiligung an akademischer Bildung und die Dynamik einer neuen Bildungsexpansion auch im tertiären Bereich zu fördern und zu begleiten. Dazu gehört etwa die soziale Öffnung für bisher benachteiligte Bevölkerungsschichten, der freie Zugang zum Master nach einem ersten Abschluss, die Demokratisierung der Hochschulen, der Ausbau der staatlichen Studienfinanzierung, die Akademisierung bisheriger Lehrberufe (etwa Erziehung und Pflege) sowie das Forcieren des lebenslangen Lernens etwa in aufbauenden Studiengängen für Berufstätige. Zur Öffnung akademischer Bildung gehört auch, den Charakter des öffentlichen Gutes zu stärken. Studiengebühren als Instrument der Privatisierung von Bildungskosten sollten gesetzlich ausgeschlossen werden. Die Ausbildungsförderung, eine Gemeinschaftsaufgabe von Bund und Ländern, muss stabilisiert und bedarfsgerecht ausgebaut werden. Das BAföG ist ein Zukunftsmodell. Zugleich brauchen wir eine neue Kultur nachhaltiger Personalpolitik, um die Attraktivität des Arbeitsfeldes Wissenschaft zu erhöhen, gute Arbeitsbedingungen zu schaffen und demokratische Prozesse und gerechte Verhältnisse in den Hochschulen und Forschungseinrichtungen zu befördern. Die wettbewerbliche Steuerung des Hochschul- und Wissenschaftssystems hat sich verheerend auf Arbeitsverhältnisse ausgewirkt und eine vorausschauende Personalplanung und –entwicklung behindert. Gerade das angestellte Personal im wissenschaftlichen Mittelbau wird als Manövriermasse im Drittmittelkampf behandelt. Es wird zu knapp 90 Prozent befristet beschäftigt und immer häufiger mit sehr kurzen Vertragslaufzeiten abgespeist. Über rechtliche und tarifvertragliche Maßnahmen. hinaus muss die Politik durch eine stabile Finanzierungssituation zur Schaffung von dauerhaften und wissenschaftlich eigenständigeren Beschäftigungsmöglichkeiten neben der Professur, offenen und verlässlichen Karrierewegen sowie attraktiven Gehaltsstrukturen beitragen.

Nicht zuletzt besteht die zukünftige Herausforderung in der Entwicklung des Verhältnisses von außeruniversitären Forschungseinrichtungen und Hochschulen. Während die Universitäten und Fachhochschulen angesichts der stark steigenden Studierendenzahlen um ihre Funktionsfähigkeit kämpfen, konnten sich Helmholtz-, Max-Planck-, Fraunhofer- und Leibniz-Institute über einen komfortablen Anstieg ihrer Gesamtfinanzierung freuen. Auch diese Anstiege werden intern zunehmend nach wettbewerblichen Kriterien verteilt und nicht zuletzt für übergreifende Projekte der Gesamtorganisation genutzt. Bereits die Exzellenzinitiative mit ihren Verbundprojekten, aber noch stärker die Regierungspolitik der ehemaligen Forschungsministerin Schavan, haben dafür gesorgt, dass die außeruniversitären Institute in vielen Disziplinen eine dominierende Position einnehmen. Insbesondere die Großforschungsinstitute der Helmholtz-Gemeinschaft, die zu 90 Prozent vom Bund finanziert werden und eine entsprechende Nähe zur Bundespolitik aufweisen, sehen sich zunehmend in der Rolle einer Steuerungsinstanz – etwa in der Gesundheits- oder der Energieforschung. Zugleich unterstützte das Bundesforschungsministerium Kooperationen und Fusionen von Helmholtz-Instituten mit Universitäten wie dem Karlsruher Institute of Technology (KIT) oder des Berliner Institut für Gesundheitsforschung (BIG) ohne transparentes wissenschaftsgeleitetes Verfahren. Die Übernahme des Institutes GEOMAR in die Helmholtz-Gemeinschaft diente dem Ausgleich finanzieller Probleme des Landes Schleswig-Holstein bei der Finanzierung von Anträgen im Exzellenzwettbewerb und wurde ebenfalls nicht, wie bei solchen Wechseln üblich, durch Evaluierungen des Wissenschaftsrates langjährig vorbereitet. Es entsteht insgesamt der Eindruck eines eher von politischen Opportunitäten bestimmten Prozesses, in dem manche Einrichtungen strukturell an den Bund heranrücken und andere nicht. Dass vom Bund unterstützte Kooperationsprojekte in einem wissenschaftlichen Begutachtungsverfahren durchaus kritischer beurteilt werden können, zeigt die Aberkennung des Exzellenzstatus des KIT. Die willkürliche Sonderstellung einzelner Einrichtungen soll mit der von Schwarz-Gelb im Jahr 2012 vorgeschlagenen Grundgesetzänderung nun auch noch Verfassungsrang bekommen.
Die finanzielle Situation der Bundesländer, die durch die falsche Steuerpolitik in den vergangenen Jahren und die Schuldenbremse vor dramatischen Kürzungsrunden stehen, limitiert eine nachhaltige Entwicklung von Hochschulen und Wissenschaftseinrichtungen. Eine bessere Finanzierung der Bundesländer ist Voraussetzung für eine funktionale Aufgabenteilung zwischen Bund und Ländern wie für ihre Kooperation. DIE LINKE hat Vorschläge für ein sozial gerechtes Steuersystem gemacht, das Bund, Ländern und Kommunen die notwendigen Mehreinnahmen zum Ausbau des Bildungs- und Wissenschaftssystems einbringen kann. Dieses Konzept sehen wir komplementär zu unseren nachfolgenden Vorschlägen für eine nachhaltige Weiterentwicklung der Strukturen und der Finanzierung des Hochschul- und Wissenschaftssystems zur Diskussion.
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