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Für eine parlamentarische Kontrolle der Geldpolitik der EZB

Positionspapier,

Ein umfangreicher öffentlicher Produktionssektor und eine europäische Kartellbehörde müssen einen entscheidenden Beitrag leisten für stabile Preise.

Ein umfangreicher öffentlicher Produktionssektor und eine europäische Kartellbehörde müssen einen entscheidenden Beitrag leisten für stabile Preise.

I. Die Geldpolitik der EZB

Die EZB behauptet ausdrücklich, dass Inflation ein monetäres Phänomen sei. Sie vertritt damit eine eindeutig monetaristische Position: Das Preisniveau steigt, wenn „zu viel Geld hinter zu wenig Waren herjagt“. Nach gegenwärtiger Auffassung der EZB sollte eine Inflationsrate von zwei Prozent nicht überschritten werden. Wird dieses Inflationsziel verletzt, dann drosselt die EZB die Geldversorgung durch eine Erhöhung des Zinssatzes. Als Ergebnis dieser Politik flacht das Wirtschaftswachstum ab. Die Arbeitslosigkeit fällt höher aus, als dies ohne diese kontraktive Geldpolitik der Fall wäre. Die Stabilisierung des Preisniveaus durch Geldpolitik führt demnach zu einem niedrigeren Wachstum und zu einer höheren Arbeitslosigkeit. Ausdrücklich betont die EZB, dass sie die Zinsen auch dann erhöhen wird, wenn ein dynamischeres Wirtschaftswachstum zu Lohnerhöhungen und damit - entsprechend ihrem Verständnis - zu Preiserhöhungen führt. Das tatsächliche Ziel der Geldpolitik ist offenbar, mit mehr Arbeitslosigkeit die Löhne in Schach zu halten. Also einigermaßen stabile Preise bei hohen Wohlfahrtsverlusten.

Von einem unmittelbaren Zusammenhang zwischen Geldversorgung und Preisniveau kann nicht die Rede sein. Vielmehr sind stabile Preise ein Nebenprodukt der Geldpolitik. Tatsächlich wirkt die Geldpolitik in der folgenden Weise auf das Preisniveau: Eine Zunahme des Wirtschaftswachstums erhöht den Preiserhöhungsspielraum für die Unternehmen. Die kontraktive Geldpolitik verringert das Wirtschaftswachstum und damit den Preiserhöhungsspielraum. Nur in dieser Weise hat die Geldpolitik Erfolg bei der Stabilisierung des Geldwertes. Aus Gründen der Geldwertstabilität wird also der Wirtschaftsaufschwung flach gehalten.

Die Geldpolitik in den USA unterscheidet sich hiervon nicht grundsätzlich. Zwar versucht sie nicht, die Geldmenge zu steuern, um die Inflation zu kontrollieren. Vielmehr setzt sie auf Zinspolitik, d.h. auf Verknappung bzw. Verteuerung der Kredite. Unter einem rein technischen Gesichtspunkt ähnelt dies eher der keynesianischen Geldpolitik. Der Zusammenhang zwischen Geldpolitik und Beschäftigung aber bleibt derselbe wie bei der monetaristischen Konzeption: Bei Beschleunigung der Inflation wird der Zins erhöht, das Wirtschaftswachstum flacht mit entsprechenden Wirkungen auf die Beschäftigung ab.

Lässt nun die Linke gelten, dass es Aufgabe der EZB ist, für ein stabiles Preisniveau zu sorgen, und konzentriert sie sich bei ihren Forderungen darauf, die Geldpolitik der EZB demokratisch zu kontrollieren, dann kann die alternative Geldpolitik nur darin bestehen, eine höhere Inflationsrate und damit mehr Wachstum und Beschäftigung
zuzulassen. Mehr Demokratie ist dann mehr Inflation! Dies aber ist der Vorwurf der Rechten in der Wirtschaftswissenschaft: Bestimmt das Parlament - so das Argument der Rechten - die Leitlinien der Geldpolitik, dann ist eine Beschleunigung der Inflation die Folge. Dies ist die Begründung für die Unabhängigkeit der Zentralbank.

II. Die linke Alternative

Grundsätzlich muss sich die Linke auf das Ziel möglichst stabiler Preise verständigen. Die Elemente einer solchen Anti-Inflationspolitik sind: (1) Die EZB versorgt Wirtschaft (und Staat) mit soviel Kredit, dass die gesamtwirtschaftliche Nachfrage die jeweils vorhandenen Produktionsmöglichkeiten voll nutzt. Ein Mehr oder Weniger an kreditfinanzierter Nachfrage sorgt für die Anpassung der Nachfrage an das Angebot. (2) Die Preiserhöhungsspielräume, die diese wirtschaftliche Dynamik eröffnet, müssen von einer Kartellbehörde mit weitreichenden Befugnissen beschränkt werden. In der EU ist ein Europäisches Kartellamt noch zu schaffen. Diese Behörde muss Marktmacht eindämmen, wenigstens aber den Missbrauch dieser Macht bei der Preissetzung zu verhindern. (3) Neben der Monopolkontrolle und der Missbrauchsaufsicht durch die Kartellbehörde ist es Aufgabe eines umfangreichen öffentlichen Produktionssektors, im Preiswettbewerb mit den privaten Anbietern das Preisniveau niedrig zu halten. Als Beispiel ist zu nennen die Wohnungswirtschaft. Ein weiteres Beispiel ist das natürliche Monopol, so die Strom- oder Gasversorgung. Hier ist Gemeineigentum die beste Anti-Inflationspolitik.

III. Die Übergriffe der EZB

Es gehört nicht zu den Aufgaben der EZB, Empfehlungen zur Arbeitsgesetzgebung oder zur Wirtschaftspolitik allgemein der Mitgliedsstaaten auszusprechen. Die Satzung des Europäischen Systems der Zentralbanken und der Europäischen Zentralbank weist zwar dem System und der EZB selbst die Aufgabe zu, die Geldpolitik der Gemeinschaft festzulegen und auszuüben (Art. 105, Abs. 2 des Vertrages), aus dem Vertrag heraus kann sie aber ihre Übergriffe auf die Arbeits- und Sozialgesetzgebung der Mitgliedsstaaten nicht rechtfertigen. Sie hat nicht das Recht, flexible Löhne, Beschränkung der gewerkschaftlichen Wirkungsmöglichkeiten, weniger Kündigungsschutz und Anderes mehr zu fordern. Die Voraussage der EZB, dass mehr Flexibilität auf dem Arbeitsmarkt zu mehr Beschäftigung führt, kann sich nicht erfüllen. Die neoklassische Theorie, die dieser Voraussage zugrunde liegt, ist falsch. Die Fachwelt lehnt diese Theorie zunehmend ab.

IV. Wo strategisch ansetzen?

(1) Die Übergriffe der EZB sind klar zu machen und hart zu kritisieren. Das kann aus dem EZB-Statut heraus erfolgen. Konflikte ergeben sich hier, weil es keine einhellige Auffassung darüber gibt, was alles zur Geldpolitik gehört. Dieser Konflikt aber ist willkommen.

(2) Es ist deutlich zu machen, dass die monetaristische Theorie als Grundlage der Politik der EZB nicht zutrifft. Inflation ist nicht einfach ein monetäres Phänomen! Monetarismus ist in der Fachwelt mittlerweile eine Minderheitenposition. Die EZB operiert auf der Basis einer Geldtheorie, die in der Wirtschaftswissenschaft mehr als umstritten ist.

(3) Ziel des Monetarismus war und ist, die Stellung der Beschäftigten systematisch zu schwächen. Sir Alan Budd hat dies sehr klar dargestellt. (Budd war Beamter im englischen Finanzministerium in den 70er Jahren und einer der radikalsten Vertreter des Monetarismus in den 80er Jahren, der Regierungszeit Thatchers.) Viele in der damaligen Regierung, so Budd, „haben nie daran geglaubt, dass man mit Monetarismus die Inflation bekämpfen kann. Allerdings erkannten sie, dass [der Monetarismus] sehr hilfreich dabei sein kann, die Arbeitslosigkeit zu erhöhen. Und die Erhöhung der Arbeitslosigkeit war mehr als wünschenswert, um die Arbeiterklasse insgesamt zu schwächen. […] Hier wurde - in marxistischer Terminologie ausgedrückt - eine Krise des Kapitalismus herbeigeführt, die die industrielle Reservearmee wiederherstellte, und die es den Kapitalisten fortan erlaubte, hohe Profite zu realisieren.“ (The New Statesman, 13. Januar 2003, S. 21)

(4) Eine Politik der Preisstabilisierung kann nicht auf die Geldpolitik beschränkt werden - weder auf eine Politik der Geldmengensteuerung (Monetarismus), noch auf eine Zinspolitik, wie sie die US-Zentralbank betreibt. Wichtig ist eine Wettbewerbsbehörde mit hinreichenden Befugnissen und ein großer öffentlicher Sektor auch in der Produktion, der durch seine Preispolitik das Preisniveau maßgeblich beeinflusst.

Herbert Schui, MdB Fraktion DIE LINKE. im Deutschen Bundestag, wirtschaftspolitischer Sprecher der Fraktion, bis 2005 Professor für Volkswirtschaftslehre an der Universität für Wirtschaft und Politik in Hamburg