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Auftreten für einen Neustart

Positionspapier,

Der Fall Griechenlands, die durch die Euro-Finanzgruppe oktroyierte Austeritätspolitik und die erfolgreiche Erpressung der griechischen Regierung unter Ministerpräsident Tsipras zur Umsetzung neoliberaler Programme u.a. durch die deutsche und andere Regierungen sowie die Europäische Zentralbank (EZB) hat Diskussionen ausgelöst. Dabei geht es u.a. um solche Fragen: Unter welchen Umständen können Regierungen in den Euro-Ländern zukünftig den demokratisch geäußerten Willen ihrer Bevölkerungen zum Beispiel zur Beendigung von Kürzungs- und Privatisierungspolitik durchsetzen? Müsste eine Regierung notfalls dann den Euro-Rausschmiss durch die EZB, die dabei offensichtlich ihre Kompetenzen überschritte, in Kauf nehmen und mit einem „Plan-B“ darauf vorbereitet sein? Welche institutionellen Möglichkeiten bestehen oder könnten innerhalb der EU geschaffen werden, damit dann Notwehrmaßnahmen in dem betroffenen Land möglich sind? Welche Vor- und Nachteile, welche Chancen und Risiken wären für die dortige Bevölkerung damit verbunden?

Der Fall Griechenlands, die durch die Euro-Finanzgruppe oktroyierte Austeritätspolitik und die erfolgreiche Erpressung der griechischen Regierung unter Ministerpräsident Tsipras zur Umsetzung neoliberaler Programme u.a. durch die deutsche und andere Regierungen sowie die Europäische Zentralbank (EZB) hat Diskussionen ausgelöst. Dabei geht es u.a. um solche Fragen: Unter welchen Umständen können Regierungen in den Euro-Ländern zukünftig den demokratisch geäußerten Willen ihrer Bevölkerungen zum Beispiel zur Beendigung von Kürzungs- und Privatisierungspolitik durchsetzen? Müsste eine Regierung notfalls dann den Euro-Rausschmiss durch die EZB, die dabei offensichtlich ihre Kompetenzen überschritte, in Kauf nehmen und mit einem „Plan-B“ darauf vorbereitet sein? Welche institutionellen Möglichkeiten bestehen oder könnten innerhalb der EU geschaffen werden, damit dann Notwehrmaßnahmen in dem betroffenen Land möglich sind? Welche Vor- und Nachteile, welche Chancen und Risiken wären für die dortige Bevölkerung damit verbunden?

Eine solche Diskussion wird bereits in Deutschland und Europa von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern und Politikerinnen und Politikern geführt. Diese Diskussionen gibt es auch in der Linken. Grundlage der Diskussion für DIE LINKE. ist die beschlossene Programmatik, wie zum Beispiel das Bundestagswahlprogramm 2013:

Auch wenn die Europäische Währungsunion große Konstruktionsfehler enthält, tritt DIE LINKE nicht für ein Ende des Euro ein. Voraussetzung für dessen Fortbestand ist, dass der Kurs der Austerität, der Kürzungspolitik, beendet wird.

Es geht bei diesen Debatten deshalb auch nicht um einen Austritt aus der EU. Für Fraktion und Partei muss es selbstverständlich bleiben: Ein Gründungszweck der EU und ihrer Vorläufer war und ist die Schaffung einer Friedensordnung zwischen ihren Mitgliedsländern. Das sollte durch den strukturell erzwungenen Ausgleich der jeweiligen nationalen Interessen und insbesondere die Einhegung Deutschlands und seines bis dahin einzigartig aggressiven Nationalismus erreicht werden. Dieser Gründungszweck hat sich für die Mitgliedsstaaten der EU bis heute erfüllt und es ist gewiss nicht die Aufgabe von Linken, ihn, auf welche Weise auch immer, in Frage zu stellen oder gar aufs Spiel zu setzen – auch dann nicht, wenn die EU ihrem Wesen nach eine kapitalistische Veranstaltung ist. Deshalb ist es unsere Aufgabe die Fliehkräfte der europäischen Einigung zu bekämpfen, die dadurch entstehen, dass bestehende EU-Verträge und -Institutionen einen zügellosen Kapitalismus fördern. Folgende Passage aus dem „Memorandum für eine demokratische, freiheitliche, soziale und Frieden sichernde Union“ der Fraktion DIE LINKE. im Bundestag aus dem Jahr 2007 ist für uns daher auch heute noch aktuell:

„Die Europäische Union der Bürgerinnen und Bürger darf keine technokratischen Verfahren zur Umgehung des Mehrheitswillens hinnehmen. Sie braucht einen konsequenten Neuanfang, sie muss die neoliberale Fehlentwicklung stoppen, um das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in den Mitgliedstaaten zurück zu gewinnen.“

Für Deutschland bedeutet die Mitgliedschaft in der EU zweierlei: Einerseits ist sie für die Bundesregierung Mittel und Zweck, um der EU bzw. deren Mitgliedstaaten ihren wirtschaftlichen, politischen und sozialpolitischen Stempel aufzudrücken, ihre ökonomische Vormachtstellung innerhalb und außerhalb der EU abzusichern und auszuweiten, ihrer ökonomischen Macht international größeres politisches Gewicht zu verleihen und bei den ganz Großen politisch mitzuspielen. Die immense wirtschaftliche Stärke Deutschlands seit
Einführung des Euros ist vor allem Resultat einer unfairen Wirtschaftspolitik gegenüber den anderen Europartnern. In Deutschland wurde eine Politik des Lohndumpings und der Schwächung der Binnennachfrage betrieben. So konnte eine bisweilen einmalige hegemoniale Stellung auf dem Kontinent durchgesetzt werden. Dies war erst möglich durch die Einführung des Euros. So ist Deutschland zum Hauptprofiteur einer – vorgeblich – auf Solidarität basierenden Union geworden. Deutschlands Gewinne aus dem Welthandel steigen seit Jahren, auch wenn zur gleichen Zeit der EU-Handel Einbußen erfährt. Das hat allerdings zur Folge, dass sich zunehmend eine Dominanz der ökonomischen Macht Deutschlands innerhalb Europas herausbildet und entsprechende Krisen hervorruft.

Andererseits bedeutet die Mitgliedschaft in EU und Währungsunion für Deutschland auch Rücksichtnahme und Beschränkungen bei der Durchsetzung der eigenen Interessen, relativiert also die umstandslose Umsetzung des hegemonialen Anspruchs. Diesen Widerspruch versucht die Bundesregierung durch Verträge, Verrechtlichungen und Institutionalisierungen zu überwinden, die die Politiken der EU bzw. der Währungsunion letztlich auf einen von ihr politisch und ökonomisch gewünschten Kurs festschreiben, zumindest jedoch die Verwirklichung alternativer Handlungsoptionen erschweren sollen.

Die EU als Ganzes tritt der Bevölkerung immer mehr als undurchschaubar, undemokratisch, zuweilen autoritär und repressiv, unsozial, zutiefst neoliberal und austeritätsfixiert gegenüber. Im Extremfall schreckt sie nicht davor zurück, Bevölkerungsgruppen und Mitgliedstaaten an den Rand des Elends zu stürzen, sie bewirkt Einkommenskürzungen, ermöglicht Sozialdumping und zerstört Sozialstaatlichkeit. Allerdings verfügt sie offenkundig nach wie vor über ein ihrer sozialen und politischen Realität nicht entsprechendes, außergewöhnliches Attraktivitätspotenzial, sowohl innerhalb der eigenen Bevölkerung als auch bei Nicht-EU- Bürgerinnen und -Bürgern. Assoziierungs- und Beitrittswünsche, Einwanderungsabsichten, Fluchtbewegungen etc. machen dies deutlich.

Nach außen agiert die EU ökonomisch expansiv und aggressiv, politisch oft indifferent, letztlich aber immer an den USA orientiert, und militärisch zunehmend aktiver (allerdings noch weit entfernt vom Aggressionsniveau der USA oder Russlands, wenn auch deutlich über dem Chinas).
Gewiss, angesichts der derzeitigen Lage dieses imperialen Gebildes, die sozial und politisch verheerend und zudem im Sinne fortschrittlicher Veränderungen aussichtslos erscheint, die im Angesicht der Macht, der Institutionalisierungen und der rechtlichen Verfasstheit die Hoffnung auf Reformierbarkeit der EU im emanzipatorischen Sinne abwegig erscheinen lässt, kann man auf den Gedanken kommen, nicht mehr mitzumachen, einfach auszusteigen und, ja und was dann...
Generell bedeutete eine Auflösung der EU einen Rückfall in die europäische Nationalstaatlichkeit des 19. und frühen 20. Jahrhunderts, was einem historischen Rückschritt gleichkäme, den (mit)herbeizuführen – mit allen seinen absehbaren und unabsehbaren Konsequenzen gegen Frieden, Wohlstand, soziale Sicherheit und Politik - keine Option für Linke sein darf.

Aufgaben der Linken

Statt für den Austritt Deutschlands aus der Gemeinschaftswährung und/oder der EU oder für ihre Auflösung zu kämpfen, ist es Aufgabe der linken Kräfte in der gesamten Bevölkerung der Union, Mehrheiten für eine andere Politik der EU zu gewinnen – ähnlich wie das heute bisher nur in Griechenland der Fall ist.

Zentral muss es dabei vor allem darum gehen, die unfaire deutsche Wirtschaftspolitik zu beenden. Das Lohndumping und die Prekarisierung in Gestalt von Leiharbeit, Befristungen, Werkverträgen und Minijobs müssen gestoppt werden. Dazu gehört, dass die Leistungsbilanzüberschüsse Deutschlands durch Stärkung der eigenen Binnennachfrage abgebaut werden. Nur so kann die Verschuldung des Auslands, v.a. der Euroländer bekämpft werden.

Die Einführung des EURO haben wir 1998 scharf kritisiert, weil es bei höchst unterschiedlichen Ökonomien keine abgesprochenen Standards - von Sozialleistungen bis zu Steuern - gab. Die Integration eines Kontinents nur über eine Währung musste schon deshalb zu Krisen führen, weil die billigsten und niedrigsten Standards sich durchsetzen konnten. Deutschland hat mit der Agenda 2010 ein gnadenloses Lohndumping gegen die anderen Euroländer eingeleitet. Unter den Rahmenbedingungen des EURO hat die deutsche Politik – wie von uns befürchtet – mehr zur Spaltung als zur Einheit Europas beigetragen.

Das Erfurter Parteiprogramm bleibt aktuell:

„Die Eurokrise hat einen weiteren Beleg dafür erbracht, dass die EU-Verträge nicht für ein
demokratisches, soziales, ökologisches und friedliches Europa taugen, sondern ganz im
Gegenteil zur Verschärfung der Krise beitragen.

Die Europäische Union braucht einen Neustart mit einer vollständigen Revision jener primärrechtlichen Grundelemente der EU, die militaristisch, undemokratisch und neoliberal sind. Wir setzen uns deshalb weiter für eine Verfassung ein, die von den Bürgerinnen und Bürgern mitgestaltet wird und über die sie zeitgleich in allen EU-Mitgliedstaaten in einem Referendum abstimmen können.

Wir wollen nicht weniger als einen grundlegenden Politikwechsel in der Europäischen Union, der die europäische Integration im Interesse der großen Mehrheit der Menschen auf ein neues Fundament stellt.

Wir wollen eine Europäische Union, die Demokratie und nationalstaatliche Souveränität nicht den Finanzmärkten opfert. Wir weisen alle Angriffe auf die Demokratie in Europa, etwa durch die Etablierung von Durchgriffsrechten auf nationalstaatliche Haushalte, zurück.“

Es geht für die Linke in Europa darum, vernehmbarer für einen „Neustart der EU“ aufzutreten! Wir dürfen uns nicht wegducken, sondern müssen verändern. Dazu gehört hier und in allen Mitgliedstaaten auf nationaler Ebene gegen die neoliberalen Hardliner in den Regierungen zu kämpfen. Dies heißt für die deutsche Linke vor allem Kampf gegen Lohndumping und Prekarisierung hierzulande. Die Kampagne der Partei „Das muss drin sein“ muss der zentrale Orientierungspunkt für uns, auch für die Bundestagsfraktion sein. Wer für Europa kämpft, muss gerade als deutsche Linke zu allererst gegen die hegemoniale Rolle des eigenen Landes kämpfen. Das ist unsere historische Verantwortung!

Darüber hinaus muss es darum gehen, sich europaweit endlich zu koordinierten Kampagnen und Aktionen bereit zu finden, die EU-weite Kooperation der Linken deutlich zu intensivieren
und so an der Schaffung einer europäischen (Gegen)Öffentlichkeit zu arbeiten. Gemeinsame Ziele und Gegenstände solcher Kampagnen könnten und sollten dabei sein:

  • die Demokratisierung der EU, die das einzig demokratisch legitimierte EU-Gremium, das Europaparlament, mit vollen parlamentarischen Rechten ausstatten muss
  • die Zulassung von europäischen Bürgerentscheiden (auch über EU-Vertragsgrundlagen)
  • die soziale Frage europaweit aufzuwerfen
  • die internationale Solidarität praktisch zu untersetzen und
  • für einen anderen Kurs zu werben, den eines öko-sozialen „Marshallplans“ für ein
  • Europa der Vollbeschäftigung, des Ausbaus öffentlicher Infrastrukturen und demokratischer Mitwirkungsrechte unter Nutzung bestehender und zu schaffender Finanzierungsmöglichkeiten durch die EZB.

Dabei wird es unerlässlich sein, nicht nur Bündnisse mit anderen antikapitalistischen Gruppen einzugehen, sondern auch mit Gewerkschaften und allen anderen Menschen und ihren Organisationen, die sich im Sinne einer fortschrittlichen Politik für einen echten Politikwechsel einsetzen, zusammenzuarbeiten, um gemeinsame Ziele und Aktionsmöglichkeiten zu schaffen. Hinter denen sollten sich möglichst viele Bürgerinnen und Bürger sammeln und gemeinsam an einer neuen Idee von Europa arbeiten können, um längst überfällige Reformen der europäischen Strukturen durchzusetzen. Wie so etwas gehen könnte, zeigt aktuell die Anti-TTIP-Kampagne. Dazu ist eine Neuorganisation der Solidarität im Rahmen von Europäischem Parlament, Europäischer Linke sowie der außerparlamentarischen Bewegungen unabdingbar.

Abschließend sei an das Gründungsmanifest der Europäischen Linken erinnert:

„Für uns ist Europa in der internationalen Politik ein Raum für das Wiedererstehen des Kampfes um eine andere Gesellschaft. Ihre Ziele sind Frieden und die Transformation der gegenwärtigen kapitalistischen Verhältnisse. (...) Aus diesem Grunde werden die Europäische Union und darüber hinaus der ganze europäische Kontinent (...) zunehmend zu einem wichtigen Raum für alternative Politik.“
Dem entspricht auch unser Wahlprogramm. Auch dort ist an keiner Stelle vom Austritt oder von der Auflösung der EU die Rede. Im Gegenteil heißt es dort:

„DIE LINKE steht für einen Neustart der Europäischen Union. Gemeinsam mit anderen linken Parteien steht DIE LINKE für einen Politikwechsel in Europa: Für eine andere, eine bessere EU. (...)“

Daran gilt es verstärkt zu arbeiten!

 

linksfraktion.de, 22. September 2015