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Zwischen Ausschussbashing und Fehlersuche

Nachricht,

NSU-Ausschuss zwischen dem 18. und 26. Oktober

Von Gerd Wiegel

Drei Sitzungen des NSU-Untersuchungsausschusses fanden in den beiden Parlamentswochen vom 15.-26. Oktober 2012 statt und die Abgeordneten haben insgesamt sieben Zeugen gehört. Deutlich wurde in diesen Befragungen die ganze Spannbreite der Vernehmungen zwischen kritischer Rückschau auf die eigene Ermittlungsarbeit und der Leugnung aller Fehler und Versäumnisse. Exemplarisch für diese Spannbreite standen die beiden Zeugen Jürgen Maurer (Vizepräsident des BKA) und Klaus Dieter Fritsche (Staatssekretär im Innenministerium und langjähriger Vizepräsiden des Bundesamtes für Verfassungsschutz). Während Mauer um einen kritischen Blick auf Fehler und Schwächen der Ermittlungen zu den Taten des NSU bemüht war, ging es Fritsche darum, die Aufklärung dieser Fehler durch den Ausschuss als eigentliche Gefahr für die Sicherheit des Landes darzustellen. Die Facetten der Vernehmungen aller Zeugen zeigten jedoch einmal mehr, welche Fehleinschätzungen beim Thema militante Rechte eine Mordserie wie die des NSU begünstigt haben.

Fehleinschätzung zum Thema Rechtsterrorismus

Die Aktenvernichtungen im Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) und die Fehleinschätzungen des BfV und der anderen Sicherheitsbehörden zum Thema Rechtsterrorismus waren die beiden Hauptthemen der Ausschusssitzung am 18.10.2012. Mit Klaus Dieter Fritsche wurde eine zentrale Person der Sicherheitsbehörden knapp acht Stunden im Ausschuss vernommen. Fritsche zeigte dabei wenig Selbstkritik, fing sein Eingangsstatement vielmehr mit Vorwürfen gegen den Ausschuss und die Medien an. Einen „Skandalisierungswettbewerb“ gegenüber den Sicherheitsbehörden unterstellte der Staatsekretär, womit er offenbar die Kritik an Verfassungsschutz und anderen als unbegründete Skandalisierung darstellen wollte. Nicht seine eigene Rolle im Zusammenhang mit dem NSU-Fall wurde von Fritsche eingangs thematisiert, sondern der Zeuge stimmte ein Loblied auf den Aufklärungswillen der Bundesregierung an. Die darauf folgende Unterbrechung der Sitzung wurde zum eigentlichen Medienthema, obwohl die wirkliche Brisanz in der Befragung des Staatssekretärs eine ganz andere war. 2003, nach dem missglückten Anschlagsversuch der Kameradschaft Süd auf das jüdische Gemeindezentrum in München, gab es die explizit Frage der Politik nach einer „braunen RAF“, sprich der Gefahr, eines systematischen rechten Terrorismus. Diese Gefahr wurde in einem Papier des BfV verneint und dieses Papier wurde eben vom Zeugen Fritsche unterschrieben.

In einem Artikel des Stern vom September 2012 (Ausgabe 38/2012, S. 48) heißt es: „Für das Bundesinnenministerium verlangte Ministerialdirigent Gerhard Schindler, heute Chef des Bundesnachrichtendienstes, eine Einschätzung vom BfV. ‚Haben wir die Szene unter Kontrolle? Gibt es eine braune RAF?‘ Vizepräsident Fritsche antwortete. Das Schreiben vom 14. September 2003 ist ‚GEHEIM‘ eingestuft und mit dem Stempel ‚Quellenschutz‘ versehen, ein wichtiges Dokument. Und, wie heute feststeht, eine Blamage. Fritsche erinnerte die These von der braunen RAF an Berichte über ‚drei Bombenbauer aus Thüringen, die seit mehreren Jahren abgetaucht‘ seien. Dabei seien ‚diese Personen auf der Flucht‘ und hätten ‚seither keine Gewalttaten begangen‘. Ihre Unterstützung sei ‚nicht zu vergleichen mit der für einen bewaffneten Kampf aus der Illegalität‘. Zudem seien ‚Absichten für einen solchen Kampf in der rechtsextremistischen Szene nicht erkennbar‘, ein ‚potenzielles Unterstützerumfeld‘ gebe es ‚nicht‘. Dem Vergleich mit der RAF hielt der Vizepräsident des BfV das Fehlen folgender Merkmale entgegen: Die RAF ‚lebte unter falscher Identität, ausgestattet mit falschen Personaldokumenten und in konspirativen Wohnungen. Dies erforderte ein hohes Know how und ein Sympathisantenumfeld. Zur Finanzierung wurden Raubüberfälle begangen.‘“ Alles, was von Fritsche im Jahr 2003 – mit Blick auf das Trio (!), das zu diesem Zeitpunkt bereits vier Morde begangen hatte – in Bezug auf die Frage Rechtsterrorismus verneint wurde, fand genau zu dieser Zeit statt. Es gab ein Unterstützerumfeld, falsche Identitäten, Finanzierung durch Banküberfälle etc. Deutlicher lässt sich die Fehleinschätzung nicht dokumentieren.

Rassistische Motivation wurde zu früh ausgeblendet

Ganz anders präsentierte sich eine Woche später der Zeuge Jürgen Maurer, Vizepräsident des BKA. Ohne dass man seine Position und Analyse in allen Punkten teilen muss ging es Mauer in seiner Befragung ersichtlich darum zu klären, warum die Ermittlungen zur Ceska-Mordserie und auch zu den anderen Verbrechen des NSU nicht als Taten von Nazis erkannt wurden, warum der Rassismus als Motivation von den Ermittlern nicht oder nur so randständig zum Thema gemacht wurde und was generell in den polizeilichen Ermittlungen falsch gelaufen ist.

Den Vorwurf, auf dem rechten Auge blind zu sein, wollte Maurer für das BKA nicht gelten lassen. Für ihn selbst mag das zutreffen, denn Maurer war es, der beim Anschlag in der Keupstraße 2004 sofort in Richtung rassistischer Hintergrund dachte und es als schweren Fehler bezeichnete, dass von den Behörden in NRW dieses Motiv in den Ermittlungen so schnell ausgeblendet wurde. Und Maurer war es auch, der sich als einziger Vertreter des BKA im Frühjahr 2006 für die aus Bayern stammende Fallanalyse, es könne sich bei den Tätern auch um solche mit einer rassistischen Motivation und mit Bezügen zum rechten Umfeld handeln, unterstützte. Im BKA wurde er mit dieser Position jedoch nicht unterstützt und konnte sich schlussendlich auch nicht durchsetzen. Hier blieb man strikt bei der Ermittlungsrichtung Organisierte Kriminalität.

Ernüchternd war für den Ausschuss seine Einschätzung, auch mit einer zentralen Ermittlung durch das BKA und einer stärkeren Berücksichtigung rassistischer und extrem rechter Hintergründe der Taten, sei man dem NSU 2006 nicht mehr auf die Spur gekommen. Jedoch blieben diese Spekulationen rein hypothetisch, da man real fast niemals in Richtung extremer Rechter ermittelt hat. Deutlich wurde auch in dieser Befragung, dass 2004 beim Bombenanschlag in Köln entscheidende Fehler gemacht wurden. Hier war die Machart eines rechten Anschlags nach dem Vorbild von Combat 18 offensichtlich, selbst BfV und BKA haben in diese Richtung gedacht, ohne dass es Auswirkungen auf die Ermittlungen in NRW hatte.

Aktenschreddern im BfV

Schließlich spielte das Thema Aktenvernichtung des BfV in allen Ausschusssitzungen eine Rolle. Der vom Innenministerium eingesetzte Sonderermittler Hans Georg Engelke wurde sowohl öffentlich als auch in geheimer Sitzung befragt. Auch nach zwei Befragungen bleibt unklar, wie und warum es zur Löschung von insgesamt ca. 300 Akten aus dem Bereich Rechtsextremismus nach dem 4. November 2011 kommen konnte. Während Herr Engelke behauptet, dass es in den meisten Fällen keinerlei Querverbindungen zum NSU gäbe und in den wenigen Fällen wo dies der Fall sei, keine Verheimlichungsabsicht vorliege, war die Mehrheit des Ausschusses von dieser Form der „Entwarnung“ nicht überzeugt. Vielmehr stellte sich der Eindruck ein, dass die vermeintliche Aufklärung der Schredderaktion ein weiteres Beispiel für die Unkontrollierbarkeit des Verfassungsschutzes ist. Da die Vorgänge nicht befriedigend aufgeklärt werden konnten, wird der Sonderermittler in einer weiteren Zeugenbefragung zu den unklaren Punkten befragt werden.

Die nächste Sitzung des Untersuchungsausschusse findet am 8. November 2012 statt, und es werden vier Zeugen vom Militärischen Abschirmdienst MAD vernommen.