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»Zur Beantwortung der Frage liegen der Bundesregierung keine hinreichenden Erkenntnisse vor«

Nachricht von Diana Golze,

Der Ausbau der Kindertagesbetreuung stockt, der Bedarf ist trotz des seit Anfang August bestehenden Rechtsanspruchs auf einen Kitaplatz ab dem vollendeten ersten Lebensjahr viel größer als die tatsächlich vorhandenen Plätze. Eins der Hauptprobleme ist der Mangel an pädagogischem Fachpersonal, Erzieherinnen und Erziehern. Die Bundesregierung belegt nun in ihrer Antwort auf eine Kleine Anfrage der Fraktion DIE LINKE, wie schlecht es um die Arbeitsbedingungen dieser begehrten Berufsgruppe bestellt ist. Und: Sie belegt eine beeindruckende Ahnungslosigkeit, wenn es um genauere Zahlen, Daten und Fakten geht.

Zunächst aber einmal zu dem, was die Bundesregierung weiß und mitteilt: Immer mehr Erzieherinnen und Erzieher arbeiten nur noch in Teilzeit. Die Vollzeittätigkeit ist rückläufig und beträgt nur noch 40 Prozent. Der Anteil befristeter Arbeitsverträge liegt deutlich über dem bundesdeutschen Durchschnitt. Die Kita-Gruppen sind zu groß, insbesondere im Osten Deutschlands. Psychische Belastungen sind hoch. Arbeitsunfälle haben stark zugenommen. Bei all den Belastungen stieg das Durchschnittsalter der Erzieherinnen und Erzieher in den letzen zehn Jahren um drei Jahre an und liegt nun bei 41,9 Jahren – durchschnittlich, wie gesagt.

Zu vielen Fragen sieht sich die Bundesregierung allerdings nicht in der Lage, Auskunft zu geben. Ihre Kenntnis über die konkreten Arbeitsbedingungen der Erzieherinnen und Erzieher in Kitas scheint sehr dürftig zu sein. Insbesondere hinsichtlich der Beschäftigungsmodelle – Festanstellung, Leiharbeit oder Minijob – leidet die Bundesregierung nach eigener Aussage unter fehlenden statistischen Daten beziehungsweise unter fehlender Spezifizierung derselben. Gleiches gilt für ihre Auskunftsfähigkeit in Sachen Rentenansprüche, Aufstockerleistungen, Durchschnittsarbeitszeiten und Tarifgefüge.

Die Bundesregierung hat nicht nur den Kitaausbau vertrödelt. Sie hat die Grundlagen dafür völlig außen vor gelassen. Dazu gehört, den Beruf der Erzieherin, des Erziehers seiner Bedeutung entsprechend aufzuwerten und attraktiv zu machen: "Wenn die  Arbeitsbedingungen und die Bezahlung nicht deutlich verbessert werden, bleibt der Rechtsanspruch ein ungedeckter Scheck", warnt Diana Golze, kinder- und jugendpolitische Sprecherin der Fraktion. Wenn es nicht gelingt, junge Menschen mit leistungsgerechter Entlohnung und guten Arbeitsbedingungen für den Erzieherberuf zu gewinnen, bleibt der vielbeschworene Ausbau frühkindlicher Bildung eine Schimäre.

Die Daten aus den Antworten im Einzelnen:
  • Am 1. März 2012 waren in Deutschland 323.635 Erzieherinnen und Erzieher in Kitas beschäftigt (313.854 Frauen, 9.781 Männer), am 31. Dezember 2002 waren es 242.417 Erziehende (238.307 Frauen, 4.110 Männer) (vgl. Antwort auf Frage 1).
  • Das Durchschnittsalter ist von 39,2 Jahren im Jahr 2002 auf 41,9 Jahre im Jahr 2012 angestiegen, was einer Erhöhung um 2,7 Jahre entspricht (vgl. Antwort auf Frage 1).
  • In den östlichen Bundesländern ist das Durchschnittsalter zwar durchweg höher, aber die Anstiege sind in den vergangenen zehn Jahren geringer ausgefallen als im Westen (vgl. Antwort auf Frage 1).
  • Betrachtet man die Entwicklung des Durchschnittsalters in den einzelnen Bundesländern, wird deutlich, dass in den vergangenen zehn Jahren überdurchschnittliche Anstiege vor allem in den westlichen Bundesländern zu verzeichnen sind. So ist das Durchschnittsalter in NRW, also dem Land mit den meisten Erzieherinnen und Erziehern, um 4,1 Jahre angestiegen. In Baden-Württemberg, Hessen, Niedersachsen, Rheinland-Pfalz und Schleswig-Holstein liegen die Anstiege bei über drei Jahren (vgl. Antwort auf Frage 1).
  • Laut einer Sonderauswertung des Mikrozensus aus dem Jahr 2008 lag damals der Befristungsanteil von Erzieherinnen und Erziehern bei 15 Prozent, wobei besonders Jüngere unter 25 Jahren stark betroffen waren. Eine andere Erhebung kommt für das Jahr 2012 auf einen Wert von 13 Prozent (vgl. Antwort auf Frage 3).
    Beide Zahlen liegen deutlich über dem gesamtwirtschaftlichen Anteil von Befristeten, den das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung errechnet. Demnach lag der Anteil der Befristeten an allen sozialversicherungspflichtig Beschäftigten im Jahr 2008 bei 9 Prozent und im Jahr 2012 bei 9,5 Prozent (vgl. IAB 2013: Befristete Beschäftigung – Aktuelle Zahlen aus dem IAB-Betriebspanel 2012).
    Die höheren Werte für Erzieher ordnen sich unter den Befund unter, dass die Branche Erziehung und Unterricht (die allerdings mehr Bereiche als die Kitas umfasst) mit 76 Prozent diejenige Branche mit dem höchsten Anteil von befristeten Arbeitsverträgen an allen Neueinstellungen ist (vgl.: ebd.).
  • Der Anteil der Vollzeittätigen an allen beschäftigten Erzieherinnen und Erziehern in Kitas ist von 44,7 Prozent im Jahr 2002 auf 40,2 Prozent zehn Jahre später geschrumpft (vgl. Antwort auf Frage 5).
  • Die Zahl der meldepflichtigen Arbeitsunfälle von Kindergärtnern/Erziehern erscheint von den Fallzahlen her eher niedrig, hat sich aber in den vergangenen sechs Jahren verdoppelt, obwohl sich die Anzahl der Erzieherinnen und Erzieher nicht verdoppelt hat (vgl. Antwort auf Frage 19).
  • Zu den Arbeitsunfähigkeitsdaten für die Berufsgruppe der Erzieherinnen und Erzieher merkt die Bundesregierung an, dass ihr hierzu keine nutzbaren Daten zur Verfügung stünden, da die Datengruppe „Sozial- und Erziehungsberufe“ zu unspezifisch sei (vgl. Antwort auf Frage 17). Es bleibt allerdings festzuhalten, dass die Berufsgruppe der „Sozial- und Erziehungsberufe“ diejenige mit den höchsten Durchschnittszahlen bei Arbeitsunfähigkeitstagen für psychische und Verhaltensstörungen ist, wie eine Antwort der Bundesregierung auf eine frühere Kleine Anfrage belegt: Der Durchschnitt lag auf alle Berufsgruppen bezogen im Jahr 2010 bei 181,5 Arbeitsunfähigkeitstagen je 100 Versicherte (vgl. Drs. 17/9478, Antwort auf Frage 4).
  • Die Zahl, für wie viele Kinder einzelne Personen des pädagogischen Personals zuständig sind, schwankt zwischen den einzelnen Bundesländern erheblich, ist aber oftmals ein Anzeichen dafür, dass eine Person für zu viele Kinder Verantwortung trägt, was die hohen psychischen Belastungen erklärt. So sind in den östlichen Bundesländern bei Gruppen mit Kindern unter 3 Jahren jede/r Einzelne für mehr als sechs Kinder zuständig, bei Gruppen mit drei Jahren bis zum Schuleintritt sind es im Osten zwischen 11,4 und 14,7 Kinder je Person und im Westen zwischen 8,1 und 10 Kinder je Person (vgl. Antwort auf Frage 20).

linksfraktion.de, 10. September 2013