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Zappenduster – Hebammen werden wegökonomisiert

Im Wortlaut von Birgit Wöllert,

 

Von Birgit Wöllert, für DIE LINKE Obfrau im Gesundheitsausschuss

 

Langsam geht das Licht aus für die freiberuflichen Hebammen in Deutschland. Die Haftpflichtverträge der im Bund freiberuflicher Hebammen Deutschlands organisierten Hebammen, aber auch die der nicht organisierten Hebammen sind bereits zum 1. Juli 2015 ausgelaufen, neue gibt es für sie nicht. Auch der Gruppenvertrag des Deutschen Hebammenverbandes läuft zum 1. Juli 2016 ganz aus. Hebammen, die hier organisiert sind, mussten zum 1. Juli dieses Jahres für ihre Haftpflichtversicherung satte 6 274 Euro fürs laufende Jahr berappen – kaum zu erwirtschaften aufgrund der  niedrigen Vergütungen von Hebammenleistungen. Und auch dieser Vertrag wird am 30. Juni nächsten Jahres auslaufen. Ersatzlos. Jeden Tag müssen Hebammen ihren Beruf aufgeben oder sind in ihrer Existenz bedroht. Denn ohne Vertrag darf keine Hebamme tätig sein. Wenn nicht endlich etwas passiert, wird 2016 keine Frau mehr zu Hause oder in einem Geburtshaus mit Hilfe einer freiberuflichen Hebammen ein Kind zur Welt bringen können. Und – wovon noch viel mehr Frauen und Neugeborene betroffen sind – keine Vor- und Nachsorge, keine Wochenbettbetreuung mehr bekommen, da davon allein kaum eine Hebamme leben kann.

Auch die freiberuflichen Beleghebammen in den Kliniken sind bald Geschichte. In den letzten Jahren mussten bereits über 300 Geburtshilfestationen schließen. Die Vergütung der Krankenhäuser über Fallpauschalen deckt die Kosten der Geburtshilfe nicht ab. Im Sommer 2015 fanden Gebärende auf der Insel Sylt weder eine klinische Geburtshilfestation vor, noch eine niedergelassene Hebamme. Aber auch in Großstädten kommt es immer häufiger vor, dass Frauen bei einsetzenden Wehen drei bis fünf Kliniken anfahren müssen, um aufgenommen zu werden. Es geht also schon längst nicht mehr „nur“ darum, den Ort und die Art der Geburt wählen zu können. Es geht um die Gefährdung geburtshilflicher Versorgung insgesamt, um eine Privatisierung von Risiken und Ökonomisierung von Gesundheitsleistungen im großen Stil.

Das haben auch hunderttausende werdende Eltern und engagierte Menschen bereits begriffen. Aktuell haben über 177 000 Menschen die Petition „Geburt darf keine Privatsache werden“ unterschrieben und täglich werden es mehr. Elternprotest formiert sich in lokalen Zusammenschlüssen und sozialen Medien. Die Antworten, die Gesundheitsminister Gröhe ihnen gibt, sind beschämend. Die Große Koalition hat lediglich einen Sicherstellungszuschlag für Hebammen und Entbindungspfleger zur Erstattung der immens gestiegenen Haftpflichtprämien beschlossen. Die Verhandlungen darüber mit den Krankenkassen sind gescheitert und befinden sich in der Schlichtung. Das bedeutet, Hebammen zahlen die immensen Prämien aktuell allein.

Der Grund für das Scheitern der Verhandlungen ist bemerkenswert. Der Spitzenverband der gesetzlichen Krankenkassen fordert einen Ausschluss von Hausgeburten aus der Erstattungspflicht, wenn der errechnete Geburtstermin nicht eingehalten wird. Für die Frauen bedeutet es, dass eine Hausgeburt bei Überschreitung des prognostizierten Geburtstermins zur „IgeL-Leistung“ würde, also von den Frauen privat bezahlt werden müsste. 

Auch ein weiterer Versuch der Bundesregierung, die Kosten für die Haftpflichtversicherungen der Hebammen zu begrenzen, misslang gründlich. Mit dem Versorgungsstärkungsgesetz wurde ein sogenannter Regressverzicht verabschiedet. Das bedeutet, dass die Haftpflichtversicherungen der Hebammen den Krankenkassen ab 2016 nicht mehr die Behandlungskosten nach einem Fehler erstatten müssen. Bundesgesundheitsminister Gröhe hofft, dass dadurch die Haftpflichtprämien in Zukunft sinken. Doch die Versicherungswirtschaft machte ihm in der Anhörung zum Gesetzesentwurf einen Strich durch die Milchmädchenrechnung und stellte klar, dass der Regressverzicht ins Leere geht. Hebammen zu versichern bleibt unattraktiv für das Geschäft. Ein neues Angebot werde nicht vorgelegt. Niemand könne erwarten, dass die Versicherer ein "verlustträchtiges Geschäft" machten.

Die Absage der Versicherer kommt nicht überraschend. Sie sind nicht dem Gemein- oder Patientenwohl verpflichtet, sondern ihren Shareholdern. Das weiß auch Minister Gröhe und hätte sich die verqueren Winkelzüge zulasten von Eltern und Hebammen sparen können. Nötig wäre dagegen eine Weiterentwicklung des Berufes in die Zukunft. Doch auch bei der Ausgestaltung der Hebammenleistungen scheitert die aktuelle Bundesregierung wie die vorherigen auch. Dabei sind Hebammen die am besten geeigneten Fachkräfte für die Betreuung von Frauen in Schwangerschaft, Geburt und Wochenbett. Sie sind erste Ansprechpartnerinnen für Schwangere und die Schwangerenvorsorge. Ziel wären Leistungsbeschreibungen, zum Beispiel eine 1-zu-1-Betreuung während der Geburt, was nachweislich Komplikationen verringert. Dagegen steht die Ökonomisierung im Gesundheitssystem mit dem Trend, alle Leistungen nach Minuten zu berechnen, statt die bestmögliche Versorgung in den Mittelpunkt zu rücken. 

Gesundheitsversorgung ist kein Renditegeschäft – nicht, ohne zulasten der Menschen zu gehen, die auf sie angewiesen sind. DIE LINKE will eine am Patienten orientierte leistungsstarke Versorgung. Unser Vorschlag ist deshalb bereits seit 2010 ein Haftungsfonds für Heilberufe, um die Hebammen unabhängig von privaten Versicherungen zu machen. Doch die Bundesregierung weigert sich, diese Lösung, von der auch viele andere medizinische Berufsgruppen und damit die Patientinnen und Patienten profitieren würden, überhaupt zu prüfen. Stattdessen nimmt sie wissend in Kauf, dass Hebammen und vielleicht bald auch noch andere von der Bildfläche verschwinden.

linksfraktion.de, 20. August 2015