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„Würde, Freiheit, soziale Gerechtigkeit“

Im Wortlaut von Niema Movassat,

Teil 2 des Reisetagebuchs von Niema Movassat

 

 

Von Niema Movassat, Mitglied im Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung

 

„Der Kopf des alten Regimes ist ab, aber sein Körper lebt noch.“ Mit diesen Bild beschreibt uns ein Jugendaktivist der 6.April Bewegung, einer der tragenden Jugendbewegungen bei der ägyptischen Revolution, die derzeitige Situation im Land. Ungefähr 15 junge Menschen sind in der Tala Lounge zusammengekommen, um mit uns Abgeordneten zwei Stunden über ihre Revolution zu sprechen. Sie sind aus verschiedenen Bewegungen und Parteien. Die Tala Lounge wurde nach der Revolution mit deutschen Entwicklungshilfegeldern eingerichtet. Das Gebäude in der Nildeltastadt Tala bietet jungen Menschen die Möglichkeit zum Austausch und Vernetzung. Daneben gibt es noch in Kairo die Tahrir Lounge mit gleichem Konzept. Weitere Lounges sind geplant. Betrieben werden sie von den jungen Menschen selbst.

Die jungen Aktivisten berichten uns von ihrem Kampf, den Erfolgen und den Rückschlägen. Ein junger Aktivist erzählt, dass ein Freund von ihm, als er Flyer verteilte für eine Veranstaltung in der Lounge, zusammengeschlagen worden ist. Doch die Aktivisten geben nicht auf. Ihr aktueller Schwerpunkt sind Angebote der politischen Bildung, damit die Bevölkerung sich stärker ihrer politischen Rechte bewusst wird. Dafür wollen sie Multiplikatoren ausbilden, die dann mit den Menschen die gesellschaftlichen Probleme diskutieren und mit diesen dann Lösungsvorschläge entwickeln können.

Es sind vor allem junge Akademiker, mit denen wir es hier zu tun haben, viele Rechtsanwälte. Viele von ihnen fürchten das Erstarken der islamischen Parteien (die Muslimbrüderschaft und die Salafisten holten bei den Parlamentswahlen vor einigen Wochen zusammen 70 %). Andere von ihnen verweisen darauf, dass man zu wenig den Dialog insbesondere zur Muslimbrüderschaft sucht. „Man redet viel über sie, aber man redet nicht mit ihnen, dadurch entstünden Ängste“, sagt er. Die Sorge bei vielen ist auch, dass der Militärrat und die Muslimbrüderschaft eine Art Allianz bilden könnten, in welcher der Militärrat, der seit Mubaraks Sturz das Land ohne demokratische Legitimation beherrscht, in außen- und sicherheitspolitischen Fragen das letzte Wort hat.

Einen Tag später sprechen wir einen liberalen Abgeordneten des Parlaments auf genau diese Gefahr an. Er wurde zusammen mit einem anderen liberalen Abgeordneten über den Wahlblock, der zentral von der Muslimbrüderschaft getragen worden ist, gewählt. Er bezweifelt genau diese Gefahr. Im Gespräch verweist er darauf, dass ca. 200 Abgeordnete des neu gewählten Parlaments unter Mubarak im Gefängnis gesessen haben. Mubarak stützte seine Herrschaft gerade auf das Militär. Die meisten früher inhaftierten Abgeordneten waren von der Muslimbrüderschaft. Daher kann er sich nicht vorstellen dass sie mit denen ein Bündnis eingehen, die Mitverantwortung für ihre Inhaftierung hatten. Er wünscht sich einen Fortgang der Revolution im Sinne einer Demokratisierung des Landes. Und dann fügt er, sehr ernst und ohne besonderen Pathos in der Stimme an: „Ich bin bereit zu kämpfen und zu sterben, um zu verhindern, dass das Militär herrscht.“

In seiner Haltung liegt ein unglaublicher Mut. Und viel Zuversicht. Das Schwanken zwischen Optimismus und Pessimismus durchzieht sowieso die ganze Reise. Mal trifft man Menschen, die positiv in die Zukunft blicken, die Hoffnung haben dass ihre Revolution zu einem glücklichen Ende kommt. Dass die Leitsätze der Revolution, die man in nahezu jedem Gespräch immer wieder hört – „Würde, Freiheit, soziale Gerechtigkeit“ – verwirklicht werden. Denn die Zuversichtlichen sagen, dass immer noch Millionen mobilisiert werden können wenn nötig. Der Vorsitzende des neuen unabhängigen Gewerkschaftsbunds, mit dem wir zu Abend essen, ist so ein Optimist. Er verweist darauf, dass die revolutionären Kräfte, so sie sich einigen, bei der nächsten Wahl ein deutlich besseres Ergebnis erhalten werden und die Kräfte, die die Revolution verraten, ihre Wählerinnen und Wähler verlieren werden. Er erzählt uns vom Wachstum der unabhängigen Gewerkschaften, dass sie schon zwei Millionen Mitglieder haben und jeden Tag sich in noch mehr Betrieben ArbeitnehmerInnenvertretungen bilden. Und dann hört man wieder pessimistische Töne von anderen Menschen. Nicht nur von Einigen der Jugendlichen in der Tala-Lounge, die fürchten, dass der Militärrat die Macht nicht mehr abgibt und eine dauerhafte neue Diktatur errichtet. Auch ein Bischof der koptischen Kirche mit dem wir zusammentreffen erzählt von den Ängsten seiner Religionsgemeinschaft. Er erzählt uns auch, dass die Kopten mit den Moslems zusammen demonstriert und gekämpft haben. Aber nun fürchten sie, dass islamische fundamentalistische Kräfte die Macht übernehmen und den bisherigen Frieden zwischen den Religionen aufkündigen könnten.


Niema Movassat mit den VertreterInnen der Socialist Popular Alliance Party
 

Was bedeutet eigentlich ein erstarkender Islam für die Frauen? Wir treffen uns auch mit der Socialist Popular Alliance Party in ihrem Büro. Sie ist die einzige linke / sozialistische Partei die für die Wahlen die Kriterien erreichte (5000 Mitglieder und Veröffentlichung der Namen in zwei großen Tageszeitungen). Sie holte ca. 2,5 % bei der Parlamentswahl. Es waren ihre Vertreter im Parlament, die bei der Vereidigung neben dem Schwur auf die Verfassung auch auf die Revolution schworen. Wir reden mit ihnen u.a. über die Frauenrechtsfrage. Sie sehen durchaus ein erstarken fundamentalistischer Kräfte als Gefahr für die Frauenrechte in Ägypten bzw. dass es zu einer Verschlechterung der Lage der Frauen kommen könnte. Dazu komme, dass die Frauenrechtsarbeit stark von Mubaraks Frau vereinnahmt war. Dadurch haben die Frauenrechts-NGOs, die mit Mubaraks Frau zusammenarbeiteten, einen schlechten Ruf, auch wenn die Sachen die sie da konkret machten nicht schlecht waren. „Die Revolution habe viel mehr Meinungsfreiheit gebracht, sowohl für Frauen, aber eben auch für reaktionäre Kräfte“, sagt uns der Gesprächspartner bei der linken Partei.

Das Resümee ist bei den vielen Eindrücken nicht einfach. Die Frage, die sich stellt ist relativ einfach: Handelt es sich in Ägypten um eine Revolte, die durch einen Militärputsch gestoppt worden ist. Oder aber um eine Revolution, die noch nicht zu Ende ist. Für beides gibt es gute Argumente. Entscheidend ist aber, dass viele Menschen bereit sind weiter zu kämpfen – aus verschiedensten Parteien und Bewegungen. Dass sie ihre Revolution verteidigen wollen. „Würde, Freiheit, soziale Gerechtigkeit“, das kann nicht zu viel verlangt sein. Die Präsidentenwahlen in wenigen Monaten könnten zu einer neuen Mobilisierung der revolutionären Kräfte führen. Bei mir bleibt der Eindruck haften: So lange viele Menschen bereit sind weiter für ihre Rechte, ihre Forderungen, ihre Wünsche – und manchmal auch ihre Träume – zu streiten, protestieren und kämpfen, solange ist nichts verloren. 

 

Zu Teil 1 des Reisetagebuchs