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"Wir wollen ein offenes und farbenfrohes Mecklenburg-Vorpommern"

Im Wortlaut von Steffen Bockhahn,

Steffen Bockhahn, Haushaltspolitiker und Bundestagsmitglied mit Direktmandat in Rostock, über Rechtspopulismus in Deutschland, die daraus folgenden Gefahren für die Demokratie und die Situation in Mecklenburg-Vorpommern wenige Wochen vor der Landtagswahl

 

Hass auf den Islam und die multikulturelle Gesellschaft sind zwei zentrale Punkte im Denken des Attentäters Andreas Breivik aus Norwegen. Sein Pamphlet schickte er auch an "deutsche Brüder", angeblich an die NPD und die Bürger in Wut. Wie weit verbreitet sind die Parolen, die Breivik in seinem Manifest vertritt, bereits in Deutschland? 

  Steffen Bockhahn: Die Angst vor dem Islam, die Angst vor dem Fremden und davor, dass etwas anders ist, als man es selber kennt, ist tief verwurzelt in der Mitte der Gesellschaft. Diese Furcht ist der Nährboden für Rassismus und Extremismus in einer Art und Weise, wie der norwegische Attentäter sie auslebt. Natürlich zehren die Rechtsextremisten und Rechtspopulisten in Deutschland genauso von diesen Ängsten. Schaut man sich die Parolen der NPD zurzeit in Mecklenburg-Vorpommern an, wird dies offensichtlich. Dort heißt es wieder: "Kriminelle Ausländer raus!" Leider gibt es für solche platten, menschenfeindlichen Slogans eine breite Zustimmung, natürlich nicht nur in Mecklenburg-Vorpommern.    Was hat in den vergangenen Jahren dafür gesorgt, dass viele Parolen, wie Breivik sie vertritt, auch in Deutschland unverhohlen ausgesprochen werden können?   Die vermeintlichen Sicherheitspolitiker der Union und auch der SPD haben eine Bedrohungslage inszeniert, die nur schwer zu rechtfertigen ist. Immer wieder warnten sie vor vermeintlichen Islamisten, die Deutschland und unsere Gesellschaft bedrohen würden. Allerdings lässt sich das eher selten belegen. Diese Panikmache, die von Boulevardmedien verstärkt wird, hat natürlich ihre Wirkung. In politischen Diskussionen sind Hemmschwellen gesunken und dadurch ist es zu einem Verrücken der Tabus gekommen.    Wie groß ist die rechtspopulistische Bewegung in Mecklenburg-Vorpommern?   
Fakt ist, dass Mecklenburg-Vorpommern traurige Berühmtheit erlangt hat, weil die NPD im Parlament sitzt. Gemeinsam mit anderen demokratischen Akteuren tun wir alles dafür, dass ihnen der erneute Einzug in den Landtag nicht gelingt. Da die NPD auch in Kreistagen vertreten ist, engagieren wir uns auch auf kommunaler Ebene, damit sie sich nicht verwurzeln. Fakt ist, auch in M-V plakatiert die NPD: "Keine Moschee in Rostock!" Fakt ist aber auch, dass sich andere Parteien ebenfalls offensiv dagegen wenden, in Rostock eine Moschee zu erbauen. Derartige Gemeinsamkeiten sind besorgniserregend. Da ist es wirklich geboten, deutlich Kante zu zeigen und zu sagen: Wir wollen eine multiethnische, eine multikulturelle und multireligiöse Gesellschaft, in der jeder jeden achtet und in der die gleichen Regeln für alle gelten.
  
Werden die Anti-Werte, die der Rechtspopulismus predigt, von weiten Teilen der Bevölkerung stillschweigend hingenommen? Arrangiert sich die Bevölkerung in Mecklenburg-Vorpommern im Alltag mit rechtem Gedankengut?



Ich fürchte, dass es noch schlimmer ist. Man arrangiert sich nicht nur damit, man teilt es. Natürlich betrifft diese Situation nicht nur Mecklenburg-Vorpommern. Die Gefahr entsteht dann, wenn die Angst vor dem Fremden, die Angst vor dem Unbekannten und die Unsicherheit über den eigenen sozialen Status sich zu einer Gemengelage zusammentun. Diese explosive Mischung gefährdet die Demokratie sehr.
  
Fremdenfeindlichkeit ist in einem Land, das wie Mecklenburg-Vorpommern von vielen Touristen besucht wird, nicht gerade gut fürs Image...   Mecklenburg-Vorpommern ist das Tourismusland in Deutschland. Wir haben aber noch immer zu wenige Gäste aus dem Ausland. Zum Teil liegt das auch an unserem beschädigten Image infolge faschistischer Übergriffe. Hier wird wieder klar, wie absurd die Abschottungspolitik der NPD ist, da Mecklenburg-Vorpommern wirtschaftlich stark vom Tourismus abhängig ist. Wenn wir in diesem Bereich weiter wachsen wollen, dann brauchen wir viel mehr Touristinnen und Touristen aus anderen Ländern dieser Welt. Das kann natürlich nicht funktionieren, wenn man als braunes Land verschrien ist. Dabei ist Mecklenburg-Vorpommern in der Breite tatsächlich ganz anders. Wir, DIE LINKE, wollen ein offenes, multikulturelles und farbenfrohes Mecklenburg-Vorpommern.
  Welcher Übergriff hat sie in der jüngsten Vergangenheit besonders schockiert?   
Der jüngste Vorfall war kein Überfall auf ausländische Menschen. Am vergangenen Mittwoch wurde mein Wahlkreisbüro in Rostock mit Steinen beworfen, Scheiben wurden eingeschmissen, andere Wahlkreisbüros wurden mit Hasstiraden besprüht. Allein in Mecklenburg-Vorpommern hat es in diesem Jahr schon mehr als zwei Dutzend Anschläge auf Büros der Linken gegeben. Damit werden Meinungsfreiheit und Weltoffenheit angegriffen und dagegen gilt es, sich zur Wehr zu setzen. 

  Was muss auf Bundesebene dringend getan werden, damit der Rechtspopulismus und die daraus folgenden Auswüchse nicht weiter an Boden gewinnen?   Die Bundesregierung muss aufhören, Rechtsextremismus, Islamismus und vermeintlichen Linksextremismus gleichzusetzen und dadurch zu relativieren. Die geplanten Kürzungen an den Programmen gegen Rechtsextremismus müssen zurückgenommen werden. Im Gegenteil, es muss dafür gesorgt werden, dass wir flächendeckend mehr für Demokratie und Toleranz und gegen Rechtsextremismus tun können. Und wir brauchen auch ein Ende der Debatte über Klischees gegenüber Migrantinnen und Migranten. Wir brauchen endlich eine offene Kultur statt einer Unterstellungskultur gegen alle, die herkommen.

  Wie sieht es auf Landesebene aus: Was würde DIE LINKE anders machen als die jetzige Landesregierung von CDU und SPD in Mecklenburg-Vorpommern?   Erster Punkt wäre natürlich die Unterstützung der Zentren, die im Kampf gegen den Rechtsextremismus aktiv sind. Ihre Finanzierung steht nach wie vor auf wackligen Beinen – auch wegen der unklaren Bundeszuschüsse. Die zweite Sache ist, dass wir für die Aufhebung der Residenzpflicht bei Asylbewerbern sind und das auch zügig umsetzen würden. Und natürlich muss auch an den Schulen des Landes deutlich gemacht werden, dass platte Parolen von Rechtsextremisten und Rechtspopulisten keine Antworten für dieses Land sind. Wir können nur multiethnisch und multikulturell friedlich miteinander leben. Denn die Demokratie ist ein hohes Gut, das man nicht leichtfertig aufs Spiel setzen darf. 

linksfraktion.de, 28. Juli 2011