Zum Hauptinhalt springen

»Wir wollen das AKW Brokdorf blockieren«

Interview der Woche von Dorothée Menzner,

Umweltminister Röttgen hat heute nacht den Koalitionsbeschluss verkündet, dass die deutschen AKWs bis 2022 stillgelegt werden sollen. Besser als nichts?

Dorothée Menzner: Das ist eigentlich das Nichts, es ist die Rückkehr zum rot-grünen Atomkonsens. Wir sind wieder da, wo wir vor der Laufzeitverlängerung waren. DIE LINKE hat diesen seinerzeit bereits abgelehnt. Nicht, weil wir nicht aus der Atomkraft aussteigen wollen, sondern weil es wesentlich schneller gehen muss und der Atomkonsens nichts weiter als eine gesetzliche Garantie zum Weiterbetrieb der Atomkraftwerke ist, diesmal bis 2022. Ob sie überhaupt noch notwendig wären, spielt dabei keine Rolle.

Wir haben dezidiert dargelegt, dass ein Atomausstieg bis Ende 2014 machbar ist, wenn man es nur will – und zwar ohne, dass irgendwo das Licht ausgeht oder die Strompreise explodieren. Wir streiten für einen konsequenten Ausstieg. Das, was die Koalition jetzt beschlossen hat ist dies aber genau nicht.

Wie wollen Sie es schaffen, innerhalb der nächsten drei Jahre alle deutschen Atomkraftwerke vom Netz zu nehmen?

DIE LINKE hat ein „Sieben-Schritte-Programm“ vorgelegt, in dem gut nachvollziehbar dargestellt ist, wie der Atomausstieg bis Ende 2014 umgesetzt werden kann - und zwar ohne dass irgendwo die Lichter ausgehen und ohne dass es zu Preisexplosionen kommt. Dazu braucht es aber klare politische Reglements.

Warum war die LINKE, anders als SPD und Grüne, gestern Abend nicht dabei, als die Ergebnisse vorgestellt wurden?

Wir waren nicht eingeladen, wohl weil man weiß, mit uns sind keine solchen miesen Deals zu machen. In den kommenden beiden Sitzungswochen soll abermals das Atompaket der Bundesregierung im Eiltempo durch das Parlament gepeitscht werden, wie im Herbst vergangenen Jahres die Laufzeitverlängerung. Selbst Bundestagspräsident Lammert hat die damalige Praxis kritisiert und sie ist tatsächlich mit großen demokratischen Zweifeln behaftet.

Die engen Gespräche der Bundesregierung mit SPD und Grünen dient der Bundesregierung als Legitimierung ihrer undemokratischen Praktiken einerseits, andererseits soll offensichtlich ein überfraktioneller Konsens geschaffen werden, der in der Bevölkerung Zustimmung schaffen soll. DIE LINKE ist die einzige Fraktion, die sich auch weiterhin vehement für einen unverzüglichen Atomausstieg ausspricht, und wir werden von dieser Forderung keinesfalls abrücken. SPD und Grüne geben sich da anscheinend flexibler. Wir sind sehr gespannt, ob sich die Grünen mal wieder auf faule Kompromisse einlassen oder ob sie zu ihrer Ausstiegsforderung stehen.

Die Brennelementesteuer soll nun doch erhalten bleiben: Ist das eine gute Nachricht?

Das ist eine Selbstverständlichkeit, alles andere wäre ein Skandal. Die Brennelementesteuer war ursprünglich nicht an die Laufzeitverlängerung geknüpft. Röttgen hat immer wieder betont, dass diese Steuer der Beitrag der Energiekonzerne zur Räumung der Asse sein soll. Reichen wird das Geld dafür nicht. Nun ist das Problem mit der Asse ja auch mit Rücknahme der Laufzeitverlängerung nicht aus der Welt. Im übrigen hätte es bereits seit Jahrzehnten eine Art Brennelementesteuer geben müssen, wie sie es auf alle anderen Brennstoffe auch gibt. Mit der Einführung dieser Steuer nach erst rund fünf Jahrzehnten Atomkraft wurde lediglich ein massiver Subventionsvorteil abgeschafft.

Heute Nachmittag will sich Klaus Töpfer von der Ethikkommission mit Ihnen treffen. Was erwarten Sie von dem Gespräch?

Wir gehen davon aus, dass unsere Fraktion formal über die Arbeit und die Ergebnisse der Ethikkommission informiert wird. Wir werden in diesem Gespräch unseren Standpunkt klar machen und – gerade die Vertreter der Ethikkommission - darauf aufmerksam machen, dass das angepeilte Ausstiegsjahr 2022 der Bevölkerung kaum zu vermitteln sein wird. Die Menschen im Land wissen, dass es wesentlich schneller gehen kann und sie wollen das auch. Wir werden also die Frage stellen, warum die Bundesregierung und auch die Ethikkommission nicht einen wesentlich schnelleren Ausstieg forciert und sich damit wieder in vollem Bewusstsein gegen den Willen der Bevölkerung stellt. 

Am vergangenen Wochenende sind erneut zehntausende Menschen in mehr als zwanzig deutschen Städten auf die Straße gegangenen und haben für einen sofortigen Ausstieg aus der Atomkraft demonstriert. Sind diese Proteste überhaupt noch notwendig?

Die Menschen protestieren ja nicht um des Protests Willen. Sie fordern konkret einen schnellen Atomausstieg. Die Zahlenspiele der Regierung aus CDU/CSU und FDP entsprechen jetzt dem von SPD und Grünen mit den Atomkonzernen ausgehandelten Atomkonsens. Das aber bedeutet nichts anderes als einen gesetzlich garantierten Weiterbetrieb der meisten Meiler.

Halten Sie die Bundesregierung für unabhängig genug, um die Sicherheitsinteressen der Bevölkerung zu garantieren?

Nein. Die Ergebnisse der sogenannten Stresstests, die die Reaktorsicherheitskommission in den letzten Wochen durchgeführt hat, basieren zu großen Teilen auf Zurufen der AKW-Betreiber selbst. Solche Ergebnisse haben keinen Wert. Alle Regierungen, ob CDU/CSU und FDP oder zuvor SPD und Grüne, sind bislang immer vor den Interessen der Atomlobby eingeknickt. Die sieben Moratorien-Meiler und das Atomkraftwerk Krümmel sind die unsichersten überhaupt und müssen jetzt und für immer abgeschaltet bleiben.

Der japanische Atomkonzern Tepco hat mittlerweile zugegeben, dass im havarierten Atomkraftwerk Fukushima in drei Reaktoren eine Kernschmelze stattgefunden hat. Bestätigen sich nun Ihre schlimmsten Befürchtungen?

Japan hat ein drittes nukleares Desaster erleiden müssen, bei dem riesige Landflächen unbewohnbar geworden sind und voraussichtlich tausende Menschen unter den Strahlenschäden leiden werden. Das sind die schlimmsten Folgen, die man beim Betreiben von Atomkraftwerken erwarten kann. Doch das gesamte Ausmaß der Reaktorkatastrophe in Fukushima werden wir vielleicht erst in ein paar Jahren kennen. Die Salamitaktik, mit die Betreiberfirma Tepco und die Internationale Atomenergieorganisation (IAEO) die Welt über die tatsächlichen Vorgänge in Kenntnis setzen, lässt noch weitere Hiobsbotschaften erwarten.

Welche Auswirkungen auf die Menschen und Umwelt werden diese atomaren Unfälle voraussichtlich haben?

Das lässt sich von hier aus schwer einschätzen, vor allem, weil die japanische Regierung und Tepco eine verhängnisvolle Informationspolitik betreiben. Es ist nicht gut, Spekulationen über etwas anzustellen, worüber man keine vollständigen Informationen hat. Nur so viel kann ich mit Sicherheit sagen: Mit den regionalen Auswirkungen des Reaktorunfalls werden Mensch und Natur noch Jahrzehnte, wenn nicht sogar Jahrhunderte zu kämpfen haben.

Zurück nach Deutschland. Werden Sie sich an den Demonstrationen gegen das Atomkraftwerk Brokdorf am 11. Juni 2011 beteiligen?

Natürlich. Brokdorf soll exemplarisch für alle AKW blockiert werden. Gemeinsam mit vielen anderen Menschen will ich deutlich machen, dass wir die Verzögerungspolitik der Bundesregierung nicht akzeptieren. Wir werden symbolisch den Atomausstieg selbst in die Hand nehmen. Eine wesentliche Botschaft, die von Brokdorf ausgehen soll, ist auch, dass es prinzipiell keine Unterschiede zwischen alten und neueren Atommeilern gibt: Jedes AKW ist gefährlich und produziert Unmengen hochradioaktiven Mülls.

 

Dorothée Menzner ist energiepolitische Sprecherin der Fraktion DIE LINKE