Katja Kipping, sozialpolitische Sprecherin der Fraktion DIE LINKE. im Bundestag, über die Kernforderungen für die nächsten Monate, den Zusammenhang zwischen Wahlbeteiligung und Abbau des Sozialstaates, DIE LINKE als Garant für soziale Sicherheit und darüber, was Wählerinnen und Wähler gemeinsam mit der LINKEN erreichen können.
DIE LINKE hat in Dresden ihr Wahlprogramm für die Bundestagswahl am 22. September beschlossen. Mit welchen Kernforderungen zieht die Partei in die kommenden Monate?
Wir sind die einzigen, die nicht nur finden, dass es eine Schamgrenze bei den Löhnen nach unten gibt, sondern auch eine nach oben. Deshalb fordern wir nicht nur einen Mindestlohn von 10 EUR, der sich dynamisch in den kommenden vier Jahren auf 12 Euro entwickeln soll. Wir wollen auch, dass niemand in einem Unternehmen mehr als das Zwanzigfache des niedrigsten Lohns bekommen darf. Wenn ein_e Manager_in eine Million verdienen möchte, dann muss er oder sie eben auch der Pförtnerin, dem Pförtner oder der Reinigungskraft 50.000 Euro im Jahr zahlen. Außerdem fragen wir: Braucht jemand wirklich mehr als das vierzigfache von dem, was man wirklich zum Leben braucht?
Wir sind die einzigen, die Reichtum couragiert besteuern, die jahrelange Umverteilung von unten nach oben umkehren und Steuergerechtigkeit herstellen wollen. Dazu schlagen wir vor, den Spitzensteuersatz auf 53 Prozent anzuheben – wie zu Zeiten von Helmut Kohl. Zusätzlich fordern wir eine Steuer von 75 Prozent auf Einkommen ab einer Million, die Vermögensteuer wollen wir wieder einführen und hohe Erbschaften angemessen besteuern. Durch unsere Steuerreformen werden 180 Milliarden Euro mehr Einnahmen erzielt und gleichzeitig die Steuerbelastung der unteren und mittleren Einkommen reduziert. Wer bis zu 6.000 Euro verdient, wird entlastet. Wir erhöhen also die Steuern für die Reichen und senken sie für die niedrigen und mittleren Einkommen.
Wir sind die einzigen, die eine wirkliche soziale Sicherung wollen, in der niemand mehr Angst um seine Existenz haben muss. Das Hartz-4-System wollen wir daher als einzige Partei überwinden, indem wir ein Konzept für eine sanktionsfreie Mindestsicherung entwickeln, bei der niemand mehr unter 1.050 Euro fällt. Als Sofortmaßnahme werden wir den Regelsatz auf 500 Euro herauf setzen und die Sanktionen abschaffen.
Wir sind die einzigen, deren Rentenkonzept Altersarmut wirklich verhindern kann. Die Rente erst mit 67 muss weg. Die Rentenformel muss hoch, und wir wollen eine Mindestrente von 1.050 Euro. Außerdem müssen die Ostrenten an die Westrenten angepasst werden.
Wir sind die einzigen, die für eine regionale Gerechtigkeit stehen. Das heißt, dass wir zunächst strukturschwache Regionen fördern wollen. Im Osten wie im Westen. Und das heißt, dass endlich Schluss sein muss mit niedrigeren Löhnen im Osten.
Wir sind die einzigen, die gegen Rüstungsexport und gegen Auslandseinsätze der Bundeswehr sind. Krieg ist eine auf Dauer gestellte Menschenrechtsverletzung.
Ich denke, mit Einkommensgerechtigkeit, Umverteilung und Steuergerechtigkeit, Mindestsicherung statt Hartz-IV, Mindestrente statt Altersarmut, Regionaler Gerechtigkeit sowie Frieden haben wir genügend markante Punkte.
Sie haben in Dresden gesagt, dass DIE LINKE die Garantie dafür sei, dass den schönen Worten auch soziale Taten und eine gerechte Politik folgen. Wie das?
Soziale Rhetorik ist noch keine soziale Politik. Was glauben Sie, wie Merkel, Steinbrück oder Trittin ein schwaches Abschneiden der LINKEN bei der Bundestagswahl interpretieren werden? Sie werden sich sagen, die Frage der sozialen Gerechtigkeit interessiert die Wähler_innen nicht mehr. Das Ergebnis wäre weniger statt mehr soziale Gerechtigkeit. Eine starke LINKE hingegen wird von ihnen auch als Signal der Wähler_innen verstanden, dass der sozialen Rhetorik auch soziale Taten folgen müssen.
Wie viel - oder passender: wie wenig - Wahlversprechen heutzutage wert sind, hat die Kanzlerin gerade vorgemacht.
Ja, das stimmt. Die Angleichung der Ost- an die Westrenten ist dafür ein klassisches Beispiel. Es ist schon beschämend zu sehen, wie die Kanzlerin den Osten wieder hängen lässt. Auch an die Politik der SPD dürften die Wähler_innen noch ausreichende Erinnerungen haben. 2005 wollte Angela Merkel die unsoziale Mehrwertsteuer um zwei Prozentpunkte anheben. Die SPD brandmarkte dies damals im Wahlkampf zu Recht als „Merkelsteuer“. Als es dann zur Großen Koalition kam, stimmte die SPD einer Erhöhung der „Merkelsteuer“ sogar um drei Prozentpunkte zu. Die Grünen sind legendär darin, vor Landtagswahlen den Ausstieg aus Großprojekten zu verkünden – Stichwort Stuttgart 21 –, um sie dann faktisch selbst umzusetzen. Aus dieser Erfahrung heraus befürchte ich, dass ohne eine starke LINKE die sozialen Versprechen der anderen Parteien nach der Wahl daher kaum etwas wert sein werden. Wer also Union, SPD und Grüne mit Nachdruck an ihre sozialen Versprechen erinnern möchte, muss DIE LINKE wählen.
Eine aktuelle Studie zeigt, dass sich immer mehr arme Menschen nicht an Wahlen beteiligen. Soziale Spaltung also auch an der Wahlurne?
Wissen Sie auch, dass es einen statistischen Zusammenhang zwischen der Höhe der Wahlbeteiligung und dem Ausbau des Sozialstaates gibt? Ich möchte kurz erklären, warum das so ist. Aus der Wahlforschung wissen wir, dass Menschen, die ärmer sind oder von Erwerbslosigkeit betroffen sind, sich überdurchschnittlich der Wahl enthalten. Wahrscheinlich, weil sie denken, dass die Politik auf ihre Interessen sowieso nicht mehr eingeht. Aber wissen Sie, wozu das führt? Die Parteien kümmern sich dann auch nicht mehr um ihre Anliegen, weil sie ja als Wähler_innen nicht mehr so stark in Erscheinung treten. Die Folge ist, dass der Sozialstaat noch weiter abgebaut wird. Damit wiederum erfüllt sich die Erwartung derjenigen, die sich der Wahl enthalten haben. Deshalb kann ich nur all denen, die überlegen, nicht zur Wahl zu gehen, raten: Durchbrecht diesen Kreislauf, geht wählen.
100 Prozent sozial: Reicht das am 22. September?
Indem DIE LINKE soziale Themen, wie die Mindestsicherung, Armut im Alter, Erwerbslosigkeit, Niedriglöhne in den Vordergrund rückt, wollen wir unseren Beitrag leisten, um diese Menschen erreichen und zur Wahl zu ermutigen. Und letztlich glaube ich, dass am Wahltag viele Menschen erkennen werden, dass wir in diesen Fragen immer glaubwürdig waren und wir deshalb wieder ein achtbares Ergebnis erzielen werden.
linksfraktion.de, 18. Juni 2013