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"Wir reden über ernsthafte Gefahren für Leib und Leben"

Im Wortlaut von Petra Pau,

Frankfurter Rundschau: Frau Pau, braucht Deutschland schon wieder einen Aufstand der Anständigen?

Petra Pau: Wenn ein Aufstand der Zuständigen dazu kommt, vielleicht. Aber das reicht längst nicht mehr. Wir brauchen einen Marathon der Demokraten.

Täuscht der Eindruck, dass das Thema in der öffentlichen Wahrnehmung nur gelegentlich Konjunktur hat, während die NPD immer größeren Rückhalt in der Bevölkerung genießt?

Das ist so. Dabei reden wir hier nicht über ein Randphänomen, sondern längst wieder über ernsthafte Gefahren für Leib und Leben. Ich habe gerade aus dem Innenministerium aktuelle Zahlen über rechtsextreme Straf- und Gewalttaten bekommen. Demnach wurden im Bundesschnitt stündlich anderthalb Straf- und täglich zweieinhalb rechtsextremistische Gewalttaten registriert. Die realen Zahlen liegen weit höher - und damit auch die Zahl der Opfer. Und wenn ich 2004 mit 2006 vergleiche, wird deutlich: Die Zahl dieser Taten hat um 50 Prozent zugenommen.

Und die Politik steht daneben und ist ratlos?

Sie ist zumindest nicht ganz schuldlos. Solange der Rechtsextremismus vorwiegend als Jugend- oder Ostphänomen behandelt wird, werden die rechten Kameraden immer weiter marschieren. Ich will keinen Wettstreit der Parteien, wer am meisten antifaschistisch ist. Wir brauchen stattdessen endlich eine gemeinsame partei- und ressortübergreifende Strategie.

Wie soll die aussehen?

Das Thema darf nicht nur innenpolitisch betrachtet werden. Es geht hier um Bildungs- und Sozialpolitik, um Arbeitsmarkt- und Haushaltspolitik, um Europa- und Kommunalpolitik.

Das klingt nach sehr langem Atem.

Richtig! Und es ist eine komplexe Herausforderung. Der Rechtsextremismus ist in den letzten Jahren, wenn nicht gar in den letzten Jahrzehnten, in Ost und West gewachsen. Das kann man nicht mit einer Ad-hoc-Gegenaktion oder einer Bundestagsrede umkehren.

Trotzdem: Die NPD tritt immer kecker auf. Da könnten langfristige Strategien zu spät kommen.

Wir brauchen gegen diesen dreisten Auftritt natürlich auch kurzfristige Reaktionen. Da ist die Courage der Zivilgesellschaft gefragt. Aber wir dürfen danach nicht einfach wieder zum sonstigen Tagesgeschäft übergehen. Und wir müssen die Programme zur Stärkung von zivilgesellschaftlichem Engagement dauerhaft finanzieren, anstatt sie immer wieder in Frage zu stellen.

Lacht sich die NPD nicht ins Fäustchen, wenn sie gleichzeitig, in Form von Wahlkampfkostenerstattung, Geld aus der Staatskasse bekommt?

Damit kein Missverständnis entsteht: Wenn es möglich wäre, die NPD durch ein Verbot von Steuergeld abzuschneiden, wäre das sicherlich ein guter Nebeneffekt. Ich bin da nur sehr skeptisch. Denn der erste Versuch, die NPD zu verbieten, ist ja nicht am Bundesverfassungsgericht gescheitert, sondern an der V-Leute-Praxis der Innenministerien. Die aber hat sich bis heute nicht geändert. Und das erschwert den rechtsstaatlichen Nachweis, was an dieser Partei originär verfassungs- und demokratiefeindlich ist. Ich will auch prophylaktisch warnen: Zuweilen höre ich bis in den Bundestag hinein, man könnte doch einfach die Hürden für ein Parteienverbot senken. Ich fände es verheerend, wenn wir auf diese Weise die Demokratie und den Rechtsstaat selbst demontierten.

Wir fassen mal zusammen: Es gibt zurzeit keine wirkliche Handhabe gegen die NPD?

Sofern ihre Mitglieder keine Straftaten begehen, nicht. Wenn Straftaten vorliegen, dann selbstverständlich. Aber entscheidend bleibt die inhaltliche Auseinandersetzung, und die muss vor allem mit der Mitte um die Mitte der Gesellschaft geführt werden.

Ist es nicht auch so, dass die NPD zunehmend clever Themen besetzt, die bislang eigentlich linke Parteien abonniert hatten?

Ich kann niemandem verbieten, die soziale Frage aufzurufen. "Hartz IV muss weg" - das kann auf Plakaten von Linken und Rechten stehen. Umso klarer muss sich die Linke in ihren Antworten von rechtsextremen Parolen unterscheiden. Es gibt soziale Alternativen, allemal zum Rechtsextremismus - und zwar für alle hier lebenden Menschen, nicht nur für Hetero-Deutsche. Sie müssen nur noch deutlicher werden. Das ist eine Herausforderung an die neue Linke.

Interview: Jörg Schindler